Talent? Liebe? Ablenkung!

Danke Regula und Xeniana für eure Gedanken, die mir einen höchst willkommenen Abstecher erlauben, einen Ausweg aus dem Chaos meiner ungeordneten Seiten. Zu meinem Manuskript gibt es im Moment nur so viel zu sagen: Dante und Nevada haben sich noch nicht einmal geküsst. Die ganze höchst autobiographisch eingefärbte Trennungsgeschichte von Erika hat parallel zu meinem Befinden komplett an Bedeutung verloren – was heisst, dass bestimmt hundert Seiten wegfallen werden. Dafür haben sich vorgestern vier neue Figuren zu Wort gemeldet, vier laute junge Mädchen, die alle in der Ichform aufbrausen und sich gegenseitig aus dem Weg rempeln. Und Trudy, meine Putzfrau meinte neulich: „Bist du eigentlich bereit für Weihnachten? Nicht? Langsam musst du dir was überlegen – du hast schliesslich nur noch elf Wochen!“ Weihnachten ist Ende Jahr ist mein Abgabetermin.

Als mir das klar wird, lege ich mich auf den Fussboden (der neuerdings, meiner Mutter sei Dank, mit einem sehr schönen, warmen, weichen Teppich belegt ist) und stelle mich tot.

Was mach ich jetzt? Was soll ich euch erzählen? Soll ich lügen? Was, wenn mein Verleger diesen Blog liest? Und warum stell ich mir diese Frage erst heute? Nein, da beschäftige ich mich lieber mit den vergleichsweise einfachen Fragen, die in euren Kommentaren aufgetaucht sind:

Was ist Liebe? Was ist Talent?

Wie man in der Schweiz sagt: Das ist von Kanton zu Kanton verschieden. Heisst: keine Ahnung. Heisst: für mich nicht dasselbe wie für dich. Heisst: Broccoli.

Letzterer stammt aus einem Gedicht, das mein Sohn als 6jähriger in seiner „Creative Writing“ Klasse geschrieben hat. Damals lebten wir  (offensichtlich) nicht in der Schweiz, sondern in San Francisco, wo auch eine „Happiness“ Klasse auf dem Stundenplan stand. Dort lernte mein Sohn, in seinen Worten, „how to live better and stuff“. Und im Creative Writing übte er eben, seine Gefühle auszudrücken und zu beschreiben und so kam die wunderbare Zeile zustande: Wut riecht wie verbrannter Broccoli. 

(Unnötig zu sagen dass ihm diese Fähigkeiten in der Schweizer Volksschule wenig nützten. Das wichtigste hatte er in Amerika nicht gelernt, nämlich auf die Linie zu schreiben. Achja, und Ordnung in seinen Mäppchen zu halten. Aber ich bin schon wieder abgeschweift).

Wut riecht wie verbrannter Broccoli: Ein Bild, das nur einem sechsjährigen Jungen (mit einer leicht ablenkbaren Mutter) einfallen kann – und das trotzdem jede versteht, auch der leidenschaftlichste Vegetarierin.

Das ist Talent. Nicht die Fähigkeit, ein solches Bild zu finden, sondern das Bild selber. Talent ist in einem drin und sieht bei jedem anders aus. Talent ist des einen Broccoli und des anderen rotglühendes Eisen. Talent, aufs Schreiben bezogen, ist der Reflex, sich in Worten auszudrücken, auf Papier. Ist das Gefühl, schreibend am besten zu sein, am meisten sich selbst. Talent ist diese Gewissheit: Ich bin in erster Linie jemand der schreibt.

So gesehen habe ich Talent, obwohl es mir von offizieller Seite seit bald dreissig Jahren immer wieder abgesprochen – und in den letzten Jahren manchmal auch zähneknirschend bescheinigt wird. Aber das bedeutet nichts. Das Talent ist in mir drin, kann mir weder eingepflanzt noch abgesprochen werden. Das Talent ist mein verbrannter Broccoli und dein Brennesselausschlag, dein glühendes Eisen.

Liebe: Same difference.

Puuuhhhhh! Und jetzt? Muss ich jetzt aufstehen? Mich an den Schreibtisch setzen?

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Leser-Interaktionen

7 Kommentare

Kommentare

  1. Corinne meint

    Liebe Milena
    Ganz egoistisch hoffe ich, dass dein Buch noch laaaange nicht fertig geschrieben ist, denn das würde auch heissen, dass dein Blog geschlossen wird, und den habe ich erst gerade in der letzten Ausgabe von der „Federwelt“ entdeckt. Und ich möchte noch viel darin lesen und fasziniert erkennen, wie verschieden man sich dem Thema Schreiben nähern kann. Wie du einfach die Tür öffnest und wartest, welche Figuren zu dir zu Besuch kommen und meine Art, wo ich ein Inserat aufgebe, mit strengen Auflagen, die meine zukünftigen Mitbewohner in meiner Geschichte erfüllen müssen.
    Und so lese ich gespannt, wer deiner Einladung folgt, und hoffe, das mein Inserat Erfolg hat und bin immer wieder erstaunt, dass sich so viele Figuren überhaupt auf uns und unsere Geschichten einlassen.

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Corinne: Wie geht das? Du erfindest ein Inserat, z.B. „Gesucht: Gouvernante, blonde Locken, blaue Augen, Grübchen“, und dann lässt du die Bewerberinnen vor deinem inneren Auge Revue passieren und wählst die Richtige aus? Oder veranstaltest du so etwas wie innerliche Vorstellungsgespräche? Das interessiert mich! Kannst du diesen Vorgang mal etwas näher beschreiben?
      Ich habe ja noch nicht besonders viel Erfahrung mit dem Schreiben, aber ich glaube, bei mir läuft das alles noch einmal ganz anders ab als bei Milena und bei dir: Mein Roman „Das schwarze Sofa“ war in der ersten Fassung mit einem Wimmelbild vergleichbar. Man stelle sich vor: Eine Seminarklasse (14 Personen), ihre Lehrer (mindestens 10), deren aller Familien, dann – nur um zwei Beispiele zu nennen – die Teilnehmer an der Beerdigung von Leas Grossmutter, die Turnhalle voller Leute am Essen des Kirchenbasars … dazu Schalterbeamte, Verkäuferinnen, Coiffeusen, Mensa- und Skiliftangestellte, Herr und Frau Burri, Trix und so weiter. Wer von ihnen als Einzelperson in Erscheinung trat, hatte eine persönliche Perspektive. Jeder und jede von ihnen durfte sich seine/ihre eigenen Gedanken machen! Was für ein Durcheinander! Aber mir war das nicht bewusst. Ich hatte ja noch nie eine Geschichte geschrieben. Beim Lesen achtete ich selten auf die Form der Texte und das Wort „Perspektive“ war mir bisher nur im Zeichenunterricht begegnet. Erst als mir Milena, nachdem sie mein Manuskript gelesen hatte, vorschlug zu versuchen, das Geschehen ausschliesslich aus Leas Sicht zu beschreiben, wurde mir klar, dass es auch noch eine andere Art gab, die Dinge zu betrachten –
      Ich protestierte. Ich wollte wissen, was in Alain vorging und was in Moni. Es ist deine Entscheidung, sagte Milena, es ist dein Buch. Es ist mein Leben, dachte ich. Ich wollte sicher sein, dass Alain Lea liebte und Moni nichts ahnte davon. Natürlich hörte ich trotzdem auf Milena. Schliesslich sollte es ein gutes Buch werden, ein authentisches –
      Was folgte, war grauenhaft. Ich will nicht näher darauf eingehen, es ist vorbei, nur dieses Würgen im Hals erwähne ich kurz, das einem überfällt, wenn man sich schreibend einer plötzlichen Erkenntnis stellen muss. Das dann als heftiger Schmerz in den Kiefer vorstösst und die Zähne erfasst, bis endlich die Tränen kommen und sich alles wieder ein wenig lösen kann. Ich glaube, so etwas lässt sich nur aushalten, wenn man sich im Kreis guter Freunde aufgehoben weiss und am Horizont bereits den Streifen Morgenrot erahnen kann, der einen sonnigen Tag ankündigt :-)

      Ganz liebe Grüsse
      Regula

    • Regula Haus-Horlacher meint

      Oh, nein!!
      Auf keinen Fall will ich jemanden vertreiben! Dein „Unterricht“ ist das Beste, was einem passieren kann, wenn man wirklich schreiben lernen will, sprich, das in Worte fassen, was das eigene Leben ausmacht. In welcher Form auch immer.
      :-) :-) :-) (So ganz nebenbei habe ich ja auch noch lächeln gelernt unter deiner Schirmherrschaft …)

  2. Xeniane meint

    Liebe Milena Moser!Vielen Dank für diese wunderschöne, ermutigende Geschichte. Der verbrannte Broccoli, ist wirklich toll. Ich beginne sofort zu sparen. Liebe Grüße Xeniana

  3. Isabel meint

    Was in elf Wochen passiert
    Es klopft an der Tür und ein Neuer steht da.
    Der Neue bingt auf dem Tablett die Geschichte von der Liebe.
    Die Geschichte von der Liebe wird zerflückt, in tausend Küsse, in hundert Banalitäten und zwei scharfsinnige Bemerkungen.
    Die zwei scharfsinnigen Bemerkungen überzeugen den Verleger, der verlegen wird.
    Der verlegene Verleger verlegt den Termin .
    Der verlegte Termin wächst und bekommt zwei Termin-Kinder.
    Die zwei Termin-Kinder führen zu hundert neuen Geschichten.
    Die hundert neuen Geschichten kitzeln die die Schreiberin so lange, bis sie sie in den Garten verbannt, aufsteht und die eine unvollendete Geschichte vollendet… :)

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