Aaaaarrrrggggghhhhhhhhhh!!!!!!

Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht? Warum jetzt? Muss ich nicht das Kurswochenende vorbereiten, die Jahresbuchhaltung abschliessen, die Treppe putzen, meine Nägel feilen? Und vier Kolumnen schreiben?

Warum nicht jetzt? Es gibt nie einen guten Moment, ein Kind zu zeugen. Ich meine, ein Buch zu schreiben. Irgendetwas ist immer. Irgendetwas kommt immer dazwischen.

Also ist jetzt genau so gut wie morgen oder nächste Woche oder nie.

Mein Alltag hat wieder diese Leitplanken, die mich nerven, die mich beruhigen. Zehntausend Zeichen. Um das auch nur halbwegs zu erreichen, muss ich Prioritäten setzen. Auf der zwanzig Minuten dauernden Zugfahrt nach Zürich lese ich keine Klatschheftli mehr, sondern ich klappe den Laptop auf. Zwanzig Minuten zurück: schon fast eine Stunde. Dass Angelina beunruhigend dünne Arme hat, nehme ich auch im Vorübergehen wahr. Ich stehe eine halbe Stunde früher auf. Ich gehe eine halbe Stunde später ins Bett. Ich nehme das Telefon nicht mehr ab. Irgendwo finde ich die Zeit, die ich brauche – nein, die meine Figuren fordern – aber offenbar nur unter diesem blödsinnigen selbsterzeugten Druck. Ich bin nicht speziell stolz darauf, dass diese einfache Form der Selbstüberlistung bei mir so gut funktioniert. Ich nehme es einfach zur Kenntnis. Und nutze es für meine Zwecke. Konkret: Wenn es gerade günstig liegt, schreibe ich einen Teil meines Romans im November (national novel writing month), angetrieben, mitgetragen, von hunderttausenden von Schreibenden. In anderen Monaten bitte ich eine schreibende Freundin, mich anzustacheln, indem sie mir jeden Abend ihre Zeichenzahl schickt. Der tägliche Vergleich mit der anderen stachelt mich an. 11’000? Angeberin! Warte nur, denke ich, dir zeige ich es!

(Hey, Magdalena, what do you say?? January Jeopardy??)

Kindisch, ich weiss. Peinlich. Unliterarisch (unliteraturwürdig?) Kafka dreht sich im Grab ermattet auf die andere Seite.  Aber wenn es nun einmal funktioniert? Ausserdem lassen mir die Figuren gar keine andere Wahl. Wer weiss, was passieren würde, wenn ich die Stimmen in meinem Kopf nicht zum Diktat aufnähme…?

6.1.    Kurs vorbereitet, Kolumnen, Radiogeschichten, Bürokram etc. Der Versuch „alles zu erledigen bevor ich mich an die Geschichte setze“ scheitert. Alles ist nie erledigt. Trotzdem: 10’456 Z

7.1. Um 7.00 in den Zug gestiegen, langer, anstrengender Kurstag, Katchie übernachtet bei mir, wir trinken Wein, reden… sie geht um neun Uhr schlafen, jetlag. Ich denke… wenn ich jetzt den Blog nicht hätte… aber ich habe. Vierzig Minuten später stehen vier hungrige Teenager in der Wohnung, die ich, weil das Gästezimmer keine Türe hat, nicht in die Küche lassen will. Versuche, lautlos Pasta zu kochen, setze mich dann noch einmal hin. 5765 Z.

Ohne meine Selbstüberlistung hätte ich heute garantiert nichts mehr geschrieben. So hab ich aber zwar mein Ziel nicht erreicht, aber eine neue Facette einer meiner Figuren – Erikas Tochter – kennengelernt, die mich zutiefst beunruhigt. Eine schöne Liebesgeschichte ist jedenfalls nicht in Sicht. Aber macht nichts. Ich habe die Kontrolle über mein Schreiben längst abgegen.

Und die Buchhaltung habe ich auch nicht gemacht.

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7 Kommentare

Kommentare

  1. Karin Braun meint

    Hi Milena, bei mir funktioniert es mittlerweile ganz ähnlich. Ich glaube mensch muss einfach akzeptieren, dass es immer etwas geben wird, das gleich erledigt werden sollte oder halt dazwischen kommt, wenn eigentlich die Geschichten dran wären. Mittlerweile kann ich es gut aushalten, die täglichen Pflichten ruhen zu lassen und zu schreiben, wenn die Figuren es wollen. Komischerweise wird der ganze Kram, der soviel Aufmerksamkeit gefordert hat, dann doch fertig. Wahrscheinlich wird diese Arbeit von den Geschichtenschreiberelfen (du weißt, die die dafür sorgen das Geschichtenschreiber Geschichten schreiben, ohne von dem täglichen Einerlei behindert zu werden) erledigt.
    Alles Liebe Karin

  2. Barbara meint

    Ins Schnellboot, auf die Achterbahn, in den TGV etc. da muss ich dir leider einen Korb geben, aber ich verspreche dir, jedes Mal wenn du im Blog an mir vorbeifräst feuere ich dich an „hopp Milena, hopp Milena, hopp Milena, …“ (-:
    Ich habe übers Wochenende „Marius“ entdeckt, bzw. Anna hat ihn auf dem Friedhof getroffen und da bahnt sich etwas an … Vielleicht eine Liebesgeschichte? (-: Zum Glück habe ich diese Szene bereits Mitte Oktober geschrieben, aber erst letzte Woche wieder aus dem Computer gefischt mit einem ungläubigen Augenreiben: Was, das habe ich geschrieben? Warum schreibe ich da eigentlich nicht weiter? Zum Glück deshalb, weil ich gerade Hanns-Josef Ortheils Buch „Liebesnähe“ lese, nein, das Buch fast verschlinge, bzw. am liebsten in diesen Text hineinschlüpfen und dort mittun würde und ohne den Anfang im Oktober hätte ich vielleicht den Verdacht, ich sei von dieser Liebesnähe beeinflusst … Aber die Figuren im Buch haben mich ermutigt , mein Tempo eher zu drosseln, um die Kontrolle abzugeben, um in eine Szene einzutauchen, einer Szene nachzuspüren … Mal sehen, was daraus wird, heute hat es genützt. Und? Wieviel Zeichen, Milena? Ich gehe bald schlafen, während du noch die 10’000 auffüllst, oder? Buona notte, Barbara

    • Milena Moser meint

      @ Barbara: Wie schön, dass du wenigstens im Nachhinein erkennen kannst, was du geschrieben hast! Für dich gilt erst recht: nichts wegwerfen! Ich freue mich, dass du wieder drin bist in deiner Geschichte, und bin gespannt, was sich da anbahnt!

  3. Sascha meint

    Darf ich Dich als „Kafka-Kennerin“ beruhigen? Soll er sich doch im Grabe umdrehen! Ups, ich glaube, er hat mich gerade gehauen. Er hängt hinter meinem Schreibtisch. ;) Ich wünsche Dir weiterhin viel Selbstüberlistung!

    • Milena Moser meint

      @ Sascha: Mit mir ist er eben besonders streng, er nimmt mir halt immer noch übel, dass ich Milena heisse, eine Frechheit – für die ich aber nun wirklich nichts kann!

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