Ende gut! Alles gut?

images-2Meine Lieben, erst wollte ich auf eure Kommentare zum Thema „konstruktive Kritik oder nicht?“ einzeln eingehen, aber da sich so viele konkret auf das Ende meines wahren Lebens, ich meine meines letzten Roamns beziehen, gehe ich hier noch einmal etwas ausführlicher darauf ein. Ihr seid nicht die einzigen, die mit diesem Ende hadern – ich tat mich selber schwer damit. Ich „sah“ diese Szene vor mir, lange bevor das Buch zu Ende war. Nevada zieht sich am Balkongeländer hoch, beugt sich tief darüber, verliert das Gleichgewicht…. Ein Bild wie aus einem Albtraum: Stürzt sie, fällt sie, stirbt sie? Mit Absicht, aus Versehen? Das Bild verfolgte mich. Ich war vollkommen zerstört. Das durfte doch nicht wahr sein! Das konnte doch nicht das Ende sein! Erst nach Tagen erlöse mich das Klingeln ihres Telefons, das sie wieder zurück in den Rollstuhl sinken lässt. Dantes Stimme, „Lucy“ sagt er, so nennt er Nevada in seinem Comic, nach der ersten Frau überhaupt, der einzigen. Er liebt sie noch, er kommt zurück, er wird auch nach der Operation nicht lügen können. Ein Happy End, ganz eindeutig, aber eines der anderen Art.

Natürlich hätte ich das ausdeutschen können, ich hätte auch sonst noch ein bisschen weiter erzählen, einzelne Fäden zu hübschen Schleifchen binden können – ich habe es mir sogar kurz überlegt, ihr erinnert euch vielleicht. Warum ich es nicht getan habe? Weil ich wusste, ganz klar wusste, mit absoluter Bestimmtheit, dass das nicht zu dieser Geschichte gehört.

Ganz anders als im letzten Buch: meine „Montagsmenschen“ habe ich jeden einzeln „zu Bett gebracht“. Genau so fühlte es sich damals an, ich war wie eine Mutter, die ihre Kinder nach einem langen Tag zudeckt, die Decke feststeckt, eine Locke aus der Stirn streicht, ein Gutenachtlied singt. Für den einen das Licht löscht, für die andere die Tür zum Flur einen Spalt weit offenstehen lässt und für das Kleinste noch einmal die Spieldose aufzieht… Warum ich das getan habe? Weil ich mit absoluter Gewissheit wusste, dass ich es tun musste. Für meine Figuren, für meine Geschichte, für mich. Nicht für den Leser. Nicht für den Lektor. Nicht für den Kritiker. Dieses im Detail ausgeschriebene vierfache Happy End wurde mir ebenso oft vorgeworfen wie die kurze, unheimliche, mehrdeutige letzte Szene des neuen Buches – natürlich nicht von denselben Lesern. Und da, denke ich, liegt das Problem, wenn es wirklich eins ist: Eine Leserin, die  Happy Ends mag und ein solches einmal von mir bekommen hat, erwartet das auch in Zukunft wieder von mir. Moser-Happy-End, denkt sie, greift nach dem neuen Buch und wird enttäuscht. Jemand, der Happy Ends nicht mag und deshalb vom letzten Buch enttäuscht war, wird nicht zu diesem greifen. Die Marketingspezialisten mit ihren bunten Kuchenstück-Diagrammen könnten mir sicher ausrechnen, wieviele Leser ich dadurch verliere. Aber, so leid es mir tut, ich schreibe nicht mit dem Blick auf den Markt, nicht einmal, um den Leser eine Freude zu mache, ich schreibe zu allererst einmal für mich. Ich erzähle mir selber die Geschichte, die ich in diesem Moment hören muss, ich bringe die Bilder zu Papier, die ich in meinem Kopf sehe, meine Vision im wörtlichen Sinn. Ich bin ein Mensch. Ich verändere mich. In jedem Moment. Und mein Schreiben verändert sich mit mir.

Viel schwieriger ist es jetzt – wo setze ich das Ende meiner autopbiographischen Erzählung? Am Ende der Reise? In meinem kleinen Haus in Santa Fe? (klassisches Happy End) Oder einen Monat später, als dasselbe Haus unter Wasser steht? Das ist das Schöne an einem Roman: Man kann ihn im besten Moment anhalten. Das Leben hingegen geht weiter.

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4 Kommentare

Kommentare

  1. Sofasophia meint

    liebe milena
    wenn wir alle mit dieser inneren haltung unsere arbeit tun, unsere geschichten erzählen, unsere kunst kreieren würden – mit diesem respekt vor der eigenen vision – wäre die welt anders.
    wie oft verbiegen wir uns (viel oder auch nur ein bisschen), um … zu gefallen?

    genau das mag ich an deinen texten. für mich sind sie immer authentisch und zutiefst menschlich.

    es braucht mut, beim schreiben, dieser inneren spur zu folgen und nicht irgendwas oder irgendwem zuliebe abkürzungen oder umwege zu machen. manchmal ringen meine figuren mit mir, weil sie etwas wollen, was mir suspekt erscheint. ich werde – nach diesem artikel hier – wieder mehr augenmerk darauf legen, ihnen besser zuzuhören.

    danke und liebe grüsse
    denise

  2. Regula Horlacher meint

    Ja – das Leben geht weiter. Ein Happy End ist nicht das Ende, es ist der Anfang.
    Ich mag keine Anfänge. Ich kann nicht wie Hesse empfiehlt, heiter Stufe um Stufe erklimmen, immer in der Gewissheit, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt.
    Mir macht es Angst, wenn ich nicht genau weiss, was mich erwartet. Da kann noch so viel Aussicht auf Zauber sein, ich fürchte mich trotzdem.

    Ich mag es, wenn die Ouvertüre vorbei und der Vorhang offen ist. Ich mag den Weihnachtsmorgen und den zweiten Mai. Ich könnte ewig Reste vom Geburtstagskuchen essen –
    Ich bin froh, wenn jedes Ding an seinem Platz steht, wenn ich weiss, wo ich einkaufen kann, und wann der Bus fährt.
    Ich mag die Gewohnheit und den Alltag. Ich bin keine Draufgängerin und abenteuerlustig schon gar nicht.
    Vielleicht verpasse ich deshalb so Vieles.

    Immerhin weiss ich jetzt, woran es liegt, dass ich so wenig offen bin für Neues.
    Vor ein paar Tagen traf ich an einer Lesung auf dem neuen Campus der Fachhochschule eine Bekannte.
    „Hier eine Lesung – das wäre etwas für dich“, sagte sie, „frag doch mal an!“ Und weil ich nicht sofort antwortete, fuhr sie fort: „Du solltest etwas mutiger sein!“
    Aha, mutiger sein -, dachte ich, immer noch etwas beklommen vom traurigen Schicksal des „Juramareili“, das Hansrudolf Twerenbold soeben sehr eindrücklich wiedergegeben hatte. Eingeschüchtert sah ich an den imposanten Glas- und Betonbauten hoch, die jetzt den Platz des holprigen Strässchens einnahmen, auf dem ich zwei Jahrzehnte lang den Einkaufswagen hinter mir hergezogen hatte, vorbei an der nach Kuhmist riechenden, baufälligen Markthalle.
    „So ist es wohl -“, sagte ich endlich, doch meine Bekannte hörte es nicht mehr. Sie war längst weitergegangen.

  3. Hans Alfred Löffler meint

    In guter Erinnerung zum Happy End (Seite 372 aus dem Buch MÖCHTEGERN von Milena Moser): «Meine Pelztierchen!» murmelte ich. Und Buchholz musste niessen. Er schneuzte so trompetend, dass mir mein alter Geographielehrer einfiel, der immer gesagt hatte: «Man kann auch anständig niessen.» Schülerinnen, die das nicht konnten, wurden vor die Tür gestellt. … Ich fragte mich, was nach dem Schnupftabak kommen würde. Nagelbretter? Darmspülungen? Ein Therapiehund? Die Möglichkeiten waren endlos.

    Anmerkung des Abschreibenden: Es gibt so viele Möglichkeiten um einen Text, ein Buch zum Beispiel, zu kritisieren, es gibt ja auch so viele Bücher, so viel gedruckte Texte (nicht zu zählen sind die gesprochenen, via Radio oder sogar Fernsehen verlautenden oder am Internet ‚geposteten‘). Es war und ist so schön, dass das Handy in Nevadas Hosentasche klingelte, genau im richtigen Moment, bevor die Leserin/der Leser wusste ob die Operation am Hirntumor erfolgreich war. Auf jeden Fall sass Nevada wieder in ihrem Stuhl – „und morgen war das Quartierfest. Sie musste teilnehmen. Sich zeigen. Lachen, sich bedanken.“

  4. Hans Alfred Löffler meint

    «Lucy …», murmelte er später, schon beinahe wieder eingeschlafen. «Lucy ist doch … die erste Frau. Die allererste, die … Traumfrau … Weißt du … vielleicht hab ich dich … gemeint, bevor ich dich kannte. Bevor ich … wusste, wie … heißt. Nannte ich dich … Lucy. (Seite 229 aus dem Buch „Das wahre Leben“ von Milena Moser) «Sehr charmant, vielen Dank», sagte sie leichthin. «Lucy – die älteste Frau der Welt.»
    Das Skelett, das wissenschaftlich unter der Bezeichnung A. L. (»Afar Locality«) 288-1 geführt wird, wurde allgemein als Lucy bekannt – der Name geht auf den Beatles-Song »Lucy in the Sky with Diamonds« zurück. (Seite 500 aus dem Buch „Eine kurze Geschichte von fast allem“ von Bill Bryson) »Sie ist unser ältester Vorfahre, das fehlende Bindeglied zwischen Menschenaffen und Menschen«, …

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