Brot und Spiele.

Die Würfel sind gefallen. Gestern nahm ich an der BuchBasel zum ersten Mal an einem Schreibspiel teil. Und es hat mir wahnsinnig grossen Spass gemacht. Dabei bin ich keine grosse Gesellschaftsspielerin. Bei Kartenspielen kann ich mir die Regeln nicht merken, und verrate mit jeder Frage mein Blatt. Wortspiele liegen mir schon gar nicht, und beim Scrabble habe ich vor Jahren in Amerika haushoch – auf deutsch, wohlgemerkt. Und zwar gegen meinen damals zehn Jahre alten, englischsprachig aufgewachsenen, noch nicht mit dem Schweizer Schulsystem in Berührung gekommenen Sohn und eine amerikanische Freundin, die mit einem Schweizer verheiratet war und deshalb am Goetheinstitut Deutschstunden nahm, einmal pro Woche. Ich, die Schriftstellerin, habe verloren. Und nicht zu knapp. Vielleicht, weil ich Worte, aus ihrem Zusammenhang gelöst, nicht erkenne. Vielleicht, weil Worte für mich immer Teil einer Geschichte sind.

So stolpere ich auch täglich beim Aufräumen der Kommentarschublade dieses Blogs über Einträge wie: I loved as much as you’ll receive carried out right here. nonetheless, you command get bought an nervousness over that you wish be delivering the following. unwell unquestionably come further formerly again as exactly the same nearly very often inside case you shield this increase.

Ein amerikanischer Surrealist, aus dem Grab auferstanden, berührt von meiner unverbrochenen Liebe zur Ecriture automatique? Oder doch nur, wie seine email adresse vermuten lässt, eine dubiose Quelle für cheap viagra? Manchmal, ich gebe es zu, bin ich versucht, einen dieser Links anzuklicken. Cheap Gucci Bags! Louboutin!

Aber da ich schon einmal mit dem falschen Klick am falschen Ort einen Phish an Land gezogen habe, halte ich mich zurück. Fragt mich nicht was ein Phish ist, jedenfalls musste ich meine Bankkonten auflösen und meinen Computer zur chemischen Reinigung bringen. Anyway. Aber das hier ist echt, oder nicht?

Exzellent formuliert. Diese Tatsache ist great. Auch die weiteren Texte sind imposant. Grosser Fan.

Ich schaue mir die email Adresse an, die lautet: ZurWebseite. Und ich fühle mich verraten. Es gibt offenbar Computerprogramme, die Worte relativ wahllos aneinanderreihen, um den Eindruck zu erwecken, ein echter Mensch habe in die Tasten gegriffen. Es gibt auch Computerprogramme, die ganze Romane schreiben.

Zurück zum Spiel. Wir waren zu viert. Ich war die einzige, die noch nie mitgespielt hatte. Ich wusste also nicht, dass zu den gewürfelten Ikonen jeweils ein Thema vorgegeben wurde. Und dass es nicht darum ging, in den 3 Minuten Schreibzeit jeden Begriff in den Text einzubauen, sondern ihn möglichst geistreich zu interpretieren. So wurde aus einem Walfisch „wahlweise“ und aus einem Tempel „Beim Zeus!“ Normalerweise entscheidet der Applausometer, wer das Spiel gewinnt, gestern, gottseidank, ging es nur um den Spass. Und den hatte ich. Auch wenn ich nie ganz fertig wurde, auch wenn ich ganze Sätze sozusagen verschwendete, ohne mich um die Ikonen zu kümmern: Zu jedem Thema fiel mir etwas ein. Mehr als etwas, ich hatte sofort eine Figur, eine Situation, machmal sogar ein Umfeld. Dass ich dieses in drei Minuten nicht perfekt wiedergeben konnte, war mir egal. Ich spürte, dass ich trotz Roman und Morgengeschichten und Kolumnen und Texten nicht ausgeschrieben bin. Da ist noch ganz viel. Da ist ein unerschöpflicher Vorrat an Geschichten. Vielleicht ist Vorrat das falsche Wort, den ein Vorrat ist einmal angelegt worden, er ist begrenzt. Vielleicht ist es eher eine Quelle, die nicht versiegt.

Jedenfalls habe ich mir ein Spiel gekauft, vordergründig für meine Kurse – freut euch! Doch natürlich habe ich es später im Zug gleich ausgepackt und weitergespielt. Beim Umsteigen traf ich einen berühmten Schriftsteller, der die Schultern hängen liess, auch er kam aus Basel. „Sie haben mich behandelt wie einen Hund“, sagte er. Doch nachdem wir ein paar Minuten geredet haben, lachte er schon wieder.

„Diese Massenveranstaltungen sind halt schwierig“, sagte ich zu dem Kollegen. „Die Veranstalter sind überfordert, man merkt, dass man nur einer von vielen ist, dabei…“

„… möchte man der Einzige sein!“, ergänzte er und lachte. Dann ging er nachhause und ich nahm den nächsten Zug. „… dabei ist man doch auch jemand!“, hatte ich sagen wollen.

Spass haben hilft, dachte ich. Spielen hilft. Das Ego hingegen ist nur im Weg, beim Schreiben wie überall sonst. Amen.

Und zum Schluss noch ein Wortspiel von der verehrten Dorothy Parker. Als sie gebeten wurde, das Wort horticulture in einem Satz zu verwenden, sagte sie: You can lead a horticulture but you can’t make her read.

Ich habe zwei Tage gebraucht, um es zu verstehen.

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

3 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Ich mag Icon Poets auch. Und ich bin stolz darauf, dass mir einmal „Rotkäppchen“ eingefallen ist, als der Würfel eine Weinflasche zeigte. „Beim Zeus“ gehört in diese Kategorie. Aber „wahlweise“ für das Icon „Wal“?! – Da muss ich leer schlucken. Das tüpft mich an einer empfindlichen Stelle.
    Ich bin weiss Gott nicht verwöhnt, was das Herumfuhrwerken anderer in meinen Texten angeht. Man muss Kompromisse akzeptieren können, wenn man veröffentlicht werden will. Ich jedenfalls. Mit nachträglich hineingeflickten „Auchs“, „Danns“, „Alsos“ und „Stattdessens“ kann ich leben. Auch mit zusätzlichen Erklärungen, die ich selber nicht nötig finde. Kurz: Mit Allem, was den Sinn nicht verändert. Dann aber hört bei mir der Spass auf. Wenn der Inhalt angetastet wird, stehe ich auf die Hinteren.

    Ein Icon ist dazu da, von allen verstanden zu werden, welche Sprache sie auch immer sprechen. Sehe ich das Icon „Flasche“, bildet sich in meinem Kopf automatisch das Wort „Flasche“. In meinem Fall ist es das deutsche Wort.
    Gleich darauf kommen die Assoziationen. Mit denen lässt sich wunderbar spielen, dieser Meinung bin ich auch. Aber sie müssen gefiltert werden. Was dem Sinn nicht entspricht, gehört nicht in die Geschichte – und hat keinen Beifall verdient.

    Es ist doch nur ein Spiel!
    Ja, es ist nur ein Spiel.

    Jodok lässt grüssen. Oder wie hiess schon wieder der Mann mit dem Tisch und dem Bett in Peter Bichsels berühmter Geschichte?

    Es ist doch nur eine Geschichte.
    Ja, es ist nur eine Geschichte.
    Vorläufig.

    Liebe Milena, ich habe viel zu grosse Hochachtung vor deiner Arbeit, als dass ich mir herausnehmen würde, dir Ratschläge zu erteilen. Normalerweise. Jetzt kann ich nicht anders. Obwohl du das, was ich dir zu sagen habe, natürlich längst weisst. Es ist ja gewissermassen dein Credo. Aber manchmal muss auch etwas bereits Bekanntes wieder einmal laut gesagt werden:
    Lass dich nicht einschüchtern! Es geht nicht um Raffinesse, nicht um „Sprachkunst“. Es geht um Literatur und somit ums Leben. Es geht um genau das, was du machst.

    Hab einen guten Sonntag!
    Liebe Grüsse
    Regula

  2. Regula Horlacher meint

    @Milena: Oh ja – eine nie versiegende Geschichten-Quelle, das wünsche ich dir!!!
    Also, ähm … zugegeben, mein Wusch ist nicht ganz lauter, nicht ganz so uneigennützig, wie man vielleicht auf den ersten Blick annehmen könnte, das heisst, ich wünsche mir deine unversiegbare Quelle mindestens so sehr für mich selbst wie für dich, denn ICH WILL DAS ALLES LESEN!!!
    :-) :-) :-)

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.