Honey, I’m Home!

28163802182In den letzten Tagen ist es immer klarer geworden: Zuhause ist das Thema. Nicht Heimat, nicht Glück, nicht einmal Liebe, nein: Zuhause. Wo ist Zuhause, wie ist Zuhause, warum ist Zuhause. Was war Zuhause, was ist Zuhause. Das ist es, was mich beschäftigt, das ist es, was mich bestimmt. Das ist mein Thema, auch das Thema meiner Reise und somit das Thema meiner Geschichte. Das schliesst Glück ein, Liebe, Heimat, Familie – alles.

Zuhause hat unerwartete Komponenten, neue Aspekte. Das wird mir bewusst, als ich einmal mehr auf dem schwarzen Kissen sitze und einem Gastredner zuhöre, den mir meine Zenlehrerin Sara Kokyo Wildi empfohlen hat – und mit dem ich nicht recht warm werde, so sehr ich es möchte. Alles an dem an sich wunderbar grossartigen Zencenter hier in Santa Fe stört mich: Es ist zu gross, denke ich, zu unpersönlich, zu schön, zu perfekt, zu heilig – kurz, es ist nicht „mein“ Zencenter in Aarau, in anderen Worten: Nicht mein Zuhause. Wo zum Teufel kommt das jetzt her?

Aus Erfahrung – ich habe an verschiedenen, mehr oder weniger fremden Orten gelebt und mich zurechtgefunden – weiss ich, dass das ständige Vergleichen mit dem Vertrauten der grösste Fehler ist, den man machen kann. Vergleichen heisst Scheitern. Und so vermeide ich es, wo ich kann. Und ich kann es gut: auf der Strasse, im Yogastudio, in der Buchhandlung, im Café, beim Abendessen mit neuen Freunden, beim Plaudern mit Fremden. Aber nicht hier, nicht im Zencenter,  ausgerechnet.

Zuhause ist wo meine Familie ist, war lange Zeit die einfachste Antwort. Die richtigste. Doch die Familie in dem Sinn, dass alle unter einem Dach leben, gibt es nicht mehr. Was ist also Zuhause? Das schwarze Kissen, auf dem ich sitze? Das schwarze Kissen, auf dem ich in Aarau sitze? Diese Gedanken überraschen mich selbst am meisten, aber es ist wohl so: Das Zendo Aarau, mehr noch die Sangha des Zendo Aarau, ist mehr Zuhause als vieles andere. Sangha heisst nichts anderes als „die anderen, die da sitzen“. Menschen, mit denen mich sonst nichts verbindet, mit denen ich die meiste Zeit schweigend verbringe und die mir doch erstaunlich nahe sind. Was für ein unerwartetes Geschenk! Danke, Sara, Eric, Christian und Ruth – und bis bald.

Zuhause ist aber auch, und war immer schon der Schreibtisch. Das Schreiben. Die Buchstaben, die ich aneinanderreihe, bilden einen Schlüssel, sie öffnen ein Fenster zu einer anderen, zu meiner eigenen Welt. Zu der Welt, in der ich zuhause bin. Seit ich ein Kind bin. Das Schreiben, wenn auch nicht den Schreibtisch, kann ich überallhin mitnehmen. Das schwarze Kissen auch. Nur die Menschen nicht.

Hm. Wirklich nicht?

Unterdessen hat es aufgehört zu schneien, die Sonne zeigt sich und ich gehe hinaus auf die Strasse. Ein märchenhaftes Bild, weisser Kindheitsschnee, unberührt, in der Sonne glitzernd. Meine Schritte knirschen leise. Ich gehe zum Teahouse, wo ich nicht Tee sondern Kaffee trinke, ich unterhalte mich mit Fremden, irgendwo muss ich noch ein Duvet auftreiben, ein paar Handtücher mehr. Ich bekomme Besuch. Die Menschen, die ich am meisten liebe, kommen zu mir. Sind sie mein Zuhause?

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2 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Ja – man soll nicht vergleichen.
    Nicht im Allgemeinen, aber ganz besonders nicht die eigenen Freundinnen mit den Freundinnen anderer und den eigenen Partner mit anderen Männern.
    Vergleichen ist unfair, politisch nicht korrekt und auch ein bisschen unanständig … Wer vergleichen will, muss genau hinschauen, und das schickt sich nicht! Jeder soll vor seiner eigenen Tür wischen. „Ond was hesch du g’macht?“, fragte die Mutter früher, wenn wir uns beklagten, von den Spielkameraden schlecht behandelt worden zu sein.

    Doch was tun, wenn sich einem plötzlich jemand Vergleichbares in den Weg stellt? Jemand, der verblüffend ähnlich ist, und doch eindeutig ganz anders? Eindeutig besser? „Besser“ im Sinn von freundlicher, fördernder, grosszügiger. Weniger auf sich selbst bezogen. Wenn man das alles zwar deutlich spürt, sich aber nicht erklären kann, woran denn eigentlich. Man atmet nur auf einmal leichter –
    Ich glaube nicht an Zufall. Wenn einem also so jemand über den Weg geschickt wird, geht es dann nicht darum, dass man anfängt nachzudenken? Und ist es nicht so, dass fruchtbares Nachdenken über Neues gar nicht möglich ist, ohne den Vergleich mit dem schon Bekannten?
    „Die Liebe gibt nie jemand auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; alles erträgt sie mit grosser Geduld.“, heisst es in der Bibel. Aber muss Liebe deshalb blind sein? Das kann ich nicht glauben!
    Ist es nicht möglicherweise so, dass jene, die am stärksten darauf beharren, es handle sich nur dann um echte Liebe, wenn man einen Menschen genauso liebt, wie er ist und zwar ein für alle Mal, insgeheim ahnen, dass sie ihr Spiel verloren hätten, wenn sie sich dem Vergleich stellen müssten?

    Als ich vor dreieinhalb Jahren zum ersten Mal in Berlin war, hatte ich an meinem letzten Tag ein Erlebnis, das einen sehr starken Eindruck auf mich machte und mich bis heute beschäftigt. Ich stand schon auf dem Bahnsteig, bereit für die Heimreise, da sprach mich ein junger Mann an. Er fragte, ob ich ihm mein Wochenabo für den ÖV in der Stadt überlassen würde. Ich wunderte mich ein bisschen, warum er wohl wusste, dass ich ein solches Abo hatte, aber ich gab es ihm gern, ich brauchte es ja nicht mehr. Und er hatte Glück: Es war noch ein paar Stunden gültig. Er freute sich sehr, und ich freute mich auch. Aber nicht lange. Kaum hatte sich der junge Mann abgewandt, wurde ich wieder angesprochen, diesmal von einer verwahrlost wirkenden Frau. Ich erinnere mich noch gut an ihr verkniffenes Gesicht und die zerdrückten Haare. Sie war wütend auf mich, weil ich das Abo dem jungen Mann gegeben hatte. „Der hat das doch nicht nötig!“, schimpfte sie erbittert.
    Ich entschuldigte mich. Offenbar herrschte ein Konkurrenzkampf um diese Abos. Das hatte ich nicht gewusst. Als Entschädigung bot ich ihr einen der beiden Brezel an, die ich mir als Reiseproviant gekauft hatte. Es war nicht einfach, sie zu überzeugen, ihn als Ersatz für das Abo anzunehmen. Sie wollte ein Abo, keinen Brezel. Schliesslich nahm sie ihn dann doch. Aber sie blieb ungnädig. Sie hatte nicht das bekommen, was sie gewollt hätte, und zwar durch meine Schuld.

    Dass die Frau so ungnädig war, verletzte mich in einem Ausmass, das in keinem Verhältnis zum Anlass stand, das merkte ich selber. Warum ich ihr nicht einfach Geld gab oder sie kurzerhand abwies, weiss ich heute nicht mehr. Ich kannte sie ja gar nicht, ich hätte mich überhaupt nicht mit ihr einlassen müssen. Doch ich hatte mich nun mal eingelassen und ich war verletzt worden. Und zwar so sehr verletzt, dass ich meiner Therapeutin das Erlebnis schilderte, weil ich dachte, es könnte auf etwas tiefer Liegendes hinweisen.

    „Du hast dieser Frau nicht das gegeben, was sie brauchte. Sie konnte damit nichts anfangen“, mutmasste die Therapeutin.

    Doch da regte sich auf einmal Widerstand in mir. Das erste Mal in meinem Leben. Nicht Trotz meine ich. Widerstand.

    Frohe Weihnachten euch allen, und danke, Milena, für deinen Text, der mich sehr berührt hat. Und auch sonst für alles.
    Liebe Grüsse
    Regula

  2. Hans Alfred Löffler meint

    So musste sie es machen. Sie musste alles ablegen was, was zwischen ihnen stand. (Seite 252 aus dem Buch DAS WAHRE LEBEN von Milena Moser)
    Dann: 19:00 Uhr mein Handy klingelt, sie sagte: „mein Zug fährt um 19:08 Uhr, den will ich nicht verpassen …“ ich bleibe Zuhause und ich lese weiter im Buch DER HERR DER KRÄHEN, von Ngũgĩ wa Thiong’o, einem kenianischer Schriftsteller und Kulturwissenschaftler.

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