On the road again – again!

Buchmesse-Leipzig-Born-to-writeIm Zug zwischen Hamburg und Nordhorn, zwischen Nordhorn und Leer. Eine flache Landschaft zieht vor dem Fenster vorbei, windzerzauste Birken, herbstlich eingefärbt, das Lied von Hildegard Knef in meinem Kopf, die Stimme von Michael von der Heide. Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke… Ich auch, denke ich. Dann denke ich an all die Lesereisen, die ich schon absolviert habe. Mein erster Besuch auf der Buchmesse, nicht als Buchhändlerlehrling sondern als Schriftstellerin. Wie nervös ich war. Wie ich automatisch Kaffee holte für die anderen. Die ersten Lesungen in Deutschland, als ich noch bei den Buchhändlern zuhause übernachten musste. Dann kam eine Zeit, in der ich von einer Verlagsangestellten begleitet wurde. Einmal, erinnere ich mich, bin ich in der Nähe ihres Wohnortes aufgetreten, wir sind zusammen in ein Gartencenter gefahren. Aber wie sie heisst, weiss ich nicht mehr. Dann die Reise während der Schwangerschaft, vor fast zwanzig Jahren. „Ich wollte ein Buch von Ihnen, kein Baby“, sagte der damalige Verleger. Und ich: „Das Baby kriegen Sie auch nicht!“ Das Buch natürlich schon, ich habe noch nie nicht geliefert. Egal unter, oder in diesem Fall in welchen Umständen… Aber ist das wirklich eine Tugend? Langsam beginne ich, das zu bezweifeln…

Die Zugfahrt zurück nachhause beginnt morgens um sechs und dauert fast zwölf Stunden. Ein Berg Wäsche, ein Berg Post, Take-Out-Food. Chicken Kung Pao und Frühlingsrollen, alles sehr gesund, sehr gesund. Eigentlich wollte ich noch mein einziges langes Sommerkleid bügeln, aber ich mag nicht mehr. Am nächsten Morgen stehe ich immerhin erst um sieben Uhr auf, bügle mein Kleid, probiere sicherheitshalber, ob es überhaupt nocht passt. Der kurs geht bis fünf, danach habe ich eine halbe Stunde Zeit um mich in „festliche Abendgarderobe“ zu stürzen, zu schminken, zu kämmen. Dann Pullover, Stiefel, Fellmantel über die festliche Abendgarderobe und zu Fuss zum Bahnhof, mit den Zug nach Baden, dauert auch eine halbe Stunde, länger als bis Zürich… Dann ein Taxi zum Festzelt. Mein Kleid ist am Saum nass, ausserdem ist es nicht schwarz, aber das ist ein anderes Thema. Meine Freundin K, die in solchen Dingen mehr Erfahrung hat, meinte: „Wenn in einer Einladung „festliche Abendgarderobe“ steht, dann impliziert das, dass du mit einem Wagen abgeholt wird.“ Nicht durch Eiswind und Wetter stapfst, bis deine Nase so rot ist wie dein Kleid, nicht die Rocksäume durch den Schneematsch schleifst… Daher kommt übrigens das Wort „Schlampe“: Es bezeichnete die Rocksäume, die Frauen im Mittelalter sorgfältig vor dem Schmutz der ungeteerten Strassen schützen mussten. Dabei hatten sie wie immer gar keine Chance, es richtig und allen Recht zu machen. Wer die Rocksäume schleifen liess, war eine Schlampe im Sinn von einer schmuddeligen, unordentlichen Person. Wer sie hingegen hoch hob und dabei vielleicht ein Stück Bein aufblitzen liess, war eine Schlampe im Sinn von einer sexuell freizügigen Person. Wie man Frauen nannte, die mit beiden Füssen in eine Pfütze sprangen und dazu jauchzten, weiss ich nicht.

Den Nanowrimo habe ich jedenfalls schleifen lassen wie meine Rocksäume. Aber es ist noch nicht aller Novembertage Abend. Ich kann immer noch mit beiden Füssen hineinspringen, dass die Worte um mich herum aufspritzen und mich von oben bis unten bekleckern!

 

 

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7 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Wie man Frauen nannte, die mit beiden Füssen in eine Pfütze sprangen und dazu jauchzten? – Naja, wahrscheinlich Hexen.
    Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht im Mittelalter lebe, obwohl ich selten absichtlich in Pfützen springe. Eigentlich nie. Vielleicht liegt es daran, dass es heute nicht mehr so viele Pfützen gibt wie im Mittelalter, ausser man lebt sehr auf dem Land. Aber das glaube ich nicht. Ich wäre wohl auch im Mittelalter nicht in Pfützen gesprungen. Ich bin das, was man angepasst nennt. Ich tue, was man von mir verlangt. Und zwar genau das. Wenn jemand zu mir sagt: „Komm doch mal vorbei!“ und ich antworte: „Ja, mach ich.“, dann fühle ich mich verpflichtet auszuführen, was ich versprochen habe. Fragt mich jemand: „Wie geht es dir?“, sage ich, wie es mir geht.
    Es dauerte fast fünfzig Jahre bis ich begriff, dass nicht alle Leute alles ernst meinen, was sie sagen oder fragen. Überhaupt, dass viele Leute mit Vielem nicht das meinen, was sie sagen.
    Wenn man sich zum Beispiel einer Gruppe von Leuten anschliesst, muss man wissen, wie man sich in dieser Gruppe zu benehmen hat. Das wusste ich nicht. Ich meine, ich wusste nicht nur nicht, wie man sich benehmen muss, sondern ich wusste nicht einmal, dass man sich überhaupt auf eine bestimmte Art benehmen muss, je nachdem, um was für eine Gruppe es sich handelt. Ich war sozusagen „Benehmensblind“. Ich nahm für selbstverständlich an, dass seit dem Mittelalter alles anders geworden sei. Heute weiss ich es besser. Es ist nicht alles anders geworden, nur ein Teil
    Konkret: Ich glaubte, heutzutage müsse man nur seine Sache möglichst gut machen und einander gegenseitig das Leben erleichtern. Doch das schien nicht wirklich zuzutreffen. Also versuchte ich meine Sache ein bisschen weniger gut zu machen und den anderen das Leben ein bisschen weniger zu erleichtern. Aber da wurde mir noch schneller klar gemacht, dass es so dann überhaupt nicht gemeint sei.
    Es war sehr verwirrend, und wie man es wirklich machen muss, habe ich immer noch nicht herausgefunden.
    Ich habe das Problem dann auf eine andere Art gelöst, nämlich dass ich mich irgendwann einfach keiner Gruppe mehr anschloss. Aber das kann es ja auch nicht sein, finde ich.

  2. Hans Alfred Löffler meint

    «Der Tumor drückt ihm aufs Gehirn. Er tut Dinge … er sagt Dinge, die er sonst nicht sagen würde. Ich würde das also nicht so ernst nehmen. Was er Ihnen gesagt hat.» (1)
    Ich hatte ja nur gefragt ob sie mich heiraten würde. Dabei hatte sie sich ängstlich umhergeschaut und gesagt: »My husband is here … and, »Yes, if you have enough money …« (2)
    (1) „Das wahre Leben“ von Milena Moser, Seite 156
    (2) Magazin zum Globus AG, 8001 Zürich, Weinbar 3, 26.11.2013 23.13 Uhr
    (3) mein Zug, die S5 fuhr um 23:28 Uhr, das wahre Leben war mit mir und hiess Perrier-Jouët rosé – Prosit: Paula!

  3. Corinne meint

    Ist es wirklich schon ein Jahr her, dass ich hier geschrieben habe, man könne doch nicht den November als Nanowrimo ausrufen?!
    Schon wieder ein Jahr vorbei … und immer ist die Geschichte noch nicht fertig erzählt. Manchmal denke ich, dass ich gar nicht will, dass sie eines Tages fertig ist. Eine gute Ausrede, um auch dieses Jahr den Nanowrimo an mir vorbei sausen zu lassen. Und wie man sieht, ist sowieso gleich wieder November und wer weiss, vielleicht will ich ja nächstes Jahr, dass die Geschichte ein Ende findet und nehme den Nanowrimo als Anlass, einen Zahn zuzulegen.

  4. Esther Wilson meint

    Liebe Milena Moser, vergiss dann aber nicht, dabei zu jauchzen! Denn eine Frau, die jauchzte oder pfiff früher, war ganz sicher eine Ober-Schlampe. Wahrscheinlich traute sich das niemand. Sich freuen verboten. Warum? Juhuiiii! S’Läbe isch schön! Mit einem lieben Sympathie-Gruss von Esther Wilson
    Läbe isch erLäbe…

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