Methode.

f04034b98e0e8c789aae4da45d8f39b5a73e5b3884dfa5eb84ff8e30Letzte Woche habe ich alles wieder vergessen, alles, was mich ärgert, alles, was mich belastet, leider auch alles, was ich tun müsste. So habe ich es zum Beispiel verpasst, meine Werkliste bei der Pro Litteris fristgerecht zu erneuern und muss nun ein Jahr lang auf alle Rechte für alles, was ich im letzten Jahr geschrieben habe, verzichten. Das sind schon ein paar tausend Franken. Ich sehe es als Strafe für mein Gejammer von letzter Woche und beisse die Zähne zusammen. Dann vergesse ich auch das.

Wir proben für unser nächstes Bühnenprogramm. Das klingt ganz harmlos, ist aber für mich – Laiin, Neuling, Bühnenfremde – immer wieder eine überwältigende Sache. Die Proben verschlingen mich, sie drängen alles andere zur Seite, sie fordern mehr von mir, als ich habe. Stimmt das? Eben nicht: Am Ende stellt sich immer heraus, dass ich mehr habe, als ich meinte, dass ich habe. In weiser Voraussicht habe ich diesmal die ganze Woche blockiert, auch wenn die Proben nur bis halb fünf angesetzt sind. Ich weiss noch vom letzten Mal, wie knochentief erschöpft ich nach so einem Tag jeweils war. Warum das so ist, keine Ahnung. Ich arbeite sonst länger. Aber allein. Vielleicht ist es das? Vielleicht ist es die konstante Präsenz? Oder die Tatsache, dass wir mit allem arbeiten, was wir haben, was wir denken, was wir sind?

Wir treffen uns in meiner Schreibstube in Aarau, wir trinken vielleicht knapp noch einen Kaffee, dann geht es los. Und am Anfang ist nichts. Dann sagt die Regisseurin zum Beispiel: „Erzähl doch mal, warum du dich verlieben willst!“ Das ist mein Teil der Geschichte: Die Suche nach der Liebe. Wenn es sonst nichts ist? Ich schalte das Aufnahmegerät ein. „Ähhhh also ähhhhh hmmmmmm….“

„Und wenn Sibylle mal dagegen hält?“

So geht das den ganzen Tag. Worte kommen aus meinem Mund, von denen ich nicht wusste, dass ich sie denke. Es ist eine Art beschleunigter Brachial-Therapie. Verwirrt und hundemüde gehe ich nachhause, wo zum Glück nichts ist. Beziehungsweise, siehe oben, ich vergesse, dass da noch was wäre. Ich ziehe die Kopfhörer an, ich höre mir an, was wir an diesem Tag improvisiert haben, ich tippe es ab. Und – dann, jedes Mal, dieselbe Überraschung: Doch, da ist was! Da ist durchaus etwas. Ich merke es erst beim Schreiben. Wie ich wohl alles Wichtige erst beim Schreiben merke. Doch, da ist was. Wir haben etwas erwischt. Eine Szene, eine Pointe, eine Aussage.

Am nächsten Morgen gehen wir die Ausbeute vom Vortag durch, wir büschelen und streichen, sortieren die Wiederholungen aus, platzieren die Pointen. So geht das Tag für Tag. Am Anfang war nichts, am Ende ist ein Stück. Gibt es ein grösseres Glück? Ja, reim dich, oder ich fress dich!

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3 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Interessant was Du uns erzählst, geschätzte Milena. Ich möchte auch gerne etwas erzählen, aber es wäre eher banal was ich erlebte oder machte. Deshalb schreibe ich hier über ein Buch das ich z.Zt. lese, am Samstag im Zug, nur zwei Sätze, einer kurz und einer lang, über die Liebe, übers Liebe machen, so:
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    Auf dem Boden der Höhle, umfangen von der Dunkelheit, trug es sie über Täler und Hügel. Sie schwebten durch blaue Wolken hoch zu den Gipfeln reiner Verzückung, wo sie, im Raum verloren, das Gefühl hatten, als drehte sich die ganze Welt, bevor sie wieder herabschwebten, einen Regenbogen herunterrutschten, der Erde entgegen, ihrer Erde, wo das Gras, die Pflanzen und die Tiere ein Schlaflied der Stille zu singen schienen.
    (Aus „Herr der Krähen“ von Ngugi wa Thiong’o übersetzt von Thomas Brückner)
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  2. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Es zerreisst mir das Herz, wenn ich von deinem erneuten Missgeschick lese, und ich hoffe sehr, die zuständigen Mitarbeiter von der Pro Litteris zeigten Verständnis: Die Frist war ja erst am Freitag abgelaufen und danach war Wochenende. Nächstes Mal werde ich dich daran erinnern, ich habe es bereits in meiner Agenda eingetragen. Man muss einander helfen.

    „In England haben sie jetzt an den Theatern Quoten für Behinderte. Ob das wohl hier auch so ist?“, fragte sich meine Tochter angesichts des kleinwüchsigen Narrs in „Was ihr wollt“, das wir uns am letzten Abend unseres Berlin-Aufenthalts im Berliner Ensemble anschauten.
    Ich wusste es nicht. Doch dieser Narr war bestimmt nicht Quote, da war ich mir sicher.
    Wir waren unvorbereitet. Ich hatte vorgehabt, den Tucholsky-Abend zu besuchen, der zur gleichen Zeit im gleichen Haus geboten wurde, mich aber nicht dazu durchringen können, die Karten im Voraus zu bestellen. Die Vorstellung war ausverkauft. Stehplätze gab es keine.
    „Eigentlich interessiert mich Shakespeare sowieso mehr“, sagte meine Tochter.

    Der Narr war Thomas Quasthoff. Ich hatte es geahnt. Ein wunderbarer Sänger und Schauspieler.

    Man kann Vieles aus eigener Kraft, aber nicht alles. Es scheint eine Grenze zu geben, von der aus man allein nicht mehr weiterkommt. Sonst käme man ja weiter – bei all der Arbeit und all dem Fleiss.
    Warum schaffen es die einen, und die anderen schaffen es nicht?
    Diese Frage hat nichts mit Neid zu tun. Es ist eine ganz normale, sachliche Frage, die man sich unweigerlich stellt, wenn man beim besten Willen nicht noch mehr machen kann, als man bereits tut oder getan hat.

    Dann muss man halt Umsatteln? Sich neu orientieren?

    Ich habe schon umgesattelt. Ich habe mich schon neu orientiert. Viele Male. Und jedes Mal bin ich von neuem in eine Brombeerhecke geraten. Ich kann nicht mehr. Bei mir ist Matthäi am Letzten.

    Ich bin ziemlich sicher, dass ich gute Arbeit leiste, und trotzdem kommt es mir immer wieder vor, als würde ich faule Tomaten anbieten, die man mir nur aus lauter Barmherzigkeit abnimmt. Oder drastischer ausgedrückt: Als würde ich mich prostituieren und meine Kunden tun so, als täten sie meinem Körper etwas zuliebe, indem sie ihn benutzen, weshalb es eigentlich angemessener wäre, ich würde sie bezahlen, statt sie mich.

    „Das ist nichts anderes als sehr geschickte Diplomatie“, würde meine Tochter, die Studentin Internationaler Beziehungen, dazu sagen.

    Nur – warum wehre ich mich nicht?
    Warum nehme ich die Art, wie sehr viele Leute mit mir und meiner Arbeit umspringen, einfach hin? Das ist doch absurd!
    Ja. Es ist schwer zu verstehen. Die längste Zeit merkte ich es gar nicht. Ich wusste nichts anderes. Ich glaubte, das Leben sei so. Eigentlich ging es mir ja gut, vergleichsweise. Und so ist es auch heute noch: Im Vergleich mit den Hungernden in Afrika, mit all denen, die an Krebs erkranken oder ihre Angehörigen Strassenverkehr verlieren, geht es mir gut. Daran ist nicht zu rütteln.
    Doch ich will nicht ausweichen. Die Frage steht gleichwohl an: Warum nahm und nehme ich die Art, wie sehr viele Leute mit mir und meiner Arbeit umspringen, einfach hin?
    Aus Nächstenliebe jedenfalls nicht, glaube ich.
    Vielleicht sollte man die Frage umgekehrt stellen: Warum springen so viele Leute auf solche Art mit mir und meiner Arbeit um? Niemand „muss“ einen anderen ausbeuten, auch wenn dieser sich, aufgrund der Konstellation seiner Persönlichkeit, noch so gut dafür eignet.

    Natürlich weiss ich, dass ich mich selbst ändern muss, wenn sich in meinem Leben etwas ändern soll, ich habe genug (gute!) Psychologiekurse besucht. Und ich habe mich geändert, ich schwör’s. Mehr geht nicht. Ich bin an der Grenze angelangt, von der aus man allein nicht weiterkommt.
    Deshalb bin ich für jede Hilfe dankbar. Ich finde es wunderbar, wenn mich jemand glaubhaft seiner/ihrer Hilfsbereitschaft versichert, und es tut mir gut, wenn ich spüre, dass jemand aufrichtig bedauert, mir nicht helfen zu können.

    Im Übrigen wünsche ich mir, dass Personen, denen ich nicht das geben kann bzw. will, was sie brauchen bzw. wollen, mich nicht weiter behelligen, sondern sich jemand anderem zuwenden der/die ihre Bedürfnisse befriedigt.
    Wo du nicht lieben kannst, gehe vorüber! ;-)

    Sehr herzlich
    Regula

  3. RK meint

    Das gibts doch nicht!? Pro Litteris….

    Wenn Sie es vergessen haben zu erneuern, dürfen die Ihre Werke doch auch nicht verleihen…?? oder wenn doch, dann kostet das auch was…..wer steckt sich sonst IHR Geld ein??
    …und nimmt Ihnen das nicht Ihr Verlag ab?

    Es freut mich aber sehr zu lesen, dass sich das Sturmtief von letzter Woche verzogen hat!!
    (es hatte mich sehr überrascht, dass auch Bestsellerautorinnen mit solchen Gedanken geplagt werden)

    Viel Erfolg mit dem neuen Bühnenprogramm!!

    herzlichst
    RK

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