Vom Wagen gefallen

Die Amerikaner haben einfach die besten Redewendungen: „Und was bin ich, gehackte Leber?“ –  „Ach was, du musst einfach deine Zwiebeln kennen!“ – „Aber er, er ist einfach das Katzenpyjama oder was?“ – „Was sagst du da, er ist das Knie der Biene!“

Anyway. Ich bin also vom Wagen gefallen. Das heisst normalerweise, dass man seine Diät unterbrochen hat. Oder eine Phase der Abstinenz. In meinem Fall ist es die 10’000- Zeichen-Diät. An Nevada liegt es nicht, sie ist mir sehr präsent. Sie begleitete mich sogar nach Hannover zu einem Meditationsworkshop:

(auf dem Bild neben mir ist allerdings nicht Nevada sondern Babsi – auch eine Yogalehrerin).

Nevada machte sich eifrig Notizen in mein Heft, sie brauchte den hinteren Teil, ich den vorderen. Sie sammelte Bilder, sie setzte sich auf ihr Kissen. Jetzt geht sie neben mir her, sie sitzt auf meiner Schulter und flüstert in mein Ohr. Ihre Stimmung ist so wechselhaft, dass ich weiss, dass sie die Zeitmaschine braucht, um bei mir zu sein – klingt das alles noch wahnsinniger als sonst?

Da habt ihr meine Ausrede:  Im Moment rede ich jeden Tag über sie. Über die Nevada aus Montagsmenschen. In meinem Kopf ist aber schon eine neue Version. Ich weiss schon, was zwei Jahre später passiert. Das verwirrt mich. Das lähmt mich. Überhaupt ist die Pressearbeit für mich der schwierigste Aspekt meines Berufes: Was soll ich sagen, was ich nicht geschrieben habe? Woher soll ich wissen, wer dieses Buch lesen soll? Die ehrliche Antwort wäre doch: „Alle!“ Nicht? Aber ich will mich nicht beklagen. Die supercoole und preisgekrönte Rock’n’Roll Journalistin und Schriftstellerin Jennifer („Der grössere Teil der Welt“) sagte in einem Interview: „Der Rummel zwingt mich zwar zu einer Schreibpause, aber ich wäre dumm, wenn ich nicht alles für den Erfolg des Buchs tun würde.“ Wer bin ich, Jennifer Egan zu widersprechen?

Ich weiss, dass es von aussen vielleicht eher so wirkt, als sei die Pressearbeit (Ruhm! Ehre!) die Belohnung für die einsame Arbeit am Schreibtisch – die laut euren Kommentaren von Knochenarbeit bis zur wiedergefundenen Freiheit reicht, und wieder zurück. Für mich ist es aber umgekehrt. Ich bin tatsächlich am liebsten dort. Am Schreibtisch. In meiner Welt. Wie verwöhnt kann man sein?

Also, meine Lieben, die Wahrheit der letzten Tage lautet: Zwischen 0 und 1000 Zeichen. Und es passiert genau das, wovor ich euch immer warne: Mit jedem Tag, den ich nicht schreibe, rückt das Schreiben weiter weg. Es verliert seine Greifbarkeit. Die Realität des Erfundenen verschwimmt, die von mir geschaffene Welt versinkt…. Deshalb versuche ich, jeden Tag wenigstens ein paar Sätze zu schreiben, nach dem letzten Fadenende greifen, bevor es sich mir wieder entzieht. Es hilft mir, Barbara, deine Zahlen zu lesen. Es spornt mich an.

Vielleicht sollte ich den Satz umkehren: Zwischen 1000 und 0. Und dann noch die Buchstaben weglassen. 1000 0. Schon bin ich wieder dabei.

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10 Kommentare

Kommentare

  1. Barbara meint

    Regula, vielen Dank für deinen Eintrag. Ich befürchtete schon, der Blog sei wegen der eisigen Kälte eingefroren, Milena hätte mit ihrem Sturz vom Wagen grad die ganzen Mitblogger/innen und Schreiber/innen ab dem Karren direkt ins 0 gerissen oder Isabel’s öliges Erlebnis hätte die Wörter auf dem Weg vom Kopf aufs Papier ins Nichts weggleiten lassen. Ich habe meinen phantastischen Fensterplatz im Goms mittlerweile verlassen (müssen) und schreibe wieder in gewohnter Stadtumgebung. Seit dem 7. Februar ist die Bilanz: 4746 – 4502 – 5673 – 6267 – 0 – 5045. Die Zeichen sind eins, aber die Befriedigung dabei ist ausschlaggebend. Ich schreibe, es macht mir Freude und es ist mir (meistens) egal, ob Hanna von ihrem Mann „Frau Seeigelin“ genannt wird oder anderer „Kitsch“ durch meine Finger fliesst. Das wäre mir früher nicht egal gewesen.
    Was ich im Moment etwas zwiespältig erlebe ist das Lesen. Ich lese leidenschaftlich gerne und am liebsten Bücher, die sprachlich beeindruckend sind. Im Moment erlebe ich beim Lesen eine ambivalente Stimmung, ich lese atemlos, ich will lesen und ich will doch nicht lesen, weil in den Büchern das geschrieben steht, was mich in meinem Schreiben auch beschäftigt. So z.B. der Satz von Maja Peter: „Sie könnte eine andere sein. Journalistin. Sie will keine andere Identität, nur eine Pause, von den Einzelheiten ihres Lebens, die kein Ganzes ergeben.“ Wie soll so ein Erleben noch in Worte gefasst werden? Tja, und deshalb bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt noch lesen will/soll, was schon geschrieben ist und doch lasse ich mich doch sooo gerne in gute Geschichten hineinziehen. Wie geht es euch damit? Seid herzlichst gegrüsst, Barbara

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Barbara: Nun ja, im Moment finde ich es nicht gar zu schwierig mit dem Lesestoff: Es gibt ja einen neuen Moser… Der hat mich so beeindruckt, dass ich gleich wieder von vorne begann, als ich zum ersten Mal damit durch war = )
      Aber sonst muss ich dir Recht geben: Das Selberschreiben macht das Lesen schwieriger. Einfach in der Bibliothek ins Büchergestell zu greifen und sich ein paar dicke Bände zu schnappen, um sich vom Alltag abzulenken, so wie es andere mit anspruchslosen Fernsehfilmen machen, geht bei mir definitiv nicht mehr. Zu sehr nerven mich Ungenauigkeiten, wie zum Beispiel die, dass eine Figur verwelkte Blumen einzeln aus der Vase ziehen und quer durchs Zimmer zum Abfalleimer tragen kann, ohne das – meiner Ansicht nach unvermeidbare – faulige Getropfe auf den Parkettboden auch nur mit einem Wort zu erwähnen!
      Nicht gleich wie dir geht es mir aber offenbar, wenn ich auf etwas stosse, was mich wirklich fasziniert: Schon oft habe ich erlebt, dass ich davon auf fast magische Weise angeregt werde, dass ich plötzlich unbedingt selber schreiben will und ich möglicherweise irgendwo weiterkomme, wo ich vorher hoffnungslos feststeckte. Warum das so ist? Keine Ahnung. Aber spannend finde ich diese Tatsache auf jeden Fall.

      Aber abgesehen davon, dass das Lesen zur reinen Ablenkung, wie ich es früher beinahe bis zum Ekszess betrieb, für mich heute nicht mehr möglich ist, hat sich an meinem „Lesevorgehen“ nicht viel geändert: Ich stosse in Büchern auf Themen, die mich berühren und suche dann weitere Bücher, die diese Themen behandeln. Oder noch öfter: Ich stosse in Büchern auf andere Autoren, werde neugierig und lese dann die Bücher von jenen. Angefangen hat das, als ich mit etwa zwanzig begann, mich durch die Biografien von Zuckmayer, Zweig, Canetti zu ackern, da kam ich buchstäblich vom Hundertsten ins Tausendste… Wie es ja auch meiner Art entspricht oder entsprechen würde, wenn man mich liesse… Mir ist nämlich inzwischen – nebst dem übermässigen Schlafbedürfnis – auch noch schlecht geworden von dem Mittel, das ich gegen den Husten nehmen muss, so dass ich mich jetzt besser endlich hinlege…
      Nur noch soviel: Im Moment interessiert mich Kleist, den ich mir (diesmal) eigentlich nur ausgeliehen hatte, um endlich einmal den Text über das Marionettentheater (ich war in den Sommerferien in Lindau) zu lesen, aber dann hängen geblieben bin. Und dann konnte ich ganz zufällig ausgerechnet jetzt noch von Christa Wolf „Kein Ort. Nirgends“ mitnehmen – von ihr nehme ich vorzu alles, was ich bekomme, weil ich sie liebe – ohne zu wissen, dass es von Kleist handelt…
      So.
      Ich wünsche dir eine gute Nacht.
      Liebe Grüsse
      Regula

    • Milena Moser meint

      @ Barbara: Wenn ich (deutsch) schreibe, lese ich fast nur noch englische Bücher. Und deutsche Klatschzeitschriften. Man ist so durchlässig beim Schreiben, dass man schon mal ein Bild aufnimmt, eine Formulierung, einen Rhythmus… das lässt sich kaum vermeiden.
      @ Regula: Danke für den Eisbruch. Ich habe das gleiche gedacht wie Barbara: Oh Gott, jetzt hab ich sie mit meinem Geständnis verschreckt und vertrieben!

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Milena: Nein, nein, da war kein Eis. Ich bin nur vom Wagen gefallen, und dann habe ich ja eben das Codein nicht vertragen.
      „Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben bestimmte Aufgaben zu erfüllen hat, und dass man jede dieser Aufgaben ernst nehmen und gewissenhaft erledigen muss.“
      Das habe ich vor einiger Zeit in einem Brief geschrieben. Wenn ich mich recht erinnere, war es irgendwann im Oktober. Antwort habe ich keine erhalten. Aber vielleicht ist der Brief ja auch gar nicht angekommen. Das passiert mir manchmal: Dass meine Briefe nicht ankommen. Sogar Eingeschriebene. Als würden sie von unsichtbarer Hand aus unerfindlichen Gründen aus dem Verkehr gezogen. „Die Struktur zeigt sich während des LEBENS. Sie wächst organisch.“ Dann halt. Aber ehrlich gesagt: Manchmal hätte ich lieber nicht gar so viel Struktur!
      Nun habe ich also eine neue Aufgabe. Eine Aufgabe die Körper, Seele und Geist fordert, gerade so wie man es sich von einer Aufgabe wünscht. Eigentlich. Nur Rahel will nicht mitmachen. Sie sitzt weder auf meiner Schulter und flüstert mir ins Ohr, noch benutzt sie mein Notizbuch. Dort stehen jetzt Sachen wie: „Die Abwaschmaschine bleibt den ganzen Tag eingeschaltet.“ oder „Wenn die Toilette im allgemeinen Badezimmer benutzt wird, muss der Toilettenring anschliessend mit Bacillol desinfiziert werden.“ oder „Bewohner frühestens um 11.35 Uhr zum Mittagessen in den Speisesaal bringen!“
      Keine Ahnung wie ich sie aus ihrer Reserve locken könnte. Mit der Information, dass sich die Transdermalpflaster im Kühlschrank befinden, wohl kaum, und mit einer Anleitung, wie man Zahnprothesen reinigt erst recht nicht. Am ehesten vielleicht noch mit der erfreulichen Tatsache, dass sich die Befürchtung nicht erfüllt hat, der Zustand meiner empfindlichen, ohnehin jahraus-jahrein schmerzenden Hände könnte sich durch das viele Händewaschen und –desinfizieren verschlimmern: Noch in keinem Job, war es mir möglich, so oft die Hände einzucremen, wie in diesem. Sie sind so weich und zart wie noch nie.

      Jetzt Schwestern eine Gute Nacht,
      der Herr im hohen Himmel wacht…

      Herzlich Regula

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Milena: Die hatte sie damals noch nicht, leider. Aber du hast mich trotzdem auf eine Idee gebracht, danke! Abgenommen hat sie doch, in kürzester Zeit gleich mehrere Kilo! Es war fast lächerlich klischeehaft: Seit jenem Augenblick hatte sie plötzlich keinen Hunger mehr. Nicht keinen Appetit, keinen Hunger. Als wäre er gestillt, ein für alle Mal. Sie ass Vollkornbrot, Käse, Äpfel, Gemüse, Kartoffeln. Von allem nur wenig. Und da begann Fredi auf einmal Gipfeli mitzubringen, wenn er am Samstagmorgen beim Bäcker um die Ecke das Brot holte! Gipfeli, die Rahel nicht essen mochte. Nicht mehr. Zwanzig Jahre lang waren Fredi die Gipfeli aus der Bäckerei um die Ecke zu teuer gewesen. Und auch das Brot, eigentlich. Er kam zu spät mit seinen Gipfeli. Viel zu spät. Nicht nur zweieinhalb Monate.

      Ja, so scheine ich weiterzukommen-
      Gut. Sehr gut.

      Liebe Grüsse
      Regula

  2. Regula Haus-Horlacher meint

    Vom Wagen gefallen. So nennt man das also. Habe ich nicht gewusst.
    Am vergangenen Sonntag spürte ich, dass ich den Husten bekommen würde. Vor mir lag noch eine Woche Praktikum, und da ich weiss, dass mich nichts sosehr erschöpft wie Husten, verbrachte ich den Tag vorsorglich im Bett.
    Es nützte nichts.
    Ich trank Thymiantee und schluckte Tossamin Plus. Jeden Abend ging ich gleich nach dem Essen ins Bett. Trotzdem bekam ich rote Bäckchen und beengende Brustschmerzen. Bei der Arbeit hustete ich in mein Taschentuch und wusch mir hinterher jedes Mal die Hände. Ich kam auf die Idee, mich für den Arbeitsweg wärmer anzuziehen, immerhin war ich bei 12 Grad minus mit dem Fahrrad unterwegs. Da hörten die Brustschmerzen auf.
    Der Husten blieb. Die roten Bäckchen auch.
    Am Freitag ging ich zum Arzt. Er mass meinen Puls und meinen Blutdruck und hörte meine Lunge ab. Alles war in Ordnung. Nur ein virusbedingter Reizhusten. Der Arzt verschrieb mir Codein. Das wirkt direkt aufs Gehirn. Lähmt den Hustenreiz. Und auch sonst einiges, wie mir scheint. Jedenfalls kann ich neuerdings gut schlafen. Nicht nur nachts.

    Morgen gebe ich im Altersheim meine Bewerbung um eine Stelle als Pflegehelferin ab. Die Arbeit gefällt mir, und 40% in der Pflege lassen sich mit 40% in der Aktivierung gut vereinbaren.
    In der Aktivierung stricken wir seit Anfang Jahr Mützen. Bis jetzt haben wir fünfzehn Stück verkauft. Heute ist der 12. Februar. Am 1. Mai werde ich 49 Jahre alt. Ob ich 100 Jahre alt werden möchte, weiss ich im Moment noch nicht.

    Herzliche Grüsse
    Regula

  3. Isabel meint

    Bin auch vom Wagen gefallen…Habe eine Szene in ungefähr vier Variationen hintereinander geschrieben. Der Stil ist so ölig! Das ist doch nicht mein Stil! Und alles ist merkwürdig an der Handlung: Merit bekommt die Kehle zugedrückt, es knackt (knackt es wirklich, wenn man die Kehle zugedrückt bekommt), und schon schwebt sie über dem Körper…und der Mörder (den sie auf irgend eine merkwürdige Weise liebte) geht einfach weg und denkt ‚Schade’…der ist doch nicht mehr ganz frisch! Barbara, das mit der Sprachlosigkeit der Väter, das kann ich verstehen. Ich habe ehrlich gesagt auch keine grosse Lust, mich dem Vaterkomplex zu stellen. Vielleicht ist ebendas das Ölige…Hach, blöde, witzig sein klingt viel netter…Ich streike!
    Lasse mich morgen inspirieren, bei der Buchvernissage. Liebe Grüsse Isabel

    • Milena Moser meint

      @ Isabel: was ist denn das für ein neuer Affe?? Ölig – da denke ich an einen Mann mit wenig, aber schwarzgefärbtem Haar, eng am Kopf – angeölt eben…
      Wie klingt ölige Sprache? Und – holy Guacamole, das wenige, was du antönst, klingt sauspannend. Ich hoffe, du kannst weitergaloppieren oder traben, ohne zu oft innezuhalten und nachzulesen…

  4. Barbara meint

    Milena, whow, wie du dich im freien Fall vom Wagen doch noch irgendwie festklammern konntest und mit letzter Kraft und wehendem Haar noch einen Eintrag in den Blog gehauen hast, ein echter stunt! Ich hoffe nur, der Meditationseffekt ist dadurch nicht flöten gegangen. Liebe Grüsse von meinem lauschigen Schreibtisch im Goms. Barbara

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