Der Seitwärtsgang des Krebses

All meiner Paranoia zum Trotz sei noch keine Technologie entwickelt worden, mit der man in meinen Kopf schauen könne, so schnauzt mich das Horoskop an. Und das sei auch gut so, denn jeder unbeteiligte Zuschauer wäre total überfordert von meinen „derzeit vollkommen abgedrehten inneren Dialogen“… Vielen Dank aber auch!

Eigentlich wollte ich das Zwillingshoroskop für meine Freundin Sibylle herausreissen, die fast am selben Tag Geburtstag hatte wie die Golden Gate Bridge (oooookkkkkkkeyyyy ich verkneife mir alle billigen Pointen über Lieblingsbauwerke und filigrane Stützpfeiler…) Anyway – ihres passte prima und war dem Anlass angemessen. Meines stand halt wie immer gleich daneben, deshalb las es ich es mit, scheinbar unbeteiligt oder eher resiginiert. Ich bin es gewohnt, das Krebse doofe Horoskope haben. Meist wird uns unterstellt, unser grösstes Problem sei, dass sich die Topflappen nicht mit den Küchenvorhängen koordinieren lassen. Das immerhin war mal was anderes.

Und – was soll ich sagen. Ihr wisst es ja: Das Horoskop hat Recht. Nur sind die abgedrehten Dialoge, die sich in meinem Kopf abspielen, nicht meine eigenen. Erika wütet gegen Max, der nicht zuhört, weil er gar nicht da ist, Suleika legt sich mit den gemeinen Mädchen an, Nevada kündet ihrem Gehirn die Freundschaft auf – das alles ginge ja noch. Alltagsbilder, Bemerkungen, Gerüche, Gedanken kämpfen um meine Aufmerksamkeit. In drei Wochen fliege ich wieder nach San Francisco. Das heisst, Kolumnen auf Vorrat schreiben, sicher ist sicher. Morgengeschichten, die im August gesendet werden, müssen voraufgenommen werden. Ist die Heftigkeit, mit der ich meine Putzfrau Trudy vermisse, eine Kolumne, eine Morgengeschichte, ein privates Problem? Ich putze schlecht gelaunt, nachlässig, mit den Gedanken woanders um die Beine meiner gelben Küchenhocker herum – Trudy stellt sie jeweils auf den Küchentisch, die Beine nach oben, wie Käfer, sie drapiert die kleinen Plastikteppiche darüber, so dass auf dem Küchentisch plötzlich ein Indianerzelt steht und es mir leid tut, dass keine kleinen Kinder hier wohnen. Ich bin zu faul dazu, ich habe zu wenig Zeit. Trudy hat sich verletzt, ich vermisse sie, wäre es nicht das Mindeste, ihre Methode zu respektieren? Ich denke über das Putzen nach, die wild flatternden Gedanken setzen sich artig zusammen, reihen sich aneinander, die Worte bilden sich auf Deutsch, ich meine Hochdeutsch. Keine Morgengeschichte also. Ich setze mich an den Schreibtisch, um sie festzuhalten – die Sätze rücken respektvoll von Trudy als Person ab, werden allgemeiner… ich schaue auf die Uhr, in zehn Minuten muss ich zum Bahnhof, mein mittlerer Gottenbub wird heute konfirmiert, das grüne Kleid hängt noch am Bügel, der Küchenboden ist sauber, bis auf die Inseln um die Stuhlbeine herum. Ich klappe den Laptop zusammen, ich schreibe im Zug weiter. Eigentlich wollte ich mich im Zug schminken. Ich möchte nicht, dass mein Gottenbub sich schämt, wenn ich zu spät und mit nassen Haaren in die Kirche stürme, den Gürtel des grünen Kleides hinter mir herschleifend, und die Uhr… DIE UHR????

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3 Kommentare

Kommentare

  1. Karin meint

    Seufz, ich glaube ich bin nie in Ordnung bei offiziellen Anlässen. Entweder habe ich das Falsche an, sage garantiert das Falsche und mit 100 %ziger Sicherheit lache ich laut und ungeniert an den falschen Stellen. Fazit: Die Verwandten seufzen: Die wird nie erwachsen. Die Peripherie wundert sich, wer diese unmögliche Person ist. Ich selber setze mich in die Ecke und hole meinen Notizblock heraus… Alles Liebe Karin

  2. Sofasophia meint

    Gopf, solche Texte liebe ich einfach.
    Zwar bin ich Zwilling nicht Krebs, aber dein Horoskop könnte für einmal richtig gut meins sein. :-)
    Das Bild von dir mit nassen Haaren, ungeschminkt und ungegürtet, wie du dich in die letzte Reihe setzen willst, doch von der Mutter des Konfirmanden nach vorne gewinkt wirst …
    Ich hoffe, so schlimm wars nicht.
    Liebgrüss, Sofasophia

  3. Gise Kayser-Gantner meint

    … auf jeden Fall, liebe Milena: Trudy ist nicht zu vernachlässigen, denn sie ist diejenige, die es zu loben gilt. Was wäre das Leben ohne sie? Trudy ist wichtig, denn sie sorgt für Freiräume – und hat den nötigen Abstand zu unserer Umgebung, um alles so zu erledigen wie es gehört (ohne Seelenschmerz, ohne Affenermordung …) – ach, ich habe Trudy einfach mal mitgepachtet. Those were the days my friend, als ich noch Trudys hatte – heute bin ich selber Trudy, mit den Kameraden Butzwasser und Saugroboter an der Seite – nicht zu vergessen der Gefährte, dessen Job es verlangt nach Sichtbarem (als Gegengewicht für flüchtige Töne), der kräftig zulangt bei Dreck-weg-Rasen-runter am Wochenende …
    Was bleibt? Selbst wenn Du über Trudys schreibst, ist es wie unerwarteter Sonnenschein im Alltagsgrau –
    und ich liebe die Bilder von Dir, wenn Du es eilig hast! Lieber nur den Gürtel hinter Dir herschleifen als Hosenträger und halbe Weste wie mein Schwager (im Cut) bei einer hochnoblen Preisverleihung …
    bis Sonntag,
    Gise

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