Same same but.

samesame-1Der Text an dem ich arbeite hat einen seltsamen Arbeitstitel, der nur für mich Sinn macht: „Eine Olive sucht das Glück.“ Das ist das, was ich erzählen will. Wie ich das Glück suchte, dort das Recht auf ein solches Unterfangen im Grundgesetz festgehalten ist, nämlich in Amerika. Und was ich dort statt dessen fand. Beziehungsweise ausserdem. Die Olive bin ich. Wie ich eine Olive wurde, habe ich allerdings schon einmal beschrieben, in meinem letzten Buch, einem Roman. Da wurde Erika nicht eine Olive sondern eine Erbse, aber sonst war alles gleich.

Kann ich das noch einmal beschreiben? Wem gehört mein Leben?

Ich schreibe keinen Roman. Ich berichte. Aus meinem Leben. Aus einem Abschnitt in meinem Leben. Das heisst, ich weiss genau, wer da war und wer nicht, was passierte und was nicht, was ich gedacht, gefühlt, gesehen habe. Was ich nicht weiss, ist, was ich davon erzählen will und was nicht. So beginne ich eigentlich von hinten.

Meine übliche Methode „erst schreiben, dann denken“ bewirkt, dass ich mich beim ersten Entwurf andauernd selber überrasche, überfordere, in die Enge treibe. Dass ich sozusagen mit angehaltenem Atem schreibe, in einem Zustand zwischen Panik und Euphorie. Das Nicht-Wissen (was passiert, wo es hinführt, was daraus wird) beflügelt und inspiriert mich.

Bei einem autobiographischen Text liegt das ganze Material schon da. Ich fange also dort an, wo ich sonst aufhöre: Beim Sortieren des Materials. Ich notiere Szenen meiner Reise auf bunte Kärtchen, breite sie auf dem Fussboden aus, zerknülle einige gleich wieder, schreibe neue. Was ist die Geschichte? Was gehört dazu? Was nicht?

Ich nehme mir willkürlich eines meiner Kärtchen vor und beginne zu schreiben.  Es fühlt sich an wie eine Hausaufgabe. Es langweilt mich, schon genau zu wissen, was jetzt kommt. Da rettet mich wieder die einzige Regel, die ich befolge: Was im Kopf ist, kommt aufs Papier. Und mein Kopf, mein alter Freund und grösster Feind, lässt mich nicht im Stich. Er tritt aus dem Kärtchenquadrat heraus und führt mich an einen ganz anderen Ort. Und da ist es wieder, dieses Anhalten des Atems bei klappernder Tastatur.

Vorgestern war ich im Theater. Der (absolut grossartige) Abend beginnt damit, dass die Pianistin zu spielen beginnt, inne hält, lauscht: Handorgelklänge von draussen. Sie schaut aus dem Fenster, wir folgen ihrem Blick und sehen draussen auf der Strasse eine Frau stehen mit Lippenstift, Béret und Accordéon. Sie spielt, schaut schüchtern herein wie Kind, das nicht sicher ist, ob es Mitspielen darf oder verjagt werden wird. Sie verschwindet wieder und kommt dann später von der anderen Seite wieder herein. Die Frau ist der Star des Abends. Als sie zu singen beginnt, steht plötzlich eine andere Frau vor dem Fenster und schaut herein. Sie trägt einen auffallenden roten Mantel. Ein Zuschauer winkte sie heran, sie tritt näher, sieht die vielen Menschen direkt vor der Tür sitzen, entfernt sich wieder. Immer wieder taucht sie draussen auf, raucht eine Zigarette, hört die Musik vermutlich auch von der Strasse. Immer wieder schaute jemand von der Bühne zum Fenster, sah sie da draussen und lachte.

Ich dachte, sie gehört zum Stück. Dachte, das lenkt ab, irritiert, ist aber trotzdem gut. Innen und aussen, dachte ich. Hauptrolle und Nebendarstellerin. Spiel mit der Wahrnehmung. Ganz vieles dachte ich. Dann stellte sich heraus, dass die Frau im roten Mantel tatsächlich nur eine Zuschauerin war, die sich verspätet hatte.

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5 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    @Milena: Die „Frau im roten Mantel“ hat mich auf eine Idee gebracht. Ich weiss nicht, ob wirklich ein Zusammenhang besteht oder nicht, aber so arbeitet mein Gehirn nun mal.
    Ich bin beim Schreiben meines Rahel-Romans gerade an der Schulreife-Abklärung ihres Sohnes Stefan vorbeigekommen. Für Mutter und Kind eine sehr schmerzhafte Angelegenheit, weil die Schulpsychologin – ha ha, was für ein Klischee – besser wusste, was für ihr Kind gut war als Rahel selbst. Aber darum geht es hier nicht. Rahel hatte von ihrer Kinderärztin das Büchlein von Lislott Ruf-Bächtiger über das frühkindliche psychoorganische Syndrom bekommen, nachdem sie ihr von Stefans Bewegungsauffälligkeiten erzählt hatte. Dieses Büchlein wurde für Rahel zu einer Art Offenbarung. Was sie besonders faszinierte, war Ruf-Bächtigers Beobachtung, dass POS-Kinder – sie hatte unzählige von ihnen beobachtet und getestet – nicht nur „vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen“, sondern im Gegenteil, wenn sie etwas interessiert, auch ganz besonders gut fokussieren können. Das war ja sehr spannend! Da gab es Kinder, die sich selber und ihre Umgebung mit ihrer Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, vor schier unlösbare Probleme stellten und nun sollten dieselben Kinder sich auf etwas, das sie sehr interessierte, sogar viel besser konzentrieren können, als andere „normale“ Kinder? Seltsam. Aber Rahel hatte sich ja bei Stefan schon oft gewundert, wie völlig vertieft er in sein Legospiel sein konnte. Alles Rufen nützte nichts, er hörte es nicht. Man musste zu ihm hingehen und ihn berühren und dann erschrak er meistens.
    Diese Fähigkeit zu fokussieren, fand Rahel, musste man doch nutzen können!
    Stefan konnte nicht anständig essen. Er ass zwar sehr gern, aber seine Lego-Projekte waren ihm noch wichtiger. Wenn Rahel ihn dazu bringen wollte, sich aufs Essen zu konzentrieren, musste sie ihm einen Anreiz geben. Sie führte eine Strichliste für „schönes Essen“ ein. Immer nach zehn Strichen gab es zur Belohnung eine Milchschnitte und als das Hundert voll war, gingen sie ins Restaurant Schnitzel und Pommes Frites essen. Das Geheimnis dieser Übung war die Dauer: Nach hundert Mal war das anständige Essen zum Automatismus geworden. Und natürlich funktionierte es nur, weil Stefan nicht verwöhnt war. Er war von Geburt auf ein Feinschmecker gewesen, und sie gingen kaum je auswärts essen.

    Es geht mir nicht darum, meine Romanheldin als „die Mutter, die mit dem POS-Kind zurechtkam“ hervorzuheben.
    Mir geht es nur um diesen unbedeutenden, einfachen kleinen Strich auf einem Stück Papier, der eine genauso unbedeutende kleine Belohnung versprach.
    Ist das nötig? Ist denn nicht das Essen selbst Belohnung genug? Man sollte doch dankbar sein, wenn man überhaupt zu Essen hat, schliesslich gibt es Menschen, die hungern, an die sollte man denken, nicht selber immer noch mehr wollen?!
    Ja, selbstverständlich bin ich auch dieser Meinung – Wer wäre das nicht! – Wobei den hungernden Menschen mit dem täglichen Franken ins Spendenkässeli wohl mehr geholfen wäre als mit frommen Gedanken während des eigenen, reichhaltigen Mittagessens, aber das Eine schliesst ja das Andere nicht aus. Und – ja, behaupte ich, diese tägliche kleine Aussicht auf etwas Glanz ist so nötig wie die Aussicht am ersten Dezember, dass in 24 Tagen Weihnachten ist.

    Zurück zur Frau im roten Mantel:
    Könnte es nicht sein, dass sie für euch Zuschauer zu etwas Ähnlichem wurde, wie der kleine schwarze Strich für Rahels Sohn Stefan?
    Dass sie dem Theaterstück eine besondere Würze verlieh, einen zusätzlichen Reiz, durch den es euch lieber und unvergesslicher wurde, als wenn sie nicht dagewesen wäre?
    Ah ja, das war doch damals bei Palino, werdet ihr euch vielleicht später einmal erinnern, das Stück mit der roten Frau. Und alle wissen sofort, wovon gesprochen wird –
    :-)

  2. Hans Alfred Löffler meint

    Hatte nicht jemand gefragt ob Du nicht etwas für die Bühne schreibst, willst oder möchtest? „Das wahre Leben“, Deines, ist doch auch für die Bühne, für den Film oder fürs TV. Es ist ein fertiges Drehbuch, ich weiss das, ich drehte es schon einige Mal um, und noch einmal, und lese es wieder neu, kann’s kaum erwarten bis Erikas Tochter „verflucht“ wird, dabei hat sie doch so einen schönen Namen: Suleika!

  3. Sofasophia meint

    ist das leben denn nicht genau so? dieses innen im aussen, diese (halb)durchlässigkeit, dieses teilen und für-mich-behalten … ich sehe da direkte zusammenhänge zwischen dem ersten teil deines artikels über die glücksuchende olive und dem zweiten mit der theatervorstellung.

    da hast du mir wieder eine nahrhafte olive geschenkt, die ich nun genüsslich weiterkauen werden. danke!

    liebe grüsse, denise

  4. Tyne Schneider meint

    Weder bin ich eine Erbse, geschweige eine Olive…. eher eine Rosine…..!
    Seit fünf Jahren versuche ich, das was ich schreibe endlich ein zu tüten, aber immer wieder stelle ich das unzählig Geschriebene in Frage, verwerfe…schreibe neu.
    Es gibt keine Karten, dafür Notizblöcke „on mas“…..
    Meine große Leidenschaft ist das Schreiben,allerdings bin ich eine noch leidenschaftlichere ausschweifende Erzählerin mit einer blühenden Fantasie (die auch mit dem Älter werden, nicht mal ein klitzekleines Stückchen sich von der >Dendenz> Rosine wird zur Traube entfernt hat). Das leidenschaftlich fantasievoll erzählte, vertrocknet im geschriebenen zusehen´s ( mein Gefühl)
    „Ich wünschte ich wäre eine Olive“, allerdings erst wenn die Rosine in meinem Kopf verstummt

  5. Peter Hillenberg meint

    Milena, ich traue Dir nicht! Als Olive machst Du zwar etwas her, aber die Schaufensterpuppe im roten Mantel und Jeansbadehose passt doch nicht in Deine Story. Was ist denn Deine wirkliche Absicht?

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