Schneebedeckte Erika

Es ist nicht leicht, eine Romanfigur zu sein. Den Launen, den unbewussten Impulsen der Autorin wehrlos ausgeliefert. Das fängt schon bei den Namen an. Nevada, die Schneebedeckte. Erika, das Heidekraut. Suleika – dafür gibt es keine Erklärung – Suleika, warum? Der Name hat sich aufgedrängt.

„Warum geben Sie ihren Figuren immer so lächerliche Namen?“, fragte ein Herr an einer Lesung und er meinte es nicht böse, er fragte aus echtem, vielleicht sogar wissenschaftlichem Interesse. Will ich mit diesen seltsamen Namen etwas ausdrücken? Will ich meine Figuren in ein ironisches Licht stellen? Dem Leser zu verstehen geben, dass er sie gar nicht ernst nehmen muss?

Nichts läge mir ferner. Aber was ist es dann?

„Sie hätten mal mein letztes Buch lesen sollen“, gab ich patzig zurück, um eine richtige Antwort verlegen. Mimosa Mein, das Alter Ego von Milena Moser – dicker könnte man es nicht mehr auftragen. Wie oft habe ich versucht, diesen Namen zu ändern – ich konnte es nicht. Ebensowenig wie Suleika sich ersetzen lässt. Poppy hingegen hiess in der ersten Fassung Mandarina – einige mögen finden, das wäre auch nicht schlimmer gewesen. Wie ich auf Mandarina gekommen bin, weiss ich schlicht nicht mehr. Doch Poppy, der Mohn, ist meine Lieblingsblume („Wir Kinder im Juli geboren, wir lieben den Mohn und den… irgendwas irgendwas… Wir gehen in blühenden Gärten hin, still und in schwere Träume verloren…. irgendwie irgendwie..“) Das zerzauste, windverwehte, unbeständige seiner Blüte passt zu der Figur. Dann gibt es noch die kleine, orangefarbene California Poppy, die für meine zweite Heimat steht und die man – jetzt merk ich es erst – auch gut als mandarinenfarben beschreiben könnte. Dieses satt leuchtende Orange ist ausserdem die Farbe, die dem zweiten Chakra zugeordnet wird, da, wo die Identität verankert ist oder eben nicht. Ha! Je länger ich darüber nachdenke, desto ausführlicher kann ich meine Namenswahl begründen. Nur – muss ich es überhaupt? Will ich es? Ist es wichtig?
Die seltsamen Namen sind ja noch die kleinsten Lasten, die ich meinen Figuren auflade. Skrupellos, hemmungslos teile ich aus, was mich beschäftigt. Die persönliche Verletzung, mit der ich gerade hadere, die widerstreitenden Emotionen, die aus dieser neuen alten Wunde quellen, auch die Erschöpfung, die mich in den letzten Wochen wieder überrollt hat – das alles packe ich in Worte, schnüre es in Sätze, binde es meinen Figuren auf den Rücken. Ungerührt sehe ich zu, wie sie sich unter meinen Lasten krümmen. Tough luck, denke ich. Warum soll es euch besser gehen als mir?

Denn es ist ja nicht so, dass ich diese Gefühle loswerde, sobald sie auf meine Figuren verteilt sind. Dass die Wunde in meinem Herzen zuwächst, wenn ich das Messer eiskalt in Erikas Mitte gerammt habe. So ist es nicht. Leider nicht. Nicht sofort? Ich sehe nur, wie meine Wunde bei Erika, meine Müdigkeit bei Nevada andere Formen annimmt. Andere Folgen hat. Und sich so von meiner löst. Das gilt auch für die schönen Dinge – dieselbe Meditationstechnik bewirkt bei Dante etwas anderes als bei mir. Es verteilt sich nicht nur das Leiden, auch das Glück. So wird meine Geschichte zu vielen anderen Geschichten, und bleibt doch meine. Eine Schriftstellerin lebt neun Leben. Gleichzeitig.

Ach, und noch etwas: Im Moment habe ich alle zwei Tage das Gefühl, den roten Faden, die Struktur meiner Geschichte zu erkennen. Ihr erratet es: diese sich abzeichnende Form ist jedesmal eine andere…

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8 Kommentare

Kommentare

  1. Isabel meint

    Jetzt muss ich euch ein Geheimnis verraten: Ich bin eine diebische Person. Bei mir ist es nicht so, dass ich viele Leben lebe, weil ich die Figuren ins Leben rufe, sie mich umkreisen und von mir beatmet werden möchten. Nein, ich gehe zum Geschichtenfriedhof, setze mich dort auf eine Bank, und warte einen Moment. Dann gesellt sich meistens ein Geschichtengeist zu mir. Zum Beispiel mein Urgrossvater, mit seinem Schiff, auf dem er einst die Meere durchpflügte, um sich das Kapitänspatent zu erwerben. Beide Kaps umrundet – das bedeutete, dass man beide Füsse auf den Tisch legen durfte. Auf dieses Erbrecht poche ich heute noch von Zeit zu Zeit. Wie beiläufig frage ich ihn: ‚Und, wie war das damals? Wieso bist du von zu Hause aufgebrochen?‘ und er erzählt – von seinen Schwestern, die ihm das Leben zur Hölle machten, ihn als Jüngsten zwickten und zwackten, wo sie nur konnten. Mit Anstrengung erreichte er das 17. Lebensjahr; indes war die gebratene Ratte, die sie ihm als besonders schmackhaftes Stück Fleisch vorsetzten, um ihn nach dem ersten Bissen über die Wahrheit aufzuklären, wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Darauf hin packte er seine Sachen und verschwand auf einem Schiff. Seine Abenteuer indes, die er auf dem Schiff erlebte, wird er mir wohl ein anderes Mal erzählen; doch hat er genügend Lücken gelassen, dass ich sie mir nach Belieben vorstellen kann – und konnte, denn als Kind war er für mich ein säbelrasselnder Pirat, der die Züge von Klaus Störtebeker trug. Bevor er aber seinen Kopf unter dem Arm tragen musste, entschloss er sich zu einem beamteten Leben bei der Post und reiste hinfort nur noch in Gedanken. Zumal es dabei gelang, gleichzeitig in zwei Ländern daheim zu sein, denn schliesslich gehörte Strassburg mal zu Frankrteich, und dann wieder zu Deutschland. Auch war er mit Urgrossmutter Clara durchaus glücklicher als mit seinen Schwestern, wenn auch seine zwei Töchter wohl nicht immer vorbildlich zu seinem Sohn waren, angeblich, weil er ein Petzer war. Das ist eine andere Geschichte.

    Wenn ich eine Vorstellung von mir als schreibende oder erzählende Person habe, ist es manchmal die einer Bänkelsängerin – dieser Beruf ist heute ausgestorben und wäre vielleicht auch nicht immer beliebt. Und bei denen weiss man nicht, ob man sie ernst nehmen sollte, oder besser nicht…

    • Milena Moser meint

      @ Isabel: Bänkelsängerin! Das trifft es genau! Und ist so viel schöner als Komposterin… (eines meiner Bilder) Und BITTE -schreib all diese Geschichten auf!

    • Isabel meint

      @Milena: Und schon beginnt wieder eine neue Geschichte: Nämlich die Geschichte, die anfängt, wenn man einer Geschichte versucht, auf den Grund zu gehen. Jedenfalls habe ich mich inspirieren lassen, dem letztverbliebenen männlichen Nachfahren des Urgrossvaters einen Brief zu schreiben, nicht mit der Begründung der Ahnenforschung (was offensichtlich ein wirklich ernsthafter Zweig ist), sondern als leidenschaftliche Geschichtensammlerin (von Bänkeln lieber keine Rede; das ist ernsthaften Vertretern, zu denen er offenbar gehören soll, eher suspekt)…es ist auch ein wenig die Lust am Spiel, was sich jetzt ergeben wird. Immerhin schint die Spur auch in die Welt der Klabautermänner, und natürlich in Wirtschaften zu führen, und ich fange an, darüber nachzudenken, warum Urgrossmutter Clara nie Schmuck tragen wollte…cih werde aufschreiben, wie sich die Geschichte nach und nach entrollt…

  2. Graziella meint

    Struktur erkennen? Schön wäre es, ich übe mich im automatischen Schreiben, damit ich schreibe und warte auf den Faden der aus dem Nebel auf mich zurollt. In jeder Hinsicht. Liebe Regula mach Dir keine allzu grossen Sorgen, ich bin mir ziemlich sicher, dass Du das mit der Korrektur gut hinbekommen hast. Sonnige Grüsse aus dem Büro

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Graziella: Schön, dass du da bist und danke für deine Aufmunterung! Nein, ich mache mir keine grossen Sorgen. Meine Verlegerin ist ja Deutschlehrerin und hat im Korrigieren mehr Übung als ich. Sie wird das schon hinkriegen.
      Aber heute Morgen auf dem Weg zur Post habe ich plötzlich die „Lila Lila“-Paranoia bekommen – weil doch schon so viele Postsendungen von mir verloren gegangen sind, sogar eingeschriebene -, und da bin ich einfach weitergelaufen zum Bahnhof, habe den nächsten Zug nach Wettingen genommen und selbst dafür gesorgt, das das Manuskript wohlbehalten im Verlagsbriefkasten gelandet ist …

  3. Regula Haus-Horlacher meint

    Über Ostern musste ich das Layout meines Romans „Das schwarze Sofa“ auf Flüchtigkeitsfehler, überflüssige Kommas und ähnliche Unschönheiten hin kontrollieren. Eine Aufgabe, für die ich – bei aller Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Disziplin und Ausdauer – leider überhaupt kein Talent habe. Es bleibt mir nur zu hoffen, dass ich nicht allzu viel von dem übersehen habe, auf das ich hätte achten sollen, weil ich mich durch anderes ablenken liess, das gar nicht überprüft zu werden braucht, jedenfalls nicht bei dieser Gelegenheit. Zum Beispiel welche Farbe wie oft und in welchem Zusammenhang vorkommt.
    So habe ich doch vor ein paar Wochen im ersten Taumel blühender Frühlingslaune behauptet, nebst dem schwarzen Sofa sei bis auf einen schwarzen Strickrock, ein Paar schwarze Hosen und zwei schwarze Mützen alles farbig. Das stimmt nicht. Es gibt viel mehr Schwarzes. Ich bin ein ehrlicher Mensch. Deshalb will ich hier alle weiteren schwarzen Sachen auflisten, auf die ich während meiner Korrekturarbeit in den vergangenen Tagen gestossen bin. Natürlich weiss ich, dass dies der Vermarktung des Buches unter Umständen nicht förderlich ist – wer befasst sich schon gern mit so traurigem Zeug – aber niemand soll später behaupten können, ich hätte ihn nicht gewarnt, ihm sei eine farbige Geschichte versprochen worden, und nun müsse er sich schon auf der zweiten Seite durch dicken, schwarzen Nebel kämpfen! (Das ist leider wahr …)
    Weiter kommen also vor:
    -ein grosser, schwarz lackierter Schrank mit verspiegelten Türen
    -eine dicke, schwarze Fliege
    -ein Paar schwarze Augen
    -ein Paar schwarze Halbschuhe mit kleinem Absatz
    -eine kleine schwarze Schale, halb gefüllt mit Büroklammern
    -ein schwarzer Rollkragenpullover
    -eine schwarze Kapuzenjacke mit Knebelverschluss
    -ein schwarzes Heft
    -ein schwarzes Kabel
    -ein schwarz lackiertes Beistelltischchen
    -eine Wolke schwarzer Dieselrauch
    -ein schwarzer Rucksack mit der Aufschrift „Bernische Kraftwerke AG“
    -eine schwarz markierte Skipiste
    Ferner möchte ich vermerken:
    -ein abgebranntes Streichholz
    -ein schwarzweiss kariertes Kopftuch
    -eine schwarzgraue Tunnelwand
    -eine schwarzgoldene Neuenburger Pendule
    -sowie eine Linde und einige Holzhäuser, die zwar schwarz wirken, es in Wirklichkeit aber gar nicht sind.

    Tja, so ist das eben.
    Nichts zu machen.

  4. Barbara meint

    „Eine Schriftstellerin lebt neun Leben. Gleichzeitig.“ … Das ist es also. Deshalb fällt mir das Schreiben oft so schwer. Mir reicht schon (m)ein Leben, in dem ich mich „zwischen allen Stühlen“ fühle. Maja Peter schreibt in ihrem Buch „Eine Andere“: „Sie könnte eine andere sein. Journalistin. Sie will keine andere Identität, nur eine Pause von den Einzelheiten ihres Lebens, die kein Ganzes ergeben“.

    Der Satz fasst in Worte, was ich immer wieder und im Moment ganz besonders empfinde. Es fällt mir schon schwer, die Herausforderungen meines eigenen aktuellen Lebens und mich mittendrin irgendwie zusammenzuhalten. Mich darin nicht zu verlieren. Und dann noch das Leben von Selma, Marius und von wem auch immer niederschreiben? Mich in deren Leben hineinschreiben, die auch kein Ganzes ergeben, in denen ich mich auch nicht orientieren kann und die Figuren wohl auch nicht? Schreiben, um zu üben die Kontrolle zu verlieren, das war/ist seit dem 20. Januar mein Motto beim Schreiben. Wenn ich meine Zeilen so lese …

    Und dann noch zum Thema „Gefühle loswerden“. Ja, eigentlich will ich unangenehme Gefühle einfach nur loswerden. Weg mit ihnen! Nein, diesmal gewähre ich kein Asyl, ich biete keine Notschlafstelle für unliebsame Gefühle. Sucht euch jemand anderen! Ich gebe zu. Die Abwehr funktioniert meistens nicht. Sie aufzuschreiben, in Worte zu fassen fällt mir aber auch schwer. Das bedeutet, noch länger in ihrer Gesellschaft zu verweilen, sie auszuhalten. Ich werde sie schreibend nicht los. Auch das war wohl eine falsche Hoffnung. Die Gefühle stattdessen schreibend auf verschiedene Figuren verteilen, mir mit den Figuren eine Gesellschaft schaffen, die Ähnliches erleb? Wird das nicht so etwas wie eine fiktive Selbsthilfegruppe? Will ich das? Und hilft es mir tatsächlich? Ein weiteres Dilemma? Entweder ich schreibe mit dem, was ich habe, auch wenn es mir nicht behagt oder ich habe nichts zu schreiben und das behagt mir auch nicht. Danke für den Mo(h)ntags-Gedankenanstoss, liebe Milena. Bald poppen sie wieder auf, die Mohnblumen, die ich auch so gerne mag.

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