Das mit dem Geld

Ich danke für eure Anteilnahme an meinen finanziellen Sorgen. Aber so schlimm ist es nicht. Ich kenne nun mal nichts anderes. Ich habe immer schon so gelebt, schon als Kind. Mal war Geld da, mal war keines da. Ausserdem wuchs ich in einer Zeit auf, in der alles möglich schien. Selbstverwirklichung galt damals durchaus als brauchbares Lebensziel. Und obwohl ich einen anständigen Beruf gelernt habe, Buchhändlerin, ist es mir nie in den Sinn gekommen, anders zu leben. Die Möglichkeit, einen „richtigen“ Job anzunehmen, blieb wohl im Hintergrund präsent, für den Notfall, der aber nie eintrat. Ich heiratete Männer, die explizit keine Versorgerrolle einnehmen wollten und bekam trotzdem Kinder. Ich sorgte nicht vor, ich rechnete nicht nach, ich sicherte mich nicht ab. Ich wurstelte einfach vor mich hin. Mal mehr, mal weniger erfolgreich, mal mehr, mal weniger erschöpft.

Das ist nicht Mut. Das ist nur Unwissen. Es ist, als ob ich den einfacheren Weg, den sichereren, nicht vor mir sehen würde. Als gäbe es ihn nicht. Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass es immer irgendwie geht. Man darf nur nicht auf dem Geld hocken bleiben. Wenn man es immer schön im Fluss treiben lässt, anders gesagt, mit vollen Händen ausgibt, kommt es auch immer wieder gerne zu einem zurück. Bis jetzt hat das immer irgendwie funktioniert, und das wird es auch jetzt.

Allerdings werde ich älter. Ich befinde mich sogar, wie ich heute im Stilbund der NZZ nachlesen konnte, auf dem besten Weg zum „Gammelfleischskandal“ (wenigstens bin ich jetzt nicht mehr traurig darüber, dass der wegrationalisiert wird!) Ich werde schneller müde. Die Erschöpfung hält länger an. Die Rückschläge erschüttern mich mehr. Und so frage ich mich manchmal doch: Ginge es nicht einfacher?

Vor mir liegt die Ankündigung der dritten Steuerüberprüfung in Serie. Mein ganzes erwachsenes Leben lang habe ich freiberuflich gearbeitet. Brav jeden Auftrag abgeheftet. Nie ein Problem gehabt, nicht in Zürich und nicht in San Francisco. Fünf Jahre in Möriken: drei Überprüfungen. Letztes Jahr haben sie etwas gefunden, einen einfachen Rechenfehler, die Belege lagen offen da, es war keine böse Absicht zu erkennen. Ich habe nachbezahlt. Es war ein kleiner Betrag, überhaupt verdient jeder Gemeindearbeiter mehr als ich. Aber trotzdem. Ordnung muss sein. Oder Strafe?

Auf dem selben Stapel unangenehmer Nachrichten liegt auch die Scheidungsvorladung. Auch hier werden mehr Beweise gefordert. Habe ich wirklich nichts, was ich meinem Ex noch übertragen oder zahlen könnte? Schliesslich habe ich immer mehr verdient als er – er war dafür mehr weg. Trotzdem, auch hier: Strafe muss sein.

Ich weiss, dass diese Ärgernisse und Engpässe Folgen meiner Entscheidungen sind. Ich hätte mich anstellen lassen können. Ich hätte nette Männer heiraten können. Ich hätte ein bisschen genauer nachrechnen können, in jeder Hinsicht, plus und minus, du und ich.

Und dann habe ich ein Interview mit Ildiko von Kürthy gelesen, die mit einem Journalisten verheiratet und Mutter zweier kleiner Kinder ist. Wenn sie ein Buch schreiben will, zieht sie für eine Weile nach Berlin. „Jeden Abend in den Ausgang, Mengen von Alkohol trinken bis morgens um drei, lang schlafen, dann im Pyjama an den Computer und schreiben.“

So geht es auch, denke ich. So wäre es auch gegangen. Man hat immer eine Wahl. Und jede Entscheidung hat Konsequenzen. Wer angestellt ist, wer in sicheren Verhältnissen lebt, hat mit ganz anderen Widrigkeiten zu kämpfen als ich. Schlimmeren, stelle ich mir vor. Jedes Leben hat seinen Preis. Was man als „bezahlbar“ empfindet, als zumutbar, ist eine subjektive Empfindung. Mein Weg mag manchmal steinig sein, dunkel, unheimlich, aber er ist frei. Und ich habe ihn selber gewählt, bewusst oder unbewusst. Ich bin vollkommen unabhängig. Das ist mir die eine oder andere schlaflose Nacht wert.

Was ich sagen will: Bedauert mich nicht. Wie heisst es im Lied? Selber schuld ist man immer selber. Und ich meine das im allerbestmöglichen Sinn!

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4 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    Liebe Milena
    Ich wählte immer den sichereren Weg.
    Ich war kein ein unternehmungslustiges Kind. Vor Allem, was irgendwie nach Abenteuer roch, fürchtete ich mich. Doch nicht nur das: Auch vor Alltäglichem schreckte ich zurück. Nur schon ein Botengang im Dorf zu jemandem, den ich nicht besonders gut kannte, machte mir Angst, und sogar auf die Glace, die ich am Zeltplatzkiosk holen durfte, während die Eltern am Anfang der Sommerferien das Zelt aufstellten, hätte ich lieber verzichtet. Ich war nicht „couragiert“, wie man das bei uns zu Hause nannte. Meine Mutter kannte nur ein Mittel gegen diesen mangelnden Mut: Üben. Ich übernahm dieses Mittel fraglos und stürzte mich, als ich älter wurde, in der Hoffnung es würde mir helfen, förmlich auf Tätigkeiten, bei denen ich irgendwelche Dinge organisieren musste, zum Beispiel den Verkaufsstand der Klasse am Sporttag in der Diplommittelschule. Ich litt Höllenqualen, weil ich beim Metzger anrufen musste, um die Würste zu bestellen. Das klingt masslos übertrieben, ich weiss, aber wenn ich es ohne die Scham betrachte, die ich damals empfand, weil mir nichts bewusst war, was diese Angst gerechtfertigt hätte, trifft es meine damaligen Gefühle ziemlich genau. Ich mass mich mit jenen Schulkolleginnen, die im Ausland trampten, die kaltblütig im Zug sitzen blieben, anstatt in Aarau auszusteigen, und ohne Billet nach Bern an den „Zibelemärit“ weiterfuhren, die nach Zürich reisten, um an den Demonstrationen teilzunehmen – obwohl ich das, was sie taten, nicht gut fand. Ich hätte mich auch nach denen am anderen Ende der Skala richten können, den Schüchternen, Frommen, aber das wollte ich nicht. Schliesslich hatte ich ja vor, Lehrerin zu werden, und da musste man „hinstehen“ können –
    Ich musste einen neuen Weg für mich erfinden, stellte meine persönliche Autonomie über alles, aber mein Antrieb war Scham und Angst, mein Vertrauen in meine Möglichkeiten klein, und so war es in Wirklichkeit umgekehrt: Ich machte das, was gegeben war oder was ich meiner Meinung nach allerhöchstens erreichen konnte, zu meinem Eigenen, zu dem, was ich unbedingt wollte. Die Entschlossenheit, mit der ich alle meine Entscheidungen vertrat, hätte Verdacht wecken müssen, aber niemand merkte etwas. Ich selbst auch nicht. Ich hielt mich für eigenwillig und galt auch dafür. Darauf war ich stolz.

    Ich lernte einen anständigen Beruf und heiratete einen netten Mann. Als die Kinder kamen, gab ich meinen Beruf auf, weil der nette Mann zwar nicht sehr viel, aber genug für uns alle verdiente.
    Was gewesen wäre, wenn sich der Beruf, den ich zu meinem Traumberuf erklärt hatte, tatsächlich als Traumberuf erwiesen hätte, habe ich mir bis heute noch nie überlegt. Tatsache ist, dass ich mich nicht zur Handarbeitslehrerin eignete und deshalb froh war, nicht länger unterrichten zu müssen. Das zu wissen genügte mir bis anhin.
    Auch über die spitzen Eckzähne des netten Mannes an meiner Seite dachte ich erst nach, als ich schon fast kein Blut mehr hatte. Dabei fletschte er sie manchmal vor lauter Liebe. Aber das machte mir nur ein schlechtes Gewissen, weil ich wusste, dass ich diese grosse Liebe niemals im gleichen Ausmass erwidern konnte.

    Ich gebe zu, dass Lea, die Protagonistin im „schwarzen Sofa“ autobiografische Züge hat. Auch ich bin ins Seminar gegangen. Zwar wollte ich nicht Kindergärtnerin werden, sondern Handarbeitslehrerin, und ich brach die Ausbildung nicht ab, sondern machte sie fertig, aber trotzdem: Die Ähnlichkeit lässt sich nicht leugnen. Dennoch hielt ich die Geschichte für erfunden. Bis am letzten Treffen meiner ehemaligen Seminarklasse Fotos herumgereicht wurden. Auf einem war ich selbst zu sehen, und was hing von meiner Schulter? Leas – meiner Meinung nach zu hundert Prozent erfundene – Schultasche. Dabei hatte ich selbst genauso eine Tasche besessen, sie aber offensichtlich vollkommen vergessen! Auf einem anderen Foto war das Ferienhaus abgebildet, in dem Lea und ihre Klassenkolleginnen ihr Skilager verbrachten. Auch die Beschreibung dieses Hauses glaubte ich erfunden zu haben. Mir wurde mulmig. Da spuckte mein Unterbewusstsein also Dinge aus, an die ich mich, obwohl ich sie eins zu eins beschreiben konnte, nicht erinnerte! Sie bleiben so quasi auf halbem Weg stecken! Was für eine verrückte, beunruhigende Entdeckung! Eine Schultasche und ein Ferienhaus waren ja noch harmlos, aber was, von all dem Geschriebenen, hatte ich sonst noch wirklich erlebt und wusste nichts davon? Überhaupt, was trieb mich um, von dem ich nichts wusste? Was bestimmte meine Entscheidungen? Verständlicherweise liess mich das Thema nicht so schnell wieder los. Immer wieder dachte ich in den nächsten Tagen darüber nach, bis sich auf einmal vor meinem inneren Auge eine filmartige Szene abzuspielen begann: Ich konnte mir selber zuschauen, wie ich auf einem langen Weg allein dahinging. Es war deutlich erkennbar, dass mir das Gehen Mühe machte. Ich kam kaum vorwärts. Eine unsichtbare Macht schien meinen Körper von der Strasse weg auf die danebenliegende Wiese ziehen zu wollen. Ich gab nicht nach, aber es war klar erkennbar, dass es mich grosse Kraft kostete. Ich zitterte vor Anstrengung. Der Wegrand kam immer näher, und dann stand ich plötzlich auf der Wiese, wo ich mit ausgestreckten Armen blind umherirrte. Neue Fragen kamen auf. Was war es, das mich von der Strasse wegzerrte? Warum war ich ganz allein? Warum griff niemand ein, obwohl ich Hilfe brauchte? Es war doch offensichtlich, dass ich nicht von dieser Strasse wegwollte, mir wurde Gewalt angetan!
    Da fiel mir etwas ein. Ich war kürzlich in einem Buch von Markus Werner auf ein paar Sätze gestossen, die mich nachdenklich gemacht hatten. Ich lese viel und manchmal, wenn mir eine Stelle wichtig erscheint, schreibe ich sie ab. Ich habe extra ein Heft dafür. Tatsächlich hatte ich mir das Zitat von Markus Werner notiert. Es lautete:
    „Aber deine Entschlüsse sind doch immer so bestimmt gewesen, habe ich nach einer längeren Pause gesagt, und Regina hat geantwortet, Entschlüsse könnten auch das Ergebnis von Entschlusslosigkeit sein und Bestimmtheit eine Notmassnahme gegen Zweifel.“
    Hm. Das klang einleuchtend: Bestimmtheit als Notmassnahme. Ja, so war es wohl. Meine Entschlossenheit, die ich bisher immer als Wesenszug von mir betrachtet hatte, war in Wirklichkeit eine Notmassnahme, damit niemand etwas von meiner Angst merkte! Aber, wovor hatte ich überhaupt Angst? Und warum durfte niemand etwas von dieser Angst merken?
    Ratlos stand ich auf meiner Wiese. Mein Hals wurde eng, meine Haut zog sich zusammen, ich brach in Schweiss aus. Hörte das denn nie auf?
    Irgendwann merkte ich, dass ich gar nicht blind war. Es gab nur nichts zu sehen auf dieser Wiese, nichts, woran ich mich hätte orientieren können: kein Baum, kein Stein, kein Haus. Es gab nur diese leere, flache, endlose Wiese und den Weg, von dem ich abgekommen war, und auf den ich zurückwollte.

    Ja, auf den ich zurück will. Nichts ist zu sehen, was mich daran hindern könnte. Und trotzdem scheint es nicht möglich zu sein: Ich kann mir zwar zuschauen, so lange ich will, wie ich auf dieser Wiese umhergehe, doch sobald ich versuche, mir vorzustellen, wie ich den Schritt von der Wiese auf den Weg mache, reisst der innere Film ab.
    Irgendetwas streikt in meinem Gehirn. Warum das so ist, kann ich nur vermuten. Sicher weiss ich nichts. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich ein Schädelhirntrauma, wie es als Folge eines Unfalls mit schweren Kopfverletzungen auftritt. Ich hatte aber nie einen solchen Unfall.

    Gewiss, ich finde auch, dass man immer und aus allem das Beste machen soll. Das tun wir ja auch, du und ich, so gut es eben geht.
    Aber, dass wir an all dem, was wir uns da wild entschlossen oder wurstelnderweise eingebrockt haben, auch noch ganz allein schuld sein sollen, das zu glauben, bin ich nicht mehr so ohne Weiteres bereit!
    Nur scheint diese einseitige Einstellungsänderung offenbar nicht zu genügen, um das Leben wesentlich zu erleichtern, das habe ich leider festgestellt. Darum wäre auch ich froh, wenn der Liebe Gott die zuständigen Behörden mal wieder ein wenig anstupsen könnte. Das würde bestimmt helfen.
    Seltsamerweise glaube ich immer noch an Wunder.

    Liebe Grüsse
    Regula

  2. irgendlink meint

    Wenn man bloß die vielen „richtigen“ Leben um einen herum ignorieren könnte, nicht immer das eigene auch-richtige Leben daran messen würde, käme einem das Leben richtig richtig vor.

  3. Karin meint

    Liebe Milena,
    ich habe zwar nicht mein Leben lang mein Geld mit Schreiben verdient, war aber auch immer freiberuflich tätig. Daher kenne ich dieses Geld haben und kein Geld haben sehr gut, komischerweise immer in Extremen. Einmal war es so schlimm, das ich einen Brotjob angenommen habe und schnell merkte: Den Preis, den diese scheinbare Sicherheit fordert, bin ich nicht bereit zu zahlen.
    Aufrechnen in Beziehungen war auch nie meines. Mal hab ich drauf gezahlt, mal bin ich pari raus. Letztendlich aber immer in dem Wissen, zu dem bewussten Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen zu haben, die mir entspricht.
    Das mit dem Älterwerden die Krisen härter treffen, empfinde ich auch. Heute habe ich meine Tochter getroffen und zu ihr gesagt: Tut mir leid, etwas erben wirst du wohl nicht von mir. Sie meinte darauf: Doch Mum, deine Bilder, deine Geschichten und Erinnerungen an viel Lachen. Da musste ich dann doch ein wenig heulen.
    Alles Liebe
    Karin

  4. Gise Kayser-Gantner meint

    … wie gut, Milena –
    ich habe den festen Eindruck, dass das Leben aus Kreuzungen besteht, wo das innere System die Wahl trifft – oder anders, dass man ohne nachzudenken eine Richtung einschlägt. Bewusst nicht wählt. Tja, wie sich das anfühlt, wenn man den „Schmerzreisser“ abpolstern soll, damit das neue Leben nicht so hart wird – ach, diese Betrachtungsweise versauert einem doch nur das Leben. Nein, hier gibt es nichts mehr, jetzt muss selbst groß geworden werden, denkt man, und schreibt oder antwortet was anderes …
    Hauptsache, man macht das, was innerlich entschieden wurde, siehe oben. Dann wird es spannend. Und wer will denn schon ein langweiliges Leben! Ich, meldet sich ein kleines Stimmchen in mir – nur ein kurzer Stopp – und dann geht es weiter mit dem prallen Leben. Wenn es sein soll, sitz ich auf dem Rinnstein und der Ritter in der blendenden Rüstung jagt auf seinem stolzen Ross heran, stoppt – und ich dumme Nuss sag ihm, wie er zur Liebsten kommt. Einfach nicht geeignet für den Burschenfang, diese Frau! Aber sitze ich auf dem Rinnstein? Nein, ich sitze am Schreibtisch, höre, wie der Wind im lockeren Rolladen musiziert, fühle den Sonnenstrahlen nach, wie sie auf den Buchstaben der Tastatur nach und nach kurze Pausen einlegen – und dann geht’s los. Mit der wilden Hatz hinter den Figuren her! Die wieder das Tempo vorgeben. Die wieder ihre Geschichte erzählen wollen …
    … und daran bist Du schuld, liebe Milena – denn Du hast mir die Unschuld geraubt. Jetzt muss ich schreiben! Jetzt geht es nicht mehr anders!
    Gottseidank!

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