Das Messer geht zum Kuchen, bis es bricht

So sieht es also aus. An einem ganz normalen Morgen an meinem Küchentisch (ja, ich esse Kuchen zum Frühstück. So shoot me!) Die scheinbar zarten, sahnigen Stückchen sind in Wirklichkeit beinhart. Das alte Messer, aus einem immer kleiner werdenden Set von Erbstücken, unzählige Male gebraucht, gewaschen, abgetrocknet, weggesteckt, eingepackt, an einem fremden Ort wieder ausgepackt – das alte Messer hat genug. Es bricht.

OK, aber was heisst das nun? Meine Lieben, einmal mehr: Ich weiss es nicht. Noch nicht.

Auf der Realitätsebene: Kuchen besser nicht im Kühlschrank lagern, beziehungsweise etwas früher herausnehmen. Doch dieser Moment geht über das Pragmatische heraus. Ich erzähle ihn verschiedenen Leuten auf verschiedene Art, ohne eine Pointe zu finden. Ich ernte immer denselben verwirrten Blick. Warum erzählst du mir das, fragt der Blick. Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass da etwas ist. Ich fotografiere den Teller, ich halte etwas fest. Etwas, von dem ich nicht weiss, was es ist.

Heute Morgen esse ich keinen Kuchen, sondern ein Gipfeli von gestern. Es schmeckt nicht. Das ist nicht festhaltenswert. Dafür lese ich in der NZZ am Sonntag ein Bericht über Pippilotti Rist und ihr Atelier. Ihr Archiv. Sie sammelt Dinge, sie sammelt Farben, sie sammelt Licht. Warum? Ist es das, was den Künstler ausmacht, dieses Erkennen des Potentials der alltäglichsten Dinge? Momente? Diesen Mut, etwas festzuhalten, das noch nichts ist? Und dieses Nichtwissenwasesist aushalten zu können? Im Gegensatz zu mir hat sie ein System, weisse Schachteln, saubere Aufschriften, ein ehemaliger Lehrer hilft ihr dabei. Die Knöpfe zu den Knöpfen zu tun, die Metallklammern zu den Metallklammern, die Bänder zu den Bändern. Das kann man delegieren. Ein bisschen beneide ich sie darum. Dabei weiss sie genau so wenig wie ich, was aus dem Knopf, der Klammer, der gründurchsichtigen Folie einmal werden wird. Sie weiss nur, wo sie die Dinge findet. Wenn sie sie einmal braucht. Sie hat ein Archiv. Ich habe einen Kopf. Wenn es denn wirklich der Kopf ist, der diese Momente festhält. Ich habe auch, daran erinnere ich mich jetzt, ein Regal voller angefangener Notizbücher. Sie gehen fast dreissig Jahre zurück, eine sprunghafte, lückenhafte Ansammlung von Momenten, von Fragen, von Verzweiflung – ich blättere sie durch, und stosse immer wieder auf dieselben Momente der Verzweiflung, auf dieselben Fragen. Das Glück festzuhalten, ist vielleicht gar nicht möglich, jedenfalls nicht mit Worten. Ich räume die Hefte wieder ein, nehme die Bücher hervor, die ich vor dreissig Jahren gelesen habe, Boris Vian, Raymond Queneau, mein französisch ist schwach geworden in all den Jahren, wacklig wie nach einer langen Krankheit, ich verstehe nicht viel, doch die Leichtigkeit dieser Sprache durchdringt mich sofort. Kuchen, denke ich. Proust. Ich lasse mich treiben.

Liebe Karin, du fragst, ob etwas Neues brustle – danke für dieses wunderbare Wort! Ich höre es knistern unter meiner Brust, ein Feuer sich entfachen, eine ganz kleine Flamme nur, von jedem Atemzug ermutigt… Ja, definitiv, es brustelt – aber nichts Neues. Es ist viel eher so, dass sich die beiden Geschichten von Nevada und Dante, von Erika und ihrer Tochter, immer mehr verdichten. Sie fliessen zusammen und wieder auseinander, sie fliessen jeden Tag breiter, bestimmter. Die Richtung ist klar. Es mag noch Umwege geben, Verzweigungen, Verästelungen, doch der Fluss ist nicht mehr aufzuhalten. Die Geschichte schreibt sich. Und nun, wo das „Was“ meines täglichen Schreibens entschieden ist, befreit sich das „Wie“ vom blossen Auftrag, zu erzählen. Ich spiele, ich experimentiere, ich schreibe im Kreis herum, ich schreibe denselben Satz zehnmal hintereinander, bis er sich auflöst, bis er seinen Sinn verliert. Ich erlaube mir, über ein Stück Kuchen zu schreiben, das nirgends hingehört, nicht auf den Frühstückstisch, nicht in den Text, ich spiele mit dem Messer, bis es bricht, ich denke an meine Urgrossmutter, die ich nicht gekannt habe.

Das ist Glück.

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5 Kommentare

Kommentare

  1. Regula am See meint

    Guten morgen miteinander,
    ich sage nur Amaretti und sauberer Schnitt :-).
    Sammeln ist auch ein schönes Wort…..ich sammle auch. Unzählige Dinge vor allem Dinge dich einmal verbasteln werde. Schwemmholz, Perlen, Mosaiksteine, Knöpfe (noch solche von meiner Grossmutter aufbewahrt in einer ihrwisstschonwiesieaussiehtDose). Und ja Fimo in fast allen Farben. Bis die dann aber wirklich mal zum Einsatz kommen, sind sie vermutlich vertrocknet. Aber, immerhin, ich bin vorbereitet. Wenn mich die Bastelwut treffen sollte, hahaaaaa, ich bin vorbereitet und kann gleich loslassen.
    Nach jeder Creaktiv Messe, habe ich mehr verrostete Dingens die ich an die Schwemmholzgirlande hängen könnte die ich in meinem Kopf bereits gemacht habe. Ich habe erst vor ein paar Wochen Glas gekauft, dass ich vermosaiken werde. Auch drei zurechtgeschnittene Holzplatten habe ich xtra beim Schreiner im Dorf geholt. Spiegeli, habe ich. Silikon, habe ich. Fugenmehl, jawohl auch das habe ich. Lust jaschonaber Zeit njähm noch nicht so richtig. Man geht ja auch nicht nur für eine halbe Stunde so in den Bastelraum da kommt nix gscheites dabei heraus. So ist es mit dem gesammelten. Stets gut vorbereitet, alles zur Hand haben, dass wenn’s den soweit ist, kann man zack loslassen.

    Ein Blick zum Himmel.. heute ist ein guter Tag zum produzieren, irgendetwas. Texte, Bilder, Basteleien…. Kreativer Gruss, Regula am See

  2. Karin meint

    Liebe Milena, schön das dir das Wort brutzeln gefällt. Ich mag es auch und es hat einen besonderen Platz in meiner Sammlung toller Wörter.
    Der besteckmordende Kuchen sieht wirklich toll aus. Das ist ein Frühstück wie ich es mir wünschen würde.
    Zu der zerbrochenen Klinge fallen mir schon wieder zig Geschichten ein. Ich bin sicher dir auch. Werde gespannt im neuem Werk danach Ausschau halten. :-) Alles Liebe Karin

  3. Isabel meint

    Der Ton gelang nicht ganz so, wie es sich das Messer vorgestellt hatte: Egal. .Das ist es, was es gewollt hatte: auf eine süsse Weise in die ewigen Jagdgründe eingehen. Wie hatte es gesäbelt, als es noch jung war! Damals, scharf geschliffen, machte es sich mit schneidendem eifer über das saftige Fleisch her, um es mundlich zu zerlegen. Kartoffel? Kam nicht in Frage! Das war etwas für die Geschwungene mit den Zacken, die nur ihre Spitze sanft in den linden Kartoffelbauch stecken musste, um ihn in appetitliche, mundgerechte Stücke zu zerteilen. Freilich, es gab auch die vulgären Gabelinnen, die alles zerquetschen mussten. Aber richtig geliebt hatte es die Gefährtinnen, die ihm seine Opfer zuspielten, auf dass es sie mit elegantem Schnitt sauber zerteilen konnte.

    Wann hatte es gemerkt, dass es müde wurde? So viele Hände, durch die es gegangen war. Manche achtlos, manche rauh, und dann wieder sanfte Frauenhände, die seine Klinge leicht zu streicheln schienen. Gerne hatte es dann seinen Dienst getan!

    Mit der Zeit war dann der Glanz verflogen. Früher, als es noch schön war, hatte so ein leichtes junges Ding es regelmässig mit einem Silbertuch geputzt. Doch irgendwann war es aus der Mode gekommen. Man nahm es heraus, um seinen alten Glanz zu demonstrieren, betrachtete es, wie ein Kuriosum aus einer längst vergangenen Zeit. und später nahm man es nicht mehr wahr. Seine Schneide hatte an Schärfe verloren, aber wie eine lieb gewordene Marotte gebrauchte man es für dies und das; einmal, was das Messer am meisten empörte, wagte ein Rüpel sogar, es zu greifen, um den Dreck aus den Fingernägeln heraus zu pulen. Dies freileich hatte es sich nicht gefallen lassen, und doch noch einen Weg gefunden, um den ungehobelten Nutzer zu verletzen. War es dort gewesen, mit dem Schmiss an den Boden, das etwas in ihm zersprang? Seine Dauerhaftigkeit? Sein aufrechtes zu seinem Schnitt stehen? Jedenfalls hatte das Messer es sich angewöhnt, sich unter seine Kollegen zu schieben, und nur wenn eine warme und liebenswürdige Frauenhand es streifte, hatte es sich entgegen geschmiegt. Die gemeinsamen Stunden am Morgen, zusammen mit den süssen Stückchen, die ihre Schönheit mit ihm teilten, hatten ihm die Alterssonne geschenkt. So einmal sterben….

    Das Messer seufzte wohlig, machte es sich auf seinem süssen Bett bequem, und verschied.

    :) Isabel

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