Was schiefgehen kann…

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Erst einmal danke ich allen von Herzen, die mir in der letzten Woche technische Unterstützung angeboten und gewährt haben. Tatsächlich konnte ich einen Teil meines Manuskripts wieder aus den Untiefen des Äthers fischen. Zwischenfrage: Wo ist diese schwarze Loch, diese Bermudadreieck der verlorenen Daten? Wie sieht es aus? Und was machen diese Daten dort, jubeln sie, tanzen sie, feiern sie ihre Befreiung? Wie auch immer – das aber nichts an meinem Vorsatz, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Warum? Weil es sich bewährt hat. Ich verliere jedes Manuskript mindestens einmal, ich fange jeden ersten Entwurf mindestens zweimal von vorne an. Und so sehr ich mir im ersten Moment die Haare raufe, so dankbar bin ich Nachhinein für jede technische Panne, jedes laptoperschluckende Förderband, jedes festplattenauslöschende Glas Wasser. Es war in jedem Fall genau das, was der Text brauchte. Aber von selber wäre ich nicht darauf gekommen. Also greift das schriftstellerische Schicksal ein und lässt das Wasser in die Tastatur fliessen. Wie bei der letzten Überarbeitung der „Blondinenträume“: Ich hatte eben die Änderungsvorschläge meiner damaligen Lektorin in den Text übertragen. Sie arbeitete mit Post-its im ausgedruckten Manuskript, die ich eins nach dem anderen abgezupft und weggeworfen hatte. Ich las die letzte Fassung noch einmal durch, bevor ich sie ausdrucken wollte, und schenkte mir gleichzeitig ein Glas Wasser ein. Keine gute Idee. Das Wasser floss über den Rand und in die Tastatur und plötzlich war alles schwarz. Der eilends herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod der Festplatte feststellen. „Wasser ist das schlimmste“, sagte er. „Hätten Sie wenigstens Whisky getrunken!“ Aber ich bin nun mal nicht Hemingway.

Da stand ich also, ohne Kopie, ohne Post-its, nur mit einem Ausdruck der letzten Version des Manuskripts. Das war schätzungsweise 1993. Irgendwo in Zürich gab es eine Werbeagentur, die einen Scanner installiert hatte, den ich nach Büroschluss benutzen durfte. Das Gerät war beeindruckend, beinahe raumfüllend, aber es konnte die schon etwas zerlesenen Blätter nicht interpretieren sondern spuckte stattdessen seitenweise chinesische Schriftzeichen aus. Ich fuhr also wieder nachhause, rief meinen damaligen Verleger an. „Katastrophe“, sagte ich. „Ich muss noch mal von vorn anfangen!“ Er hörte zu und gab mir eine Woche Aufschub. EINE WOCHE!! Mein Sohn, ich hatte damals erst einen, war mit einem gebrochenen Bein aus den Skiferien zurückgekommen. Das bedeutete: Kein Kindergarten, dafür 24-Stunden-Betreuung zuhause. „Mama, das Lego ist runtergefallen… Mama, ich muss aufs Klo!…“ Ich sass am Küchentisch vor einem ausgeliehenen Computer, das alte Manuskript neben mir, Seite für Seite tippte ich das ganze Buch noch einmal ab. Automatisch las ich mir dabei Satz für Satz halblaut vor. Nahm jedes Wort noch einmal in den Mund. Und da passierte etwas Interessantes: Ich merkte sofort, instinktiv, wenn etwas nicht stimmte, die Zeitform, der Rhythmus, die Wortwahl, das Bild. Holprige Formulierungen, Wiederholungen, logische Fehler, über die meine Augen beim Durchlesen hinwegglitten: Meine Lippen weigerten sich, sie auszusprechen. Doch ich stolperte nicht nur über Fehler. Es gab Sätze, die grammatikalisch korrekt waren, gut formuliert, vielleicht sogar geistreich – und die trotzdem nicht über meine Lippen kamen. Oft waren es genau die Sätze, auf die ich beim Schreiben besonders stolz gewesen war. Jetzt, beim Durchkauen merkte ich, ich hatte sie nicht geschrieben, ich hatte sie konstruiert. Meine Augen hätten sie mir durchgehen lassen, meine Lippen nicht. Das mochten schöne Sätze sein, aber es waren nicht meine. Das war nicht meine Sprache. Ich konnte sie nicht aussprechen.

Trotz familiären und praktischen Herausforderungen brauchte ich tatsächlich weniger als eine Woche, um das ganze Manuskript abzuschreiben auf diese Art noch einmal zu überarbeiten. Ich war unendlich dankbar für diese Katastrophe, die das Buch so viel besser gemacht hat. Seither mache ich das mit jedem Buch. Freiwillig, und wenn möglich, ohne immer gleich einen ganzen Computer zu zerstören.

Was nun den aktuellen Text angeht, so hat mir die selbstverschuldete Computerpanne eine inhaltliche Entscheidung abgenommen. Ich habe hier erzählt, dass sich Dinge aufs Papier drängen, die ich gar nicht aufschreiben, geschweige denn veröffentlichen will. Alte Geschichten, Erinnerungen, verkurstete Wunden, die ich auf keinen Fall wieder aufreissen will. Andererseits mache ich „das“ schon lange genug um zu wissen, dass ein Text eine innere Logik hat, dass eine Geschichte oft besser weiss als ihre Autorin, wie sie erzählt werden will. Also schrieb ich, was ich nicht schreiben wollte. Es wird sich schon zeigen, dachte ich, wusste ich. Was dazugehört und was nicht. Und so war es dann auch. Danke, technische Panne, übergeordnetes Lektorat!

 

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Leser-Interaktionen

8 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    @ Regula : einmal lebte ich in Düsseldorf und einmal in Denver, an beiden Orten hätte ich ein Buch schreiben können, wollen, sollen, aber keine Inspirationen dazu erhalten. Es lässt nichts darauf schliessen, das der Ort wo ich mich aufhalte eine besondere Wirkung auf meine Gefühle haben würde und wird. Am ehesten noch im Zug, in der Bahn. Aber da lesen ich meistens, umgeben von Vielen, von Blick und/oder 20-Minuten Lesern welche nie Tränen in den Augen haben wie ich, der dann halblind den Zug verlässt, umsteige, nach Hause gehe und oft gut ankomme, mich endlich schneuze und sofort weiterlese. Da hat es meist eine Rolle WC-Papier zu Händen. Die bräuchte ich auch zum Selberschreiben was ich tue, ungern aber helfend, an Behörden, Verwaltungen, an die Autoritäten, jene die auch Zurückschreiben, z.B. Antrag abgelehnt, wusste ichs doch, dann sehe ich die weisse Rolle, nehme das belachte und/auch beweinte Buch zur Hand und finde Glaube, Liebe, Hoffnung in der Lektüre. Das G L H zitierte meine Mami oft, und immer las sie etwas, beim Stricken. Aber sie drehte keine Stricke, niemandem. Nicht einmal meinem Erzeuger, wieso sollte sie, der gestraft genug mit Frau und fünf Kindern, und ausserdem musste einige Tage nach der trauten Bekanntschaft mit meiner noch nicht Mami einrücken, Aktivdienst.

  2. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Ich bin wieder zu Hause.
    In den vergangenen Tagen musste ich meine Berlin-Eindrücke zu einer Eingabe fürs Aargauer Kuratorium verarbeiten. Der Termin für die Bewerbung um die Atelier-Aufenthalte steht an, und ich habe gemerkt, wie wichtig es für mich und meinen Roman ist, dass ich ein halbes Jahr in Berlin verbringen kann. Ich glaube, ich hatte noch nie eine so schwierige Aufgabe! Etwas erklären zu müssen, was eigentlich gar nicht erklärbar ist: Weshalb es für das Schreiben eines Romans, der den Arbeitstitel „Am Wasserschloss“ trägt, weil er genau da spielt, so wichtig ist, dass er zumindest teilweise in Berlin geschrieben werden kann, obwohl Berlin darin gar nicht vorkommt. Weshalb es wichtiger ist, die Karl-Marx-Allee und die Tauentzienstrasse vor der Haustür zu haben als Aare, Reuss und Limmat …
    Wieder war ich sehr froh, um deinen Rat und danke dir einmal mehr, dass du deine Erfahrungen so grosszügig mit uns teilst! Ich begann einfach jedes Mal wenn ich die insgesamt 5400 erforderlichen Zeichen beieinander hatte wieder von neuem, bis endlich das da stand, was ich meinte. Einigermassen verständlich, hoffe ich.

    Auf dein Santa Fé-Buch warte ich schon sehr gespannt :-)

    Liebe Grüsse
    Regula

    • Milena Moser meint

      @ Regula: Ich drück dir sehr die Daumen! Und verstehe sofort, warum du dort sein musst. Leider kannst Du von mir nicht wirklich lernen, wie man finanzielle Unterstützung bekommt und Preise gewinnt. Das wüsste ich selber gerne!

    • Regula Horlacher meint

      Huch – abgeschickt …
      Danke für deine Unterstützung, die Konkurrenz ist riesig.
      Das Daumendrücken ist zwar bei dieser Bewerbung eine ziemlich aufwendige und langwierige Angelegenheit: Die Entscheidung fällt erst im Mai – und wo ich doch schon so auf dein nächstes Buch warte …
      Jemand sollte eine Daumendrück-Vorrichtung erfinden, Klämmerli eignen sich ja auch nicht wirklich. Es müsste etwas sein, das absolut keine Schmerzen verursacht und es dürfte einem auf KEINEN FALL am Schreiben hindern :-)

  3. Hans Alfred Löffler meint

    Die Zeiten ändern sich, die Namen auch, ich las einmal: «Gott sei Dank war es nicht Wasser!», sagte Jessica. «Da hätte man nichts mehr machen können!» Iris nickte nachdenklich. (Seite 266 aus MÖCHTEGERN von Milena Moser welche am 3. November 2013 bloggte: „It’s raining words!“)
    Gut erinnere ich mich an den Mittwoch, 10. Februar 2010: http://www.flickr.com/photos/yes2art/4711379457/

  4. regenfrau meint

    Liebe Milena,
    ach, da hast du mir wieder ein wunderbarliches Bild für den Sonntag Abend geliefert: „Das geheime Leben der verlorengeglaubten Daten“ – wenn das keine Geschichte ergibt, was dann?!
    Viel Erfolg für deinen 2. Start mit dem Manuskript!
    Lieben Gruß vom Wallersee,
    Doris

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