Das Leben niest.

screen-shot-2012-09-10-at-2-25-18-pmEine Woche ohne Aufführungen, ohne Kurse. Eine reine Schreibwoche also. Der absolute Luxus. So will ich leben, das wird mir immer klarer. Weniger auftreten, mehr schreiben. Mehr schreiben, weniger verkaufen. Weniger Schriftstellerin sein. Klingt gut, nur muss man sich das Schreiben dann auch noch leisten können. Das Problem beisst sich in den Schwanz. Doch langsam zeichnet sich eine Lösung ab. Eine einfache, pragmatische Lösung. Im Moment noch nicht durchführbar, aber bald. Alles wird gut, denke ich und lehne mich zurück. Ich sehe meine Zukunft, sie rollt sich vor meinen Füssen aus wie ein Teppich, kein roter, ein gemusterter. Ein klares Muster, ruhige Farben. Ich atme aus. „Waiting to exhale“ – so hiess, wenn ich mich recht erinnere eine romantische Komödie, in der vier oder fünf Frauen einen Mann suchen. Also nicht gemeinsam, sondern jede einen eigenen. Und erst, als sie ihn gefunden haben, erlauben sie sich, auszuatmen. Wieso kommt mir das jetzt in den Sinn? Das meine ich nun überhaupt nicht. Ich meine nur, dass das Leben keine sauberen Lösungen mag und keine langfristigen Pläne. Man kann also davon ausgehen, dass in dem Moment, in dem man sich zurücklehnt und ausatmet, etwas passiert. Das Leben niest. Das Leben verschluckt sich. Es spuckt den schönen Plan in hohem Bogen wieder aus. Macht aber nichts.

Ich versuche mich an einer anderen Art von Plan, einem Arbeitsplan. Mit Bleistift zeichne ich gschtabige Raster in meinen Kalender, fülle die Felder mit Zahlen, radiere sie wieder aus. Abgabetermin ist der 15. August. Macht so und so viele Tage für so und so viele Seiten. Wenn ich jeden Tag zehn Seiten schreibe, habe ich noch genug Zeit zum Überarbeiten. Aber ist das realistisch? Was steht sonst noch alles im Kalender? Jeden Tag acht Seiten…. vier…. oder zwölf? Je unrealistischer meine von Hand gezeichnetes Excel-Sheet sich ausnimmt, desto ruhiger werde ich. Desto sicherer bin ich, dass ich es schaffe. Ich blicke auf, schaue mich um, das Leben verhält sich ruhig. Es niest nicht, es schnieft nicht einmal.

Unverhofft blitzt die Sonne auf, ich gehe auf meine Terrasse hinaus. Man kann auch im Freien arbeiten, wenn einen die Pflanzen nicht ablenken. Leider habe ich keine Ahnung vom Gärtnern und auch keine Zeit dafür. Trotzdem liebe ich es. Vielleicht weniger das Gärtnern als die Pflanzen selber. Ich trage sie von einer Ecke in die andere, ich zupfe an ihren Blättern, ich rede mit ihnen. „Was ist los, gefällt es dir hier nicht? Wiillst du an die Sonne? Keine Sache, ich schieb dich rüber!“ Aus Gründen, die niemand kennt und die vor allem meinen pflanzenkundigen Freundinnen nicht einleuchten, blüht und wuchert es auf meiner Terrasse aufs wildeste und schönste. Fast hab ich ein schlechtes Gewissen: Dass ich, die ich mir so gar keine Mühe geben, so reich belohnt werde. Vermutlich versteckt das Leben in meinen Blumentöpfen irgendeine Art von Weisheit, eine Lektion? Vor ein paar Tagen sassen wir draussen, ein junger Mann hielt in einer Hand ein Glas Prosecco, in der anderen eine Hantel. Abwechselnd hob er beide Arme, den einen schneller als den anderen. Jemand anderes, jemand, der sich mit Buddhismus befasst, brauchte im Zusammenhang mit meiner Terrassenbepflanzug die Begriffe „nicht Wissen“ und „nicht Tun“. Was nicht dasselbe sei wie nichts wissen und nichts tun. Ganz verstanden habe ich es nicht. Aber ganz klar, das Leben mag das. Besser als Planen. Nicht wissen, nicht tun, nur weiter atmen.

2014-06-01 09.35.04

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5 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Kürzlich habe ich eine Kolumne von Peter Schneider gelesen, in der er sich, angeregt durch einen Leser, über das Wort „Tagesstrukturen“ aufhält. Unter anderem ärgert er sich darüber, dass „Senioren im Heim mit Singen und Turnen traktiert werden.“ und sich das dann „Tagesstruktur nennt“. (Ich möchte ihm nichts unterstellen, aber dass er sich ärgert, scheint mir, da er an dieser Stelle den Begriff „traktiert werden“ verwendet, klar zu sein.) Peter Schneider ist nicht der Einzige, der findet, die Bewohner der Altersheime würden mit Aktivierungsangeboten bedrängt, das liest und hört man oft. Ich persönlich habe andere Erfahrungen gemacht. Die Alten, mit denen ich zusammenarbeitete, waren froh um die Möglichkeit, sich zu betätigen.
    Ich erwähne das obige Beispiel, weil es mir beim Schreiben dieses Kommentars im Zusammenhang mit den buddhistischen Begriffen „nicht wissen“ und „nicht tun“ eingefallen ist, die Milena in ihrem Input angesprochen hat. Ich glaube, die Versuchung, von sich selber auf andere zu schliessen, ist gross, und die Gefahr eines Fehlschlusses, weil man unter Umständen Äpfel mit Birnen vergleicht, immer vorhanden.
    Vielleicht geht es im Leben gar nicht so sehr darum, was man tut, sondern vielmehr um die innere Haltung, mit der man etwas tut. Vor Jahren habe ich in einem Kurs das Gedicht „Meditation für eine Tulpenzwiebel“ von Andrea Schwarz kennengelernt. Eine Ich-Erzählerin pflanzt eine Tulpenzwiebel und wird sich, während sie dies tut, über etwas klar, das man nur allzu leicht vergisst, obwohl es eigentlich selbstverständlich ist: Man kann nichts erzwingen. Ob diese Tulpenzwiebel zu keimen beginnt, wächst und schliesslich Blüten treibt, liegt nicht in ihrer Hand. Ihr bleibt nichts, als zu warten und zu hoffen.

    Einige Tage vor meinem achtundzwanzigsten Geburtstag starb meine Grossmutter. Sie hinterliess mir nebst unzähligen wunderbaren Erinnerungen und etwas Geld auch einen mit Einlegearbeit geschmückten Sekretär aus Kirschbaumholz. Seit ich weiss, steht auf der rechten vorderen Ecke dieses Sekretärs eine Grünpflanze. Ich kann ihn mir ohne eine solche Pflanze nicht vorstellen. In meiner jetzigen Wohnung befindet sich der Sekretär gut zweieinhalb Meter vom Fenster entfernt. Eigentlich zu dunkel für eine Pflanze, wie ich sehr wohl ahnte, als ich einen Efeu kaufte und dort platzierte, wo er meiner Ansicht nach hingehörte. Bald begann er zu serbeln. Meine Wohnung ist klein, der Platz für Grünpflanzen begrenzt. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn auf den Balkon zu stellen. Er brauchte lange, um sich wieder ganz zu erholen. Jahre. Er wuchs zwar ständig ein bisschen, aber andauernd befielen ihn Läuse, und ich musste ihn mit Seifenlauge behandeln. Im letzten Herbst schien mir, er benötige mehr Platz. Deshalb kaufte ich ihm einen grösseren Topf. Das gefiel ihm offensichtlich. Ich glaube, er ist jetzt über den Berg. Ab und zu finde ich noch eine Laus, die ich zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücke, aber Seifenlauge haben wir schon lange nicht mehr gebraucht.
    Übrigens: Auf dem Sekretär steht seit einiger Zeit ein künstlicher Stellvertreter. Weiss-grün panaschiert. Wenn man nicht allzu genau hinschaut, sieht er beinahe aus wie echt.

    • Regula Horlacher meint

      Das Zitat heisst natürlich richtig „Senioren im Heim mit vorhersehbarer Regelmässigkeit mit Singen und Turnen traktiert werden.“ Das Versehen tut mit leid, und ich möchte mich dafür entschuldigen.

  2. Hans Alfred Löffler meint

    Uff … aber nicht doch, ich hatte geplant, einen Kommentar zu schreiben zum DAS LEBEN NIEST (1.Juni 2014), aber es einfach nicht geschafft, bis ich am 5. Juni 2014 früh am Morgen feststellten musste, dass Du uns Kommentatoren und Kommentatorinnen, d.h. Leser und Leserinnen Adieu geschrieben hattest: «Auf ein andermal, anderswo!».
    Ohä … aber ganz sicher doch ungeplant, klickte meine Lieblingsikone auf meiner eigenen WebSite auf meinem SmartPhone, wir schreiben immer noch 5. Juni 2014 nur wurde es inzwischen 16 Uhr, d.h. jetzt ist es schon 16:39 Uhr und die eingeplante Fahrt nach Zürich wird, wenn überhaupt etwas später als geplant gefahren. Und auch weil ich mich der Steuererklärung 2013 verspätet hatte, aber jetzt kommt sie mit mir und landet dann in einem Briefkasten.
    Aber … erst einmal ganz lieben aufrichtigen Dank für die «niessende» Kolumne. Olga sagte mir schon, dass Leute die viel und gerne lesen, zu einer tieferen Sicht in das eigene Dasein verholfen wird. Ich kann der Olga nur zustimmen, und Dir damit auch. Alles Gute für Deine weiteren Pläne, Dein Tun und Dein Lassen.

    • Hans Alfred Löffler meint

      @ Milena @ Regula : Dann ist ja alles gut, sogar bestens – Frauen wie ihr, schreibende habt andere Zeiten als die sogenannten stark-geschlechtlichen. Bei kann ein Tag aus 11 Stunden bestehen, wenn die Nacht dazukommt halt nur 22 Stunden, haupsächlich im Kanton Solothurn wie ich einer zugeschickten Postkarte entnehmen konnte (danke RHH) und bei Pam Houston besteht ein Reisebericht aus 144 Kapiteln, denn ihre beliebte Zahl ist 12 was weder mit den Aposteln noch mit Zeit zu tun hätte, wie sie mir, dem hauptberuflichen Leser glaubhaft versicherte, schriftlich. Z.Zt. nimmt mich aber Bill Bryson in Anspruch der behaupted, das die Kunden, frauliche, in einer Pariser Bäckerei in angesehen hätten, als wäre er gerade dabei ihnen in ihre Handtaschen zu furzen. Das war gelesen heute um 01:59 in der Früh und um 10 Uhr ist auch der letzte meiner WGenossen nach Deutschland abgereist … fluchtartig wie mir schien, wahrscheinlich wollte er wieder einmal so richtig durchschlafen ohne mein Gepruste während den Nachtstunden, oder mein Schniefen und Schneuzen … jenachdem. Frohes Wochenende – grins :-)

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