Mut gemacht!

Das ist mein Bild für 2012 und kein Vorsatz: Dieses Jahr den freien Fall feiern, aus voller Kehle schreien, jauchzen, keine Zeit, um nachzudenken… Moser rides…

Aus heiterem Himmel kommt mir André Kaminski in den Sinn („Nächstes Jahr in Jerusalem“, „Kiebitz“, und der einzige Bericht einer Lesereise, der auch wirklich lesenswert ist: „Shalom allerseits“). Kaminski hat mir einmal sehr geholfen. Lange, bevor ich ein Buch veröffentlichte, gründete ich mit meinem ersten Mann, dem Buchhändler René Moser, ein literarisches, vielmehr antiliterarisches Magazin. „Sans Blague, Magazin für Schund und Sünde.“ Darin wurden Bücher besprochen, die René in seinem Laden verkaufte, es wurden aber auch Geschichten gedruckt, die sonst niemand drucken würde. Meine zum Beispiel. Das war mein Spielplatz, da wurde ich auch meine Enttäuschung über die erfolglose Verlagssuche los. Ich benutzte sie, bevor sie sich in Bitterkeit verwandelte. Nach der hundertsten Absage („leider überhaupt kein Talent…“) verfasste ich in einer einzigen kurzen Nacht eine Anleitung zum Schreiben eines Schundromans, die in Wirklichkeit eine Persiflage auf den Literaturbetrieb war, wie ich ihn von aussen, durch die Gitterstäbe spienzelnd, damals halt erlebte. Ohne diesen Spielplatz, diese Möglichkeit, mich auszuprobieren, auszudrücken, hätte ich bestimmt irgendwann aufgegeben. So geschah es aber, dass eine Geschichte aus dem Sans Blague in der Sonntagszeitung nachgedruckt wurde und eine andere ihren Weg in eine Krimianthologie fand. Heute muss man nicht extra ein Magazin gründen, heute gibt es das Internet, den Blog… aber ich schweife schon wieder ab.

Eines Tages las ich eine Kolumne von André Kaminski, in der er sich über die Wahl des neuen „Camel Manns“ mockierte (Anm. für jüngere Leserinnen: damals wurde nicht nur geraucht, sondern auch für Zigaretten geworben. Marlboro hatte seine Cowboys und Camel einen schnurrbärtigen Abenteurer, der in einem alten Jeep durch die Wüste fuhr und sich an Lianen durch den Urwald schwang). Kaminski fand, man hätte besser ihn gewählt, warum, weiss ich nicht mehr, nur noch, dass ich vor Lachen beinahe vom Stuhl gefallen wäre. Ich habe die Kolumne mehrmals gelesen, immer weniger laut gelacht, immer mehr gestaunt. Bis ich mich schliesslich gerade hinsetzte und Herrn Kaminski einen Brief schrieb: Ich sei begeistert von seiner Kolumne, ob er nicht für „Sans Blague“ schreiben wolle, allerdings ohne Bezahlung… Einige Wochen später klingelte das Telefon. Herr Kaminski wollte wissen, ob ich eigentlich spinne. Was sollte ich sagen? Ich sagte ja. André Kaminski schrieb keine Kolumnen für uns, aber er bot sich an, meine Geschichten zu lesen. Dann lud er mich zu Kaffee und Kuchen ein, entführte mich einen Nachmittag lang auf das Riesenrad seiner Erzählungen und sagte zum Abschied: „Keine Angst, Sie werden es schon schaffen.“

Keine Angst. Daran hab ich mich sehr lange festgehalten. Und bei jeder neuen Absage dachte ich: Er hat ja nicht gesagt, wann.  Keine Angst. Keine Angst.

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Leser-Interaktionen

3 Kommentare

Kommentare

  1. Barbara meint

    „Ich will auch mitreden“ oder noch lieber „ich will auch mitschreiben“, so die erste Reaktion auf die Entdeckung von deinem Blog, Milena, und auf die verschiedenen Beiträge von bekannten und unbekannten Stimmen. „Ausgeschlossen! Du bist ausgeschlossen. Ausgesperrt von den Wörtern“, das die zweite Reaktion. Nicht dass mir die Wörter im Alltag abhanden gekommen wären. Ich kann auf dem Markt immer noch fragen, ob die Orangen süss sind und sich gut schälen lassen, wie lange sich das Fleisch unvakumiert hält, ob er der angepriesene Alpkäse für ein Frühstück nicht zu rezent ist. Ich kann immer noch mit Kunden fachsimpeln oder im Bewerbungsgespräch sinnvolle und seltsame Fragen beantworten. Aber sobald ich mich den Worten mit Papier und Stift nähere, sind sie auf der anderen Seite der unsichtbaren Wand. – Ihr kennt die Wand in Marlene Haushofers Roman? – Ich kann die Texte – natürlich die der anderen – sehen und spüren und riechen, … Aber selber schreiben? Ausgeschlossen, die Wörter stehen nicht zur Verfügung, auch nicht für einen Kommentar zu einem Blog. Ja dann gute Nacht.
    Heute morgen meinte meine Shiatsu-Frau, ich solle besonders gut auf Herz, Lunge, und Nieren achten, da sei zu wenig Energie drin. Zweimal täglich Brustraum und Oberarme mit Rosenöl einreiben, das wäre hilfreich. Da kann Frau nichts dagegen haben. Und zwei Hanteln wären gut, um den gleichen Bereich zu kräftigen. Diese Anregung verdränge ich sofort wieder. Vor meinem inneren Auge tauchen in fröhlichen Farben gehäkelte Säckchen auf (Fachbegriff: Organhüllen), aus weicher Wolle, in die sich Herz, Lungen und Nieren so richtig schön einkuscheln können. So stelle ich mir das vor. In meinem Kopf. Und mein Herz wird warm. … Und nachdem ich noch ein bisschen im Thermalbad in Zürich herumgeplanscht habe, statt wie vorgesehen das Büro aufzuräumen, sprudeln auch die Wörter wieder, wenigstens in Form eines ersten Kommentars zu deinem Blog, Milena. … Auf ein fröhliches Schreiben im neuen Jahr!

    • Milena Moser meint

      @ Barbara: Interessant. Ich kenne diese Wand. Aus dem Leben. Manchmal scheint mir, sie löse sich nur beim Schreiben auf… danke für diesen schönen Beitrag. Organhüllen! Was für ein Bild. Ich kann sie vor mir sehen, deine eingekuschelten Organe, und ich rieche das Rosenöl auf deinen Armen. Ja, auf fröhliches Schreiben! Bleib dran.

  2. Regula Haus-Horlacher meint

    @Milena: Nun denn, packen wir’s an –
    Peinlich sind einem solche Eskapaden ja immer erst, wenn man anfängt, darüber nachzudenken: Wenn man merkt, dass man wieder mal auf das Märchen von einer enttabuisierten Welt hereingefallen ist, wo jeder bei Rot über die Strasse geht, nach Belieben die Partnerin oder den Partner betrügt, ohne Billet Zug fährt.
    Und dann kriegt man Herzrasen und Schweissausbrüche.
    Jedenfalls ich kriege dann Herzrasen und Schweissausbrüche.
    Je nun –

    Ich glaube, ich baue die Säntisbesteigung so wie sie im Tagebuch steht in den Roman ein. Ich will da nicht nochmal rauf!
    Die meisten Einträge könnte ich nicht so eins zu eins übernehmen. Sie wären zu schonungslos persönlich.
    Vor kurzem habe ich die Tolstoi-Tagebücher gelesen. Soviel Ehrlichkeit ist fast nicht auszuhalten! Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemals für andere Augen gedacht war als für seine eigenen, und verstehe auch nicht wirklich, warum er diese Notizen – mehr sind es ja nicht! – aufbewahrt hat.
    Andrerseits: Jetzt noch nachverfolgen zu können, dass es offensichtlich möglich ist, aus solch verworrenem, knorrigem komprimiertem Lebensmaterial Romane wie „Anna Karenina“ und „Krieg und Frieden“ herauszuarbeiten, ist nicht nur faszinierend, es ist auch sehr lehrreich!
    Sei’s drum. Die Säntispartie ist eine Ausnahme, die ich mit zwei, drei kleinen Abstrichen so verwenden kann, wie sie dasteht. Es ist einfach eine Beschreibung, nichts weiter. Knapp gehalten natürlich, aber ich glaube, mehr braucht es auch gar nicht.

    Aber reden wir nicht mehr von mir! Wo um Gottes Willen ist Nevada?!… Erika?!… oder womöglich Eva???

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