Gattin gesucht

Vor ein paar Tagen oder Wochen, so genau weiss ich das nicht mehr, unmöglich, den Überblick über alles zu bewahren… Jedenfalls hat Hanif Kureishi einen schönen Text über die Kunst der Zerstreutheit geschrieben. Er beschreibt den wandernden Geist als Quelle der Inspiration, er sagt sogar: Ohne Ablenkung keine Kreativität. Er beschreibt, wie er als unglücklicher Teenager in den Büchern seines Vaters geblättert, wahllos Radio gehört hat statt seine Hausaufgaben zu machen. Er erzählt, wie aus diesen scheinbaren Zerstreuungen etwas wächst. Zarte Pflanzen der Imagination. Nur ein ablenkbarer Geist kann kreativ sein, sagt er. Und ich folge ihm nickend, mich wiedererkennend, bis er (leider etwas gar vorhersehbar) anfängt, gegen Eltern zu wettern, die ihre Kinder „zu ihrem eigenen Vorteil mit Ritalin ruhigstellen“:

If the Ritalin boy prefers obedience to creativity, he may be sacrificing his best interests in a way that might infuriate him later. A flighty mind might be going somewhere.

Ritalin and other forms of enforcement and psychological policing are the contemporary equivalent of the old practice of tying up children’s hands in bed, so they won’t touch their genitals.

Hanif Kureishi, denke ich, kennt nur die Sonnenseite der Zerstreutheit. Er weiss nicht, wie es ist, Nacht für Nacht wachzuliegen, im Saft der täglichen Verfehlungen zu braten wie ein Grillhuhn, das sich unter den glühenden Spiralen der Scham dreht und windet. An all die Dinge zu denken, die man vergessen, verloren, nicht hingekriegt hat. Die einfachsten Dinge: Das Haus zur Zeit zu verlassen. Wäsche zusammenzulegen. Einzukaufen. Eine Agenda zu führen, Rechnungen zu bezahlen, besser noch, Rechnungen zu finden, die zu bezahlen wären. Er weiss nicht, wie es sich anfühlt, jeden Morgen aufzuschiessen, als spüre man eine kalte Messerspitze am Hals: Wie spät ist es? Was hab ich vergessen? Was muss ich?

Diese Schmach, die einfachsten Dinge des täglichen Lebens nicht auf die Reihe zu kriegen, kann einen zerfressen. Da trösten einen die vergänglichen Blüten der Phantasie nur wenig. Vor allem aber hält einen der tägliche Kampf gegen die einfachsten Dinge davon ab, kreativ zu sein. Sich überhaupt an den Schreibtisch zu setzen. Den man auch erst finden muss, unter den Bergen von unbezahlten Rechnungen. Oh, wenn es tatsächlich eine Wunderdroge gäbe, die einem dies alles abnähme!

Dass Kreativität und Effizienz nicht dasselbe sind, dass Künstler selten besondere Effizienz im Erledigen alltäglicher Dinge zeigen, ist ja nicht neu. Normalerweise tut sich ein Künstler deshalb von Vorteil mit einem Praktiker zusammen. Oder klinkt sich aus dem Funktionieren ganz aus. Sehr schön in diesem Zusammenhang zu lesen: John Bayleys Beschreibung des Zusammenlebens in gutgelauntem Chaos mit Iris Murdoch  („Elegy for Iris“). We don’t exactly keep a dust museum. If undisturbed, it seems to fade easily into the genreal background. Like clothes, books, old newspapers, letters and cardboard boxes… Unter Bergen von beschriebenem Papier fanden sie einmal etwas, das sie erst nach langem Nachdenken als eine vor Wochen gekaufte und nie verzehrte, jetzt versteinerte, verschimmelte, pelzüberwucherte Fleischpastete identifizierten. Sie warfen sie aus dem Fenster und lachten sich kaputt.

Was für ein Privileg. So zu leben.

Was Hanif Kureishi von mir unterscheidet, denke ich, ist dass er eine Ehefrau hat. Eine Schriftstellergattin, die ihm die alltäglichen Dinge abnimmt. Aber das ist nur meine niederträchtige Phantasie. Das projiziere ich. Und natürlich auch, dass sie Rita heisst.

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8 Kommentare

Kommentare

  1. Karin meint

    Ach ja, der Alltagsquatsch. Bei uns gibt es keinen praktischen Partner. Viktor ist Musiker und Fotograf und ich schreibe und male. Das Gute daran ist eigentlich nur, dass wir kein Problem mit vielen liegen gebliebenen Dingen des Alltags haben. Nur eben das wir oft die wirkliche wichtigen nicht schaffen. Es ist immer eine Gradwanderung.
    Wenn ich mittags (wann immer es geht, weigere ich mich früh aufzustehen) in mein Arbeitszimmer komme, dann sehe ich die Staubflusen und die Spinnweben und den Haufen unerledigte Post und denke: Aber heute…. Dann sitze ich am Rechner und alles was mich vorher gestört hat, verschwindet. Wir haben zwei Wohnungen, so das jeder sich nur am eigenen Chaos ärgern muss. Die organisierteste in unserer Familie ist Suka, unsere Hündin. Die macht klare Ansagen, wann es Frühstück geben soll, wann es Zeit ist rauszugehen und wann aufgestanden wird. Sie zieht mir dann die Decke weg. Gut das wir sie haben. :-)
    Alles Liebe Karin

    • Milena Moser meint

      @ Karin: ich hatte mal einen Lokalpolitiker im Kurs, der wollte eine Partei der Schreibenden gründen. Unter anderem forderte er Leihhunde für jeden. Macht immer mehr Sinn!

    • Karin meint

      Der Mann hat Potential. :-)
      Ich habe heute einen befreundeten Autoren bei meiner Ärztin getroffen. Im Gespräch bemerkten wir beide, dass wir nur wenig Schwierigkeiten haben unsere Geschichten und das Leben unser Figuren auf die Reihe zu kriegen. Kompliziert wird es immer nur, wenn wir mit der „sogenannten“ Realität kollidieren. Wir hatten uns drauf geeinigt es das Künstlersyndrom zu nennen und Forschungsgelder zu beantragen. Unsere Ärztin meinte: Ich bin dabei! Alle Kreativen die bei mir in Behandlung sind, haben die gleichen Probleme. Dann gibt es Leihhunde auf Rezept. :-)
      Alles Liebe Karin

  2. Eva Ellendorff meint

    Ach liebe Milena, wenn Du mich gestern gesehen hättest! ich weiß noch, dass ich in den – trotz Jahreszeit – wunderbaren Nachbargarten guckte und zu mir selbst sagte: Eva, irgendwie kriegst du das nicht auf die Reihe! Montagmorgen Banktermin, du solltest die Unterlagen für die Rechnungen mitnehmen , die Steuer ist fällig. Du solltest an der Geschichte schreiben, die U. korrigieren wird und den Plan für die bevorstehende Indienreise machen, dann kannst du Montag auch noch schnell beim Arzt vorbei, damit du den Krankenbericht am Mittwoch nach Indien – Ayurveda! – mailen kannst; ach ja, die Unterlagen für das Visum! Und die Steuernummer nicht vergessen. Und bring die Karnevalssachen aus dem Flur in den Keller, bevor du noch darüber fällst und Indien ohne dich weiter existieren muss…und dann mache ich wieder eine neue to-do-Liste, während ich einen Kaffee trinke, hake diese fröhlich ab, bis ich irgendwann wieder aus dem Tritt komme, verzweifel, mich voller Scham wieder rüge, eine neue to-do-Liste…
    Wir sind nicht allein!
    Herzlichst
    Eva
    Melde Dich bitte wegen der anderen Sache.

  3. Barbara meint

    Liebe Milena, ich habe soeben die Geschirrspülmaschine ausgeräumt, die Überreste meines Frühstücks und das meines Mannes (der heute morgen sehr früh auf eine Skitour ging) weggeräumt, die Wäsche hängt seit gestern auf der Leine und ich werde sie mit grösster Wahrscheinlichkeit morgen abend abnehmen, ein paar Kleider liegen im Schlafzimmer herum, aber nur wenige würden behaupten es sei schlimm, die Rechnungen liegen auf einem Stapel und irgendwann in den kommenden Tagen wird mir auch einfallen, dass ich sie bezahlen muss … (-: aber glaub bloss nicht, dass das zu einem ruhigen Geist führt (-: bei einer Auktion würde ich im Wettbewerb mit dir den Preis der Wunderdroge in die Höhe schiessen lassen. „Mein“ Geist wandert einfach zwischen anderen Themen umher und er könnte dir aus dem Stand und absolut mühelos eine lange Liste präsentieren, was ich alles nicht auf die Reihe kriege. Aber vielleicht sollten wir uns besser um eine Wunderdroge bemühen, die das Gefühl von Schmach und Scham auflöst. Wie eine Brausetablette. Ins Wasser werfen und mit Schadenfreude betrachten, wie sich diese mühseligen Gefühle zischend auflösen und im Abfluss verschwinden. Auf Nimmerwiederfühlen. Und dann wandern wir mit erhobenem Haupt an den Schreibtisch, als ob nichts gewesen wäre …

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