Der zweite Schritt.

JanisJoplinMyspaceWer schon bei mir war, weiss, was jetzt kommt. Der berüchtige zweite Punkt meines legendären Sechs-Punkte-Programms zum Überarbeiten. Oder wie aus einem ersten Entwurf ein zweiter, und dann ein dritter wird. Der dritte erst wird dann einem potentiellen Verleger gezeigt. Wie hier schon ausführlich gebeichet, halte ich mich nicht an mein eigenes Programm. Den ersten, wichtigen Punkt, weglegen, habe ich diesmal ganz übersprungen. Nicht nur lege ich den Text nicht weg, ich schreibe das Ende, während ich den Anfang überarbeite. Das funktioniert erstaunlich gut, vielleicht, weil sich das Ende schon am Horizont abzeichnete, als ich mich auf dieses Experiment einliess. Vielleicht bin ich aus deshalb so langsam diesmal: Weil ich das Ende kommen sehe. Und statt Erleichterung erfüllt mich Melancholie: Wer weiss, wann ich Nevada wieder sehen werde. Manche Figuren verschwinden ja ganz aus meinem Leben, wie undankbare Kinder, treulose Freunde, wie Poppy. Ich meine dich, Poppy!

Den zweiten Punkt aber halte ich ein. Das ist der, bei dem die meisten Kursteilnehmer erst mal blass werden. Die zweite Fassung erstelle ich nämlich von Grund auf neu, Buchstaben für Buchstaben, Wort für Wort. Ich flicke nicht im ersten Dokument herum, sondern drucke dieses aus, lege es auf den Schreibtisch und diktiere mir dann Satz für Satz noch einmal in den Computer. Das klingt hirnrissig und genau das soll es auch sein: Es ist eine von vielen Tricks, um das Hirn zu überlisten. Das Hirn nämlich ist bestechlich und eitel. Es akzeptiert Sätze, die nicht meine sind, so lange sie grammatikalisch richtig, und vor allem, wenn sie noch besonders kunstvoll konstruiert sind. Dass es nicht meine Sätze sind, merkt nur der Mund, der sie dann nicht aussprechen kann. Der über Worte stolpert, die nicht die eigenen sind.

Wiederholungen, Zeitsprünge, Holperrhythmen, Gschtabigkeiten findet die Zunge schneller als das Auge. Sie lässt sich auch nicht täuschen wie das Auge, sie ermüdet nicht, wird höchstens sauer. Auf einem Wort, das nicht passt, kaut der Mund so lange herum, bis er das richtige ausspuckt. Er ist schneller als der Geist, und er hat mehr Spass am Überarbeiten. Das Hirn muss erst einen Riss bekommen, um das Überarbeiten nicht als Verbessern zu empfinden sondern als eine weitere Form des Spiels.

Diese Methode wurde – wie das Glück so oft – aus der Not geboren. Während der Überarbeitung von „Blondinenträume“ schenkte ich mir ein Glas Wasser ein. Das Wasser überlief und tropfte in die Tastatur meines Laptops, unter der, wie sich herausstellte, sein Herz verobrgen war. Dieses Herz gab zischend auf. (Interessant in diesem Zusammenhang die Zen-Geschichte, die Kokyo letzten Sonntag im Kurs erzählt hat, von der überlaufenden Teetasse, ich wiederhiole sie hier nicht, ich denke noch darüber nach.) „Hätten Sie Whisky getrunken oder Kaffee“, sagte der Techniker damals. „Dann hätten wir vielleicht noch was retten können. Aber Wasser…“ So wird man bestraft, wenn man vernünftig ist. Damals, es war in den frühen Neunziger Jahren, gab es irgendwo in Zürich eine Werbeagentur, die einen Scanner besass, ein beinahe raumfüllendes Monster, das ich, nach dem alle gegangen waren, mit meinen Manuskriptseiten füttern durfte. Leider spuckte es nur chinesische Schriftzeichen aus. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als mir den Text Wort für Wort, Satz für Satuz, Seite für Seite neu zu diktieren. Nein, ich hatte keine Sicherheitskopie – zum Glück! Die Technik hätte mir einen wichtigen Schritt abgenommen – das kann nicht ihre Aufgabe sein.

Während ich da sass und meine Sätze kaute, merkte ich zum ersten Mal, wie sich die Sprache beinahe ohne mein Zutun, ohne bewusste Anstrengung veränderte auf dem Weg von meinem Mund zu meinen Händen und in die Tastatur. Sie fügte sich ganz von alleine in den Rhythmus, der der ihre war. Wie eine Frau, die ihr Haar ausschüttelt, bis es richtig sitzt. Ohne in den Spiegel zu schauen.

Was für ein Glück. So seine Tage zu verbringen!

 

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Leser-Interaktionen

11 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Schreiben ist unberechenbar. Oft beginnt es am Morgen, wenn ich nach zwei oder drei freien Tagen wieder zur Arbeit ins Altersheim muss. Nachdem ich am Abend zuvor leicht verzweifelt den Laptop geschlossen habe, weil ich mit meiner Geschichte gerade mal fünf Zeilen weiter gekommen bin, überfällt mich jetzt, da mir keine Zeit bleibt, sie aufzuschreiben, eine Flut von Ideen. Wirr und ungeordnet zwar, aber immerhin. Das ist ärgerlich. Meistens gelingt es mir trotzdem, mich für die Arbeit zu motivieren. Meistens, aber nicht immer. Wenn ich im Atelier zum Beispiel wieder einmal zwanzig Minuten nach der Tabelle mit den Sockengrössen suchen muss, weil sie nicht dort liegt, wo sie hingehört. Wenn dann in der Kaffeepause eine meiner Kolleginnen von der Pflege auch noch zu mir sagt: „Na, gehst du heute wieder mal deinem Hobby nach?“, kriege ich das heulende Elend, da erstens niemand wahrnehmen will, was ich in diesem Atelier während der zwei Tage jede Woche wirklich leiste, und es ergo im Grunde gar keine Rolle spielt, ob ich die Zeit mit dem Suchen einer Sockentabelle verbringe oder damit, einer neunzigjährigen, schon leicht verwirrten Frau erfolgreich das Häkeln beizubringen, das ihr, wie sie sagt, eine Handarbeitslehrerin vor rund achtzig Jahren verleidet hat. Und weil mir zweitens bewusst wird, dass MIR SELBT diese zwanzig Minuten in keinem Fall gehörten, auch wenn ich sie nicht mit einer sinnleeren Suchaktion verschwendet hätte, da ich sie nämlich für rund sieben Franken netto verkauft habe, um mir zum Abendessen Brot, Milch und einen Apfel kaufen zu können. Andere müssen arbeiten, um sich am Leben zu erhalten, bei mir hingegen, scheint es sich dabei eher um ein „Dürfen“ zu handeln. Warum das so ist, weiss ich nicht. Tatsache ist aber, dass es immer wieder Leute gibt, die sich genötigt fühlen, mich darauf aufmerksam zu machen, wie schön ich es habe –

    Wer bin ich? Atelier-Mitarbeiterin und Pflegehelferin in einem Altersheim. Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Und da mich der schweizerische Schriftstellerverband als Mitglied angenommen hat, bin ich wohl tatsächlich auch eine Schriftstellerin. Eine Schweizer Schriftstellerin. Schweizerischer geht es nicht. Im Moment wohne ich in meinem Heimatort, der zugleich mein Geburtsort ist. Längere Zeit weit weggewesen bin ich nie. Das Buch, das ich geschrieben habe, spielt in der Schweiz. Die Orte, die vorkommen, sind zwar erfunden, aber sie sind so beschrieben, dass sie sich ohne weiteres in die entsprechenden Schweizer Landschaften einfügen liessen. Genauso, wie sich das erfundene Dorf „Val Grisch“ in Martin Suters Roman „Der Teufel von Mailand“ ins Unterengadin einfügen lässt.
    In meiner Geschichte kommen ein Käsefondue vor, Grittibänzen, ein Skilager im Wallis, der Föhn, ein Kirchenbasar, ein unfreundlicher Bahnbeamter, Linden auf einem Hügel und die Erinnerung an den Holzstapel für das Feuer am 1. August, Stühle aus Arvenholz. Lokalkolorit und Folklore zur Genüge.
    Doch: Wie man es macht, ist es nicht recht. Das trifft wohl auch für mich zu –
    Ich habe keine Ahnung, weshalb das so ist, aber in meinem Alltag als Privatperson bzw. als Altersheimmitarbeiterin stehe ich unter Dauerbeobachtung: Jedes Mal, wenn ich mit dem Fahrrad durch eine Strasse mit Fahrverbot fahre, werde ich von irgendjemandem erwischt, auf jeden Fehler, der mir unterläuft, werde ich hingewiesen. Das ist lästig. Als Schriftstellerin hingegen wird mir so gut wie keine Aufmerksamkeit entgegengebracht, dabei wäre gerade das für mich mehr als notwendig. Doch das Buch, das ich geschrieben habe, könnte genauso gut nicht existieren, so wenig Beachtung erhält es. Fast kommt es mir vor, als würde es, sobald sich ihm jemand nähert, von einer unsichtbaren Hand sanft aus dessen Blickfeld entfernt. Diese Vorstellung ist nicht ohne Reiz für mich.
    Im vergangenen Dezember wurden erstmals die Eidgenössischen Literaturpreise verliehen. Zwischen dem 26. Juni und dem 15. August wurden beim Bundesamt für Kultur 236 Bücher eingereicht. Obwohl Fördergeld für neun Autoren zur Verfügung stand, wurden nur acht ausgezeichnet. Das ist klug. So kann nun nämlich jeder der 228 Leerausgegangenen denken, genau sein Buch wäre das Neunte gewesen, wenn … ja WENN es nicht irgendwie von unsichtbarer Hand aus dem Blickfeld der Jury … … deren neun Mitglieder sich zwischen dem 26. Juni und dem 4. Dezember jeder in immerhin 26 Bücher zu vertiefen hatten, pro Monat also in gut fünf Stück, was neben Beruf und Familie eine nicht zu unterschätzende Aufgabe ist. Na ja –
    Und da könnte es doch schon sein, dass gerade meins …

    Das ist eine Illusion. Sich Illusionen zu machen, gilt als unvernünftig. Aber nachdem uns Milena in ihrer wunderbaren Kolumne vom vergangenen Sonntag so anschaulich geschildert hat, welche Folgen Vernunft für das Herz haben kann, bleibe ich vorläufig lieber mal unvernünftig. Die Literaturpreis-Illusion ist nämlich nicht die einzige, der ich mich hingebe, es gibt noch eine andere. Zwar ist es mir etwas peinlich, darüber zu schreiben, aber wir sind ja hier unter uns, und ich bin sicher, ihr werdet mich nicht verraten! Also: Ich bilde mir ein, mit einzelnen Personen in Geschichten von Schriftstellern, denen ich bekannt bin, gemeint zu sein! Zum Beispiel mit Anita Hubli-Giezendanner, dem erfolgreichsten Schreibstar in Milenas „Möchtegern“. Verrückt nicht?
    Aber gell, ihr sagt niemandem etwas davon!!

    • Milena Moser meint

      @ Regula: Erinnerst du dich an die „private“ Buchpremiere von „Möchtegern“? Da habe ich es gesagt: Anita Hubli-Giezendanner ist ein Denkmal, das ich euch allen gesetzt habe…

    • Regula Horlacher meint

      Tatsächlich? Dann ist ja meine Illusion sozusagen nur noch eine Teilillusion, und ich kann ihr getrost weiterhin nachhängen …

    • Hans Alfred Löffler meint

      iCH erinnere mich, auch, dass ich mein Handy bei Dir liegen liess aber mit einem ErsatzHandy die Notrufnummer der Schreibschule angerufen hatte deswegen. Und Du geschrieben hattest: SKANDAL! als es am Montag immer noch nicht bei mir eingetroffen war, dabei hattest Du das HandyDing sorglälltig verpackt – sofort – und zur Post gebracht – wie wenn Du nichts anderes zu tun gehabt hättest. Danke Milena, Du kümmerst Dich wirklich um die Pelztierchen, um mich und um viele andere, habe Dank für MÖCHTEGERN und MONTAGSMENSCHEN und überhaupt für alles was Du geschrieben hattest und schreiben wirst, let it be … ich jedenfalls bleib auf der Lauer, ich habe keinen Köder, nicht mal ein Gewehr (letzteres ohne Gewähr ;-). mfG: Hans

  2. Corinne meint

    Wie so oft, habe ich etwas anderes gelesen, als da stand. Nämlich nicht „der zweite Schritt“, sondern „der zweite Schnitt“. Und wie so oft, passt das Gelesene genau so gut zum Thema, wie das, was da eigentlich stand.
    Überarbeiten ist doch nichts anderes, als einen Text zu nehmen und so lange daran herum zu schnippeln, bis er passt. Wie ein Kleid, dass als Rohling auf der Büste hängt und die Schneiderin legt hier ein Fältchen, schnippt dort etwas vom Stoff weg, macht diese Naht etwas enger, oder öffnet ein paar Stiche, bis das Kleid sitzt wie angegossen.
    Ich liebe Überarbeiten. Fast mehr als Schreiben. Weil ich dann schon etwas habe, womit ich arbeiten kann. Etwas Handfestes. Ich muss mir nicht mehr überlegen, was ich schreibe, sondern „nur“ noch, wie ich schreibe. Das macht Spass. Vielleicht auch deshalb, weil das Gespenst der Schreibblockade, die Angst, dass einem nichts mehr in den Sinn kommt, für die Zeit der Überarbeitung, gebannt ist.

  3. Sofasophia meint

    das mit dem selbstdiktat will ich unbedingt ausprobieren, ich bin nämlich jetzt endlich an der zweitfassung (oder ist es die vierte?) eines romanes.

    ich bin sehr dankbar, dass du diese erfahrungen hier so offen teilst. auch, dass eben die ausnahme oft genug die regel ist!

    danke und liebe grüsse
    denise

  4. Esther Wilson meint

    Das ist einfach sooo beeindruckend! Ich schreibsle bei mir zuhause herum, war in Aufsätzen in der Schule grade „gut“ manchmal mittelmässig. Trotzdem schreibe ich eine Art Gedichte, kleine und grössere. Oder Kurzgeschichten, die sich aber meistens irgendwie im Nichts verlaufen oder fade sind. Da ich sie ja niemandem zeige, weil ich Kritik fürchte… bleibt es bei meinem Urteil. Die Kurzgeschichten liegen irgendwo in einem Ordner… Einfach gestrickt, glaube ich, oder so.
    Einen schönen Sonntag noch! Irgendwie bin ich froh, bei facebook auf Dich gestossen zu sein und bin einfach beeindruckt von Deinen Gedanken und Deinem Gefühlstransport. Herzliche Grüsse von Esther

    • Milena Moser meint

      @ Esther: Oh nein, wie schade! Ich träume nachts von diesen Geschichten, die unfertig in irgendwelchen Schubladen liegen und leise wimmern: Lass mich hier raaaaauuuuuussssss!

  5. Karin Braun meint

    Liebe Milena,
    seit einiger Zeit schon habe ich das Gefühl, dass jede Geschichte auf eine andere Art erzählt und überarbeitet werden will. Daher helfen die ganzen weisen Ratgeber zum Thema schreiben auch nur bedingt. Es ist schon komisch.
    Ich schreibe im Moment an einer Geschichte (ha, was heißt im Moment? Eigentlich schreibe ich dauernd) und diese gestaltet sich wie eine Patchworkdecke. Dort entsteht eine Szene, da ein Bild und irgendwie findet alles zusammen.
    Mich erstaunt das es funktioniert, da ich bis dato immer die fertige Geschichte im Kopf hatte und sie einfach erzählte. Na ja, fertige Geschichte … ab Seite 35 übernahmen meistens die Figuren, aber immerhin wurde die Geschichte von Anfang bis Ende erzählt.
    Ich freue mich schon auf Nevada. Alles Liebe KArin

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