Summertime.

tumblr_lnptcwO3qr1qmqh97o1_1280-610x391Es gibt wenig Schöneres als aufzuwachen und einen Moment lang nicht zu wissen, wer ich bin. Wo ich bin. Und wie spät es ist. Mich im Dunkeln anzuziehen, aus dem schlafenden Haus zu schleichen, ein Taxi zu rufen. Draussen ist es hell, um sieben Uhr morgens, ach so, nein, es ist schon acht. Und meine gute Laune weg. Ich weiss, dass die Stunde, die mir vor einem halben Jahr im Schlaf geschenkt wurde, in Wirklichkeit nur geliehen war. Ich weiss es, aber ich habe es vergessen. Ich habe gehofft, wer immer mir diese Stunde geschenkt hat – Gott? Der Staat? Mein Handywecker? – habe es auch vergessen. Und ich fühle mich betrogen und gleichzeitig ertappt, wenn dieses Geschenk, das gar nie eines war, nun zurückgefordert wird. Nicht nur den Beginn der Sommerzeit habe ich verpasst, die ganze Welt scheint sich über Nacht weiterentwickelt zu haben, ohne dass man mich davon unterrichtet hätte. So kriege ich per sms einen Link zugeschickt, den ich anklicke, um das Taxi zu verfolgen, das auf dem Weg ist zu mir. Ein pulsierender Punkt auf der Landkarte. Wo gibt es denn so etwas? Die Stadt ist wie ausgestorben, dafür wimmelt es auf dem Bahnhof vor Menschen. Habe ich wieder etwas verpasst? Fasnacht, Street Parade, Ferienbeginn? Der Zugbegleiter weiss zum Glück auch von nichts. Ich frühstücke im Zug, Trüffelbrioche und doppeltere Espresso, gegenüber zwei Jungs mit je einem Sixpack, Bier, nicht Muskeln,  breakfast of champions.

Jetzt sitze ich wieder am Computer, die Sonne scheint, man könnte nach draussen gehen, müsste eigentlich. Es wird ja heute bestimmt eine Stunde früher dunkel werden als gestern. Doch die Auftritte der letzten Woche haben meine Schreibzeit gefressen, jetzt arbeite ich nach. Elf Folgen Morgengeschichten, eine Kolumne und eine Textprobe. Ja, eine Textprobe. Ich habe meinem Verleger versprochen, sie im März einzureichen. Also heute oder morgen. Während ich schreibe, wird mir bewusst, dass ich das noch nie gemacht habe. Eine Textprobe einreichen. Ich weiss also gar nicht recht, was von mir erwartet wird. Ist das ein Test? In meinem Alter? Ich beschliesse, die Aufgabe für mich zu nutzen, einfach um zu sehen, was da ist und was nicht und ob sich schon eine Art roter Faden abzeichnet. Eine innere Logik, die die einfache Chronologie meiner Reise sprengt. Eines ist mir sofort klar: All die grausligen Kindheitserinnerungen, die sich mir beim Schreiben aufgedrängt haben, fliegen raus. Gehören nicht hierher. Nicht jetzt. Trotzdem war es richtig, sie zu schreiben. Was heisst richtig, ich hatte keine andere Wahl. Ist das, was ins Buch kommt, mehr wert, als das was rausfliegt? Ist es wichtiger, besser? Oder ist es gerade umgekehrt?  Ist der Weg das Ziel oder das Ziel im Weg? Ich lese sie nicht, ich lösche sie nicht, ich speichere sie ab. Im Computer, nicht in meiner Seele.

Ich ordne meine Skizzen, ich striegle und strähle sie, lache über Stellen wie diese, die ich euch, einmal mehr vollkommen unredigiert und unkorrigiert zeige, nur damit ihr wisst, Anne Lamott hat Recht wenn sie sagt: „Everybody writes really shitty first drafts!“

Ïch bin also allein in New York. Drei Tage lang habe ich wie eine Wahnsinnige herumtelefoniert, Daten und Dokumente besorgt, aug die Zeitverschiebung Rücksicht genommen, bin lange wach geblieben, um Herrn prez zu rwischen und früh aufgestanden, um nach Santa Fe zu telefonieren. Dass ich aufgebe, empfinde ich erst einmal als Erleichterung. Die letzten Tage will ich geniessen. In meinem Zimmer ¨verquellen die Koffer, ich habe bereits zu viel eingekauft und kaufe immer noch mehr: lange t-shirt Kleider, flache Schuhe, Geschenken, Kosmetika, Vitamintabletten als würde ich nicht in zwei Wochen wieder auf amerikanischem Boden stehen.
Also ich bin in New York und zähle mein Geld, die Reise ist teuer als geplant und ich habe noch nicht mal ein haus gekauft. Und auch noch nichts geschrieben. Es ist heiss, feucht, ich mag die Hitze nicht. Meine Tasche, das merke ich erst jetzt, meine Tasche hat all meine Kleider und Pullover aufgescheuert auf der Seite.

Und weiss, es fehlt noch etwas. Es fehlt eine Stunde, es fehlt ein Schluss.

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1 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Die Frauen schwanken zwischen Abscheu, Grauen und einem Gefühl: nostra res agitur. Was ist es? … es ist der rote Faden, der sich durch die ganze Weltgeschichte zieht.
    PS: es geschah im Berliner Zoo, damals als Kurt Tucholsky noch lebte. Vom Zoo in Leipzig liest man wenig, die 10. Buchmesse ist auch vorbei, Saša Stanišić bekam den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse für den Roman „Vor dem Fest“.
    «Sei nicht so ein Sch… Sei nicht so ein Sch… Sei nicht so ein Schriftstellerlein!» ( auf Seite 257 aus MÖCHTEGERN steht das, seit Sonntag, 27. Dezember 2009 http://www.bookcrossing.com/journal/7707107/ )

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