Die Reiseschreibmaschine.

Damit meine ich mich. Ich bin die Reiseschreibmaschine. Eigentlich hätte ich hier ein Bild aus dem Writers‘ Room im Raffles Hotel zeigen wollen, aber die Wahrheit ist – da war ich noch gar nicht. Auch sonst nirgends. Ich arbeite einerseits an einer nicht ganz einfachen Reportage über die Situation der Hausangestellten und Kindermädchen hier in Singapur – und über die Frauen, die sie anstellen. Der Auftrag von „Reportagen“ ist auf vielen Ebenen ein Geschenk des Himmels. Eine schöne, lange Geschichte mit viel Platz zwischen den Worten und aller Freiheit der Welt – nur erfinden darf ich nichts. Und dann schicken sie mich ausgerechnet nach Singapur, von allen Städten der Welt genau die, in der mein Sohn eine Art Praktikum macht. Und genau in der Zeit, in der er da ist. Da kann man sich nur noch vor dem Zufall verneigen – wofür immer der Begriff Zufall steht.

Nun recherchiere ich also. Etwas, das ich selten tue. Bei einem Roman kommt das immer ganz am Schluss: Zum Überrprüfen der Details. Nicht, dass die Recherche dann die Geschichte bestimmt. Oder verändert. Zu verlockend ist es, die neu entdeckten Erkenntnisse einzustreuen und aufzublasen. Hier aber gibt es ohne Recherche keine Geschichte. Ich folge allerdings auch hier nicht der journalistischen Methode des google your ass off, sondern verlasse mich, wie im Leben auch, auf Frauen und ihre Freundinnen. So führt mich eine zur anderen und bereits am dritten Tag treffe ich mich mit zwei Maids, die bereit sind mit mir zu reden. Das, von dem ich fürchtete, es würde das Schwierigste werden, war das einfachste. Schwieriger ist es, die Vertreterinnen der offiziellen Hilfsorganisation festzulegen. Was daran liegen mag, dass sie teilweise von derselben Regierung unterstützt werden, die diese Missstände erst möglich macht. Wir werden sehen. Es ist jedenfalls spannend. Manchmal bin ich vollkommen erschöpft vom stundenlangen Zuhören. Ich stelle kaum Fragen. Schon gar keine vorbereiteten. Ich lasse die Andere bestimmen, wo das Gespräch hinführt. Nie dahin, wo ich glaubte.

Die Situation ist schrecklich, unwürdig, geschenkt. Was sich aber zwischen einer Maid und ihrer Ma’am abspielt, noch mehr im Dreieck zwischen der Maid, der Ma’am und den Kindern, ist noch so einfach zu beschreiben. Nicht so schwarz/weiss. Kein Scherenschnitt mit klaren, scharfen Kante, ehe ein Aquarell mit ineinanderlaufenden Farben.

Sofort nach dem Gesrpäch setze ich mich hin und schreibe alles auf. Vieles wird mir erst dann klar. Die Nuancen. Die Wiederholungen. Die kulturellen Missverständnisse auch. (Wenn ich mal eine Frage stelle, zuckt das Gegenüber zusammen. Ich war zu direkt. Zu grob.)

Meinen Sohn treffe ich erst abends, manchmal spät. Seine Gruppe steht kurz vor der Abgabe, sie sind damit beschäftigt, ihre Erkenntnisse in einem Buch zusammenzufassen. Wir reden über unsere Arbeit, er gibt mir den wichtigsten Tipp im Umgang mit öffentlichen Stellen: Einfach hingehen und lächeln.

Zwischen den Interviews sitze ich mehrere Stunden am Computer. In der Hotellobby, am Rand des Swimmingpools, im klimatisierten Zimmer.

Zum Glück gefällt mir die Stadt nicht. So fühle ich mich nicht verpflichtet, ihre Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Ich lasse mich treiben von den Treffpunkten, die meine Gesprächspartnerinnen vorschlagen, ich sitze mit meinem Sohn im Biergarten.

Ich mache eigentlich bezahlte Ferien. Denn die Arbeit fühlt sich nicht wie Arbeit an. Die Gespräche, die ich für die Reportage führen, berühren und beflügeln mich. Und die Überarbeitung hat mich jetzt richtig gepackt. Zum ersten Mal macht mir die zweite Fassung mehr Spass als die erste. Vielleicht weil die erste so von Emotionen getränkt war. Und getrieben. Jetzt habe ich den nötigen Abstand, um diesen Schmerz gezielt einzusetzen. Und erst aus diesem kleinen Abstand sehe ich, dass ich gar nicht eine Liebesgeschichte geschrieben habe – sondern zwei.

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Leser-Interaktionen

11 Kommentare

Kommentare

  1. Roland Bosshard meint

    Hallo Milena
    ich bin ein wenig verwirrt!
    Habe von Dir in der Zeitung gelesen und nun deine Website durchgestöbert. Auch dein Blog habe ich ein wenig durchgescrollt, nun bin ich mir nicht sicher, soll ich weiterlesen oder es sein lassen. Es fasziniert mich und doch ist da eine Ungewissheit in mir.

    Wünsche Dir einen tollen Start ins neue Jahr und viel gute und inspirierende Ideen für gute Bücher.
    rb

  2. Hans Alfred Löffler meint

    doch, ich habe Dich vermisst, nie traf ich Dich wieder bei den Schliessfächern im Hauptbahnhof Zürich; und am Weltuntergangstag warst Du sowieso nicht da, oder dort. Ich schon, auch bei Deinen Blogs „Schweizer Familie“, aber die waren schon gegangen. Aber den Duden gibts noch, eine ‚Wal­li­se­rin, die‘ ist drin, als feminines Substantiv samt Worttrennung: Wal|li|se|rin und gleich darunter bis Du mit Preisangabe 19,20 CHF von books.ch – Orell Füssli – ich MÖCHTEGERN Dir alles Liebe und Gute wünschen, ich tue das auch hiermit und herzlich. Hans

  3. Gise Kayser-Gantner meint

    Hallo, liebe Kollegin!
    Die besten Geschichten schreibt das Leben – diese Binsenwahrheit erlebe ich in Interviewsituationen immer wieder. Und finde es klug, keine vorgefertigten Fragen abzufragen, denn sonst erhält man keine lebensechten Antworten. Ach ja, und Zufall ist doch wunderbar – ich habe es mir immer zurecht gelegt als „es fällt mir zu“, weil es über meinem begrenzten Horizont wohl noch mehr gibt und daraus fällt mir was zu.
    Du siehst mich sehr gespannt, was Du mit nach Hause bringen wirst! Kann man schon vorher etwas lesen auf dem Reportage-Link im „Schreiben der anderen“? Und dann die beste Deiner Nachrichten: Die Überarbeitung läuft, und dann gleich zwei Liebesgeschichten!

    Unendliche Sehnsucht – nein, kühl gesprochen, Recherche :->> – trieb mich an den Lieblingsort meiner Heldin. Ja, es war alles so wie beschrieben und der Zauber der Insel wirkte sofort. Inga hat sich den besten Rückzugsort ausgesucht, wenn es zu dicht wird für sie, das weiß ich jetzt. Und dass mir nach der Einlage das Schreiben noch besser in die Tasten läuft.

    Ach, von einem „Zufall“ bei mir will ich Dir noch berichten. Ich sollte einen Krimi rezensieren – und bekam ihn von der Cheflektorin Belletristik direkt zugesandt. Ein Verlag aus der Random-Gruppe – ist das nicht ein Zeichen?

    Alles, was hilft, alles, was geht!
    Das wünsche ich Dir!
    Gise

    • Milena Moser meint

      @ Gise: Ja, das ist ein gutes Zeichen! Und nein, man wird nichts vorab lesen können -aber alle Reportagen sind lesenswert!
      @ Regula: Lustig, dass du die Szene erwähnst – auf die werd ich nämlich nächste Woche zurückkommen…

    • BurgerTrice meint

      Liebe Milena, abgesehen von dem tollen *Zufall* den du erleben durftest und dem Recherchieren, das dir Einblick gewährte in das Leben der Andern, finde ich das Foto oben absolut wettbewerbsreif und einsame Spitze ! — Denke ich an alle Geschichten, die dahinter stecken könnten, wird mir ganz komisch, fast ein *Tschuddere* erfasst mich.
      Ich wünsche dir noch ganz viel *Schreibinteressantes* und friedliche Weihnachten — and a Happy New Year !
      Béatrice

    • BurgerTrice meint

      *Tschuddere*, ja die Klimaanlagen sind schon extrem ……. Ich meinte eigentlich die *tschuddrigen* Geschichten, die sich in den kleine Boxen innerhalb der Häuserblöcke abspielen ……. würde man dort hineingelassen und müsste anfangen zu beschreiben ? — *mech tschudderets* !

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