Die D-Liste.

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Letzte Woche war ich krank. Vielleicht lag es also am Fieber. Jedenfalls fühlte ich mich plötzlich in eine Fernsehserie versetzt, mehr noch, in eine Reality-Show, die ich früher mit grossem Genuss geschaut habe. Sie hiess „My Life on the D-List“, der Titel spielt auf die Begriffe A-List und B-List an, grosse Namen und weniger grosse, bei uns würde man von Cervelat und Bratwurst reden. Die D-Liste ist ungefährt die unterste Kategorie der Prominenz. Und auf dieser Liste stand die Komikerin Kathy Griffin, die damals vor allem dafür bekannt war, dass sie an den Folgen einer Fettabsaugungsprozedur beinahe gestorben wäre. Das Mädchen ist aber hart im nehmen, und so liess sie sich bei weiteren Schönheitsoperationen und bald auch in ihrem ganzen Alltag von Kameras begleiten. In den ersten Staffeln konnte man ihr mit unverhohlener Schadenfreude dabei zusehen, wie sie an Hollywoodparties von Türstehern abgewimmelt wurde, wie sie vergeblich versuchte, ihre Agentin zu erreichen. Man sah sie auf dem Laufband schwitzen, nachdem sie den Reissverschluss eines geliehenen Abendkleides gesprengt hatte, und dann eine ganze Pizza verdrücken. Und man war dabei, als nach einem Auftritt nur drei Nasen zum DVD-Signieren auftauchten, ihre ständig leicht angetrunkenen alten Eltern mit eingerechnet, die sie überall hin mitschleppte. Da geht’s mir ja noch gut, dachte man oder wenigstens: Es geht uns allen gleich.

Die Show war ein derartiger Erfolg, dass Kathy bald auf die B-List aufstieg, wodurch die die Sendung ihren Sinn verlor. Wie auch immer, solche Szenen gibt es in meinem Leben auch, zum Beispiel eben letzte Woche, als ich mich mitsamt meiner Bronchitis und meiner tragbaren Apotheke zu einer Lesung schleppte. Die Zugfahrt dauerte schon zwei Stunden, lange genug um mir zu überlegen, was das nun wieder sollte. Lesungen kann man, im Gegensatz zu Theatervorstellungen, wegen Krankheit absagen, ich tue es trotzdem selten, eigentlich nie. Und mit der Veranstalterin hatte ich im Vorfeld einige freundliche mails gewechselt. Deshalb war ich überhaupt nicht darauf gefasst, als sie mir auf der Fahrt vom Bahnhof zum Veranstaltungsort zuerst einmal erklärte, dass sich mein neues Buch ja offenbar sehr schlecht verkaufe. „Ähhhhmmmmm eigentlich nicht“, sagte ich, etwas verwirrt. Die Zahlen, die mir mein Verleger schickt, sind gut – aber man ist ja immer eher geneigt, schlechte Nachrichten zu glauben als gute. Man? OK, ich. Aber da erzählte sie schon weiter, von einem Kollegen, der heute Abend nicht kommen würde – „Milena Moser, muss man die kennen?“ habe er gefragt. Und ihr Kommentar: „Der ist aber auch erst Anfang dreissig, diese Generation kennt dich natürlich nicht mehr.“  „Natürlich??“ Als sie dann noch eine weitere Kollegin anführte, die ebenfalls nicht kommen wollte, fragte ich, zugegeben etwas bissig ob sie mich nicht gleich wieder zum Bahnhof zurückfahren wolle. Sie schien mich nicht zu hören, sondern berichtete von einer ausverkauften Veranstaltung mit Andreas Thiel, der erst noch weniger Gage verlangt habe als ich. Meine Irritation schien nicht zu ihr durchzudringen. Probehalber lachte ich laut auf, auch das beirrte sie nicht. „Wir hatten alle grossen Namen hier…“ – „Du weisst, dass ich eine Kolumne über diese Autofahrt schreiben werde?“ Keine Reaktion, sie redete einfach weiter und schaffte es, mich in jedem Satz mindestens einmal zu beleidigen. Unterdessen hatte ich begriffen, dass ich mich in einem Fieberwahn befand und blieb einfach ruhig sitzen. Ich schloss die Augen, bis wir ankamen und ausstiegen. Ich sass einfach da und atmete ein und atmete aus. Seit 25 Jahren tingle ich mit meinen Büchern durch die Lande, ich habe alles schon erlebt, auch das. Die Veranstalterin begann ihre Einführung dann mit den Worten: „Ich bin Milena Mosers grösster Fan“ – und das Komische ist, ich glaubte ihr das sogar. Ich weiss nicht mehr, wer gesagt hat „Schweizer drücken ihre Bewunderung aus, in dem sie sich beschweren.“ Wie gesagt, es war nicht das erste Mal. Die Veranstaltung selber war dann sehr schön, nur der Heimweg war lang, ich hustete und hustete und dachte irgendwann: Was ist eigentlich aus Kathy Griffin geworden?

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Leser-Interaktionen

1 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Ja, das fragte ich mich auch, heute am 3. November 2014, den morgen hat Kathy Griffin Geburtstag, den 54sten notabene. Vor kurzem, im August, hatte ich sie gesehen an einem Ice-Bucket challence wo zudem sie von zwei Gegnerinnen herausgefordert wurde, dazu wurde sie von beiden von rechts männlich und von links weiblich mit kaltem Wasser überschüttet worauf sie den männlichen Teil in den Swimming Pool schubste …
    …. according to Jimmy Kimmel’s Life! Danke für den Hinweis der, wie alle anderen die Du schon gegeben hattest von mir „verfolgt“ wurden, mit Erfolg und oft auch mit viel Spass und Bewunderung für Deine offenherzige Einbindung in Deinen challenging Blog – den nachhaltigsten der schon je publiziert wurde.
    „What you doing that for?“ (original screaming of Kathy)

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