Das Schreiben der Anderen

Diese vergangene Woche war geprägt vom Schreiben der anderen. Am Montag durfte ich sieben ehemalige Kursteilnehmerinnen im Literaturhaus Zürich vorstellen, genauer es waren sechs Nachwuchsautorinnen und ein Autor. Sie hatten einen sechs Monate langen Kursen bei mir besucht, sich einmal im Monat bei mir in Aarau getroffen, immer am Sonntag. Die einen reisten geographisch gesehen von weit her an, die anderen legten die längsten Strecken auf dem Papier zurück. Ihre Projekte waren unterschiedlich weit gediehen, das Schreiben hatte wohl in jedem ihrer Leben einen festen Platz, aber nicht dieselbe Bedeutung. Aber alle hatten sie bereits ein volles Leben, das in den sechs Kursmonaten nicht weniger voll wurde. Sie verteidigten ihr Schreiben gegen alle Belastungen und Veränderungen des Alltags.

Es war beeindruckend und inspirierend, diese vollkommen unterschiedlichen Stimmen zu hören, diese eigenständigen Textformen zu erleben. Jeder Ausschnitt sprach für sich, einmalig und unverwechselbar. Diese beglückende Vielfalt, die mich im Kurslokal immer wieder überwältigt, beeindruckte an diesem Abend ein grösseres Publikum. Und inspirierte bestimmt den einen oder anderen Zuhörer, auch einmal etwas zu schreiben.

An diesem Abend ging es unter anderem auch, wieder einmal, um die Frage: Was macht einen Schriftsteller, eine Schriftstellerin? Ist es Talent? Was ist überhaupt Talent? Und: Kann man schreiben lernen?

Ich glaube nicht an Talent als objektiv bestimmbare Grösse. Kann ich nicht, denn sonst müsste ich ja akzeptieren, dass ich selber keines habe. Nicht in den Augen der Verleger, die mich abgelehnt haben, nicht in der Meinung der Kritiker. Die Experten waren sich in meinem Fall immer einig – und trotzdem gibt es mich. Warum? Ich bin jemand, der schreibt. Wenn ich schreibe, bin ich am meisten mich selbst.

Dieses Bewusstsein kann man niemandem einpflanzen, aber auch niemandem absprechen. Das kann man auch nicht in einem Kurs erlangen. Aber man kann es in sich entdecken, man kann es ankitzeln, anfachen, fördern, hegen.

Alles andere ist Üben. Schreiben. Umschreiben. Wegwerfen. Schreiben. Schreiben. Schreiben.

Am Dienstag die Schreibgruppe mit meinen Veteraninnen, die ich letztes Jahr „abgenabelt“ habe und die ich jetzt nur noch alle drei Monate einmal sehe. An diesem Abend ging es vor allem um die Frage: Was ist es, was einen an den Schreibtisch zieht, nicht Disziplin, nicht ein Auftrag, nein – dieser unwiderstehliche Sog, woher kommt der? Was macht den aus?

Die Antwort ergab sich aus der Diskussion: Diesen Sog verspüren die am stärksten, die am radikalsten das schreiben, was sich ihnen aufdrängt. Die alle Vorstellungen, was ein guter Text ist, was man schreiben darf und was nicht, aufgegeben und sich ganz dem Prozess hingegeben haben. Die, denen es ums Schreiben geht und nicht um die Rezeption des Geschriebenen, erleben das Schreibglück am verlässlichsten – und erzielen, interessanterweise, mit ihren Texten die stärksten Reaktionen .

Am Donnerstag und Freitag trat ich mit den  „Unvollendeten“ in Bern auf. Zwei Abende hintereinander sass ich an meinem Schreibtisch auf der Bühne und erzählte, was mir das Schreiben bedeutet: „… aber ganz in mir drin bin ich erst einmal jemand, der schreibt…“ …“ das ist Glück!“

Und gestern schliesslich die letzte Lesung in diesem Jahr, in Staufen. Die Aargauer Zeitung schickte eine Praktikantin – eine ehemalige Schülerin von mir. Sie hat als Maturaarbeit ein Buch geschrieben. Darin beschreibt sie, unter anderem, den Planeten Creativa, dessen Existenz, sowie die seiner Bewohner, der Kreativonen, voll und ganz von unserer Vorstellungskraft abhängen – was für eine faszinierende Idee! Wem es gegen den Strich geht, „nur für sich selbst“ zu schreiben, dem hilft vielleicht die Vorstellung, dass er mit seiner Vorstellung einen Planeten belebt?

OK, ich packe jetzt meine Koffer und fliege nach Singapur für eine Reportage. Ich bin immer noch total davon überzeugt, meinen Abgabetermin einhalten zu können. Obwohl ich, ähnlich wie Corinne (siehe Kommentare) ausgerechnet habe, dass ich ungefähr 300 Stunden dafür brauchen werde, verteilt auf zwanzig Tage…. Im Kopfrechnen war ich noch nie gut. Dafür weiss ich, dass mir beim Schreiben immer wieder etwas zu Hilfe kommt, was ich weder beschreiben, noch erklären kann. Vielleicht sind es die Kreativonen??

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Leser-Interaktionen

8 Kommentare

Kommentare

  1. Linda meint

    Herzlichen Dank für die Tipps. Ich werde sie für mein weiteres Schreiben in mein Repertoire aufnehmen ;) Wo würdet ihr eigentlich euer Buch veröffentlichen? Neulich bin ich auf http://www.frieling.de gestoßen. Das Angebot hört sich schon recht gut an, ich bin mir allerdings noch nicht sicher, ob ich mein Manuskript bei diesem Verlag einreichen soll, da ich noch nicht viele Erfahrungen habe.

  2. Regula Horlacher meint

    @Milena: Nein, nichts ist falsch angekommen. „Unkenrufe“ ist nur nicht ganz das richtige Wort: Ich war verzweifelt, weil ich nicht weiterwusste, und Du fandest, ich würde mir Daumenschrauben anlegen, weil ich als Beispiel meine Arbeitssituation gewählt hatte, die immer groteskere Züge annimmt, anstatt sich zu entspannen, was mich sehr belastet und am Schreiben hindert, und ich erstens an diesem Beispiel erläutern wollte, was ich unter Emanzipation verstehe und zweitens das Ganze die Form eines Essays haben sollte, da ich mir ja bereits vorgenommen hatte, den Text beim Bund-Essay-Wettbewerb einzureichen. Natürlich hattest Du Recht. Wenn man feststeckt, kann man nichts tun, als erst einmal alles los- und der Sache ihren Lauf lassen. Das tat ich dann auch, d.h. ich begann einfach mal zu sammeln, was mir in den Sinn kam. Eigentlich weiss ich ja aus Erfahrung, dass sich der Text, wenn ich so vorgehe, irgendwann von selbst ergibt, aber manchmal verlässt mich halt doch plötzlich wieder das Vertrauen, und ich fange nach altem Muster an, Dinge miteinander zu verkoppeln, die nicht zusammengehören. Auch darauf hat mich übrigens schon am letzten Dienstag jemand aufmerksam gemacht – ich glaube, Isabelle – aber begriffen habe ich es erst gerade jetzt. Mein Gehirn funktioniert im Moment ähnlich langsam wie ein überlasteter Computer … Anyway :-) Jedenfalls steht der Text. Es ist nun doch ein Essay geworden, und der Zusammenhang zwischen dem gewählten Beispiel und dem Wettbewerbsthema „Emanzipation“ hat sich auch geklärt. Im Rückblick kann ich sogar erkennen, dass beide Komponenten – Form und Bezug des Beispiels zum Wettbewerbsthema – von vornherein feststanden. Ich hatte ja eigentlich für einen anderen Wettbewerb mit einer Kurzgeschichte über meine Arbeitssituation begonnen, als sich die Form des Essays aufdrängte und meinen „Kurzgeschichtenplan“, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, über den Haufen warf. Genauso war es mit Beispiel und Thema: Der Bezug war von Anfang an da, ich konnte ihn nur nicht erkennen, weil so viel Verwirrendes eine klare Sicht unmöglich machte. Übrigens war es Alice, die mir ebenfalls am Dienstagabend half, diesen Entwirrungs-Prozess ins Laufen zu bringen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Sie hörte mir gut zu, fragte nach (streng …), machte Auslege-Ordnung, damit ich einen Überblick gewinnen konnte, und dann sagte sie: „Vielleicht musst du ja gar nicht … denk doch einfach mal darüber nach!“
    Und siehe da, ich musste gar nicht … :-)

    Nur ein Problem bleibt noch: Der Text hat für den Bund-Essay-Wettbewerb 1000 Zeichen zu viel. Aber ich lasse ihn so. Wenn irgendeine Wettbewerbskommission auf der Welt versteht, dass man aus einem organisch gewachsenen Text nicht so mir nichts, dir nichts 1000 Zeichen entfernen kann, ohne dass er an Qualität verliert, dann sind es die Berner Bund-Leute!

    Und natürlich hast Du noch einmal Recht: Eigentlich zählt nichts, ausser, dass man möglichst viel Zeit schreibend verbringen kann. Das hatte ich vorübergehend aus den Augen verloren. Ist aber auch verständlich. Manchmal ist das Leben nicht nur keine Fertigmischung, sondern im höchsten Grad eine Zumutung! Danke nochmal für die Karte, Barbara ;-)

    Und Dir, Verena, für die Anwesenheit und die Geschichte vom verliebten Enkel in Rom <3
    Und Dir Kathrin, für den CHAMPAGER!!! Ich hab ein ganzes Glas davon getrunken und NICHTS danebengeschwatzt :-)

    Liebe Grüsse
    Regula

  3. Regula Horlacher meint

    @Milena: Na ja, was die Reaktionen betrifft … „Das schwarze Sofa“ ne semble pas exister, eine Tatsache, die zu meinem stillen Schreibglück ungefähr ebenso viel beiträgt wie mein zu hohes Brotarbeitspensum, und die mich in den vergangenen Tagen – zugegebenermassen – zu einigen schwer aushaltbaren Neidanfällen getrieben hat. ;-(

    Wenigstens komme ich mit meinem Emanzipations-Text vorwärts. Allen Unkenrufen vom vergangenen Dienstagabend zum Trotz, halte ich an der Essay-Form fest und – stur, wie ich bin – auch am Vorhaben, den Text beim Bund einzureichen …
    Mal sehen.

    Hab einen guten Aufenthalt in Singapore. Auf deine Reportage warte ich gespannt! :-)
    Liebe Grüsse
    Regula

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