Vorletzte Lockerung

Eciture Automatique schön und gut, sagt Beatrice, aber das kann man doch niemandem zumuten.

Kann man nicht? Was ist mit Breton, Serner, Tzara, Kerouac? Was wäre die Literatur ohne Dadaismus, Surrealismus, Beatliteratur?

Wie genau diese Technik entstanden ist, wo sie herkommt, vom Schamanismus, Okkultismus, aus der Psychologie, ob Serner und Tzara (in Zürich? Im Café Odeon) vor oder nach Breton und Soupault damit spielten, ist eigentlich egal. Fest steht, das mit dieser Methode das Denken ausgeschaltet wird. Oder mindestens überlistet. Die Methode ist unberechenbar, das Ergebnis unter Umständen durchaus eine Zumutung, auch das beschreibt Beatrice wunderbar eindrücklich: zuerst für einen selbst. Dem so Geschriebenen kann man nicht ausweichen. Es hat eine brutale Kraft, eine Rohheit, es kann aber auch von unbeschreiblicher Leichtigkeit sein, von schillernder Schönheit. Es wäre auf keinen Fall entstanden, wenn man den Schreibprozess kontrolliert hätte. Wir können versuchen, uns zu schützen. Vor dem, was auf das Papier drängt. Wir können versuchen, kontrolliert zu schreiben, nichts falsch zu machen, nichts preiszugeben – nur, warum? Warum schreiben wir?

Beatrice, danke für deinen Kommentar und den Denkanstoss!

Der Dichter kräht, flucht, seufzt, stottert, jodelt, wie es ihm paßt. Seine Gedichte gleichen der Natur. Nichtigkeiten, was die Menschen so nichtig nennen, sind ihm so kostbar wie eine erhabene Rhetorik; denn in der Natur ist ein Teilchen so schön und wichtig wie ein Stern, und die Menschen erst maßen sich an, zu bestimmen, was schön und was häßlich sei – Hans Arp

Die von mir sonst heiss verehrte Dorothy Parker sagte in einem Radiointerview: „Ach, diese jungen Leute, diese Beatpoeten, das mag ja ganz lustig sein, aber Literatur ist das nicht. Schreiben können die nicht.“ Das erinnerte mich, ohne mir einen Vergleich anzumassen, an einen meiner Absagebriefe: Das sei ja alles ganz lustig, man habe es wirklich gern gelesen, aber Literatur sei das nicht! „Sie werden nie ein Buch veröffentlichen!“ – vom Rowohlt Verlag, der später meine Krösus-Titel aufkaufte.

Ich meine nicht, ich sei Kerouac. Ich meine nur: Die Wahrhnehmung dessen, was zumutbar ist, verändert sich auch. Mit der Zeit. Mit dem Abstand. Ob das, was ich in diesem Monat von Hand und mit verbundenen Augen geschrieben habe, zumutbar ist – für mich erst einmal, für meine Romanfiguren dann, zuletzt für eine Leserschaft, das weiss ich jetzt noch nicht. Das kann ich jetzt noch nicht wissen. Ich weiss nur, dass etwas da ist, was vorher nicht da war.

25.3. Null, 26.3. 3871, 27.3. 8211, 28.3. Null

Magdalena: Saturday 1,000, Sunday 1,500, Monday 0,Tuesday 1,400
Wednesday: hours and hours. I’m glad it’s getting toward the end. I want to write a book about sailing the tropics!

auf den marmeladegürtel turnen/ hinein ins Abendrot/ glitzerblöde affenbolde… – Hans Arp, Tristan Tzara und Walter Serner, Die Hyperbel vom Krokodilcoiffeur und dem Spazierstock

Les torpeurs se déployaient comme la buée
Au Chien qui fume
Ou venaient d’entrer le pour et le contre –André Breton, Le Tournesol

 

 

The only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn, like fabulous yellow Roman candles exploding like spiders across the stars, and in the middle, you see the blue center-light pop, and everybody goes ahh…“ – Jack Kerouac, On the Road

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10 Kommentare

Kommentare

  1. Jakob meint

    Ihr Lieben
    Sprecht ihr alle nicht bloss von einer hochintellektuellen Form des „Eciture Automatique“. Ist nicht jeder ehrlich Liebesbrief im Zustand des Glücks geschrieben ein „Eciture Automatique“-Text?
    Gebt mir die Gelegenheit und ich beweise es euch….
    Alles Liebe
    Jakob

    • Regula Haus-Horlacher meint

      Oje, vielleicht doch nicht so sehr verwandt … bei mir läuft das alles mehr innerlich*.
      Trotzdem danke!

      *Was natürlich nicht heisst, dass es deshalb weniger verrückt ist, aber das ist eine andere Geschichte…:-)

  2. Barbara meint

    Auch ich bin ein Fan der écriture automatique, in einer Ausstellung über den Surrealismus las ich einst, dass diese Form von Schreiben ein Automatismus ist, der die Dinge sich ereignen lässt … ja so erlebe ich es auch, die Dinge ereignen sich, einfach so … Ich MUSS so schreiben, anderes geht es nicht. Was heute dabei entstanden ist (mit leichten Korrekturen, zur besseren Lesbarkeit):

    Weiterschreiben, die Augen schliessen, die Augen reiben, ich brauche sie zum Schreiben, kann sie nicht reiben, was sehe ich, eine hellblaue Fläche, schon lange nicht mehr gesehen, eine hellblaue, gemalte Fläche, keine Ahnung, wolkenlos, zeitlos, es gab nichts Zeitloses, alles war in der Zeit, in irgendeiner Zeit …

    Zeitlos, sprachlos, gedankenlos, sorglos, sorglos wäre gut, leidenschaftslos, Los, ein schweres Los, ein Glückslos, atemlos, kinderlos, arbeitslos, Achtung fertig los, bloss, humorlos, herzlos, bodenlos, antriebslos, verantwortungslos, papierlos, kernlos.

    Losziehen, loslegen, loslaufen, los geht’s, je länger Selma das Wort schrieb, desto seltsamer kamen ihr die drei Buchstaben vor, los, als ob etwas fehlte, es fehlte ja auch tatsächlich etwas, wenn die drei Buchstaben angehängt wurden, die Arbeit, das Kind, der Humor, die Gedanken, das Herz. Sprache ist grandios, dachte Selma, für etwas das fehlt kommt sie mit drei Buchstaben aus. Mehr wäre aber auch unlogisch.

    Selma schrieb und schrieb und schrieb. Ich schreibe um mein Leben, dachte sie, einfach alles aufschreiben, um mein Leben schreiben, nein, das stimmte nicht, sie wollte sich ja nicht von etwas davonschreiben, sondern sich zu etwas heranschreiben. Das war ein Unterschied. Vielleicht aber auch eine Illusion. Sie dachte wehmütig an den Avocadokern.

    Weiterschreiben. Gedanken um Gedanken. Schulterfrei. Das war etwas anders. Sorgenfrei. Beschwerdefrei. Schulfrei. Sturmfrei. Vier Buchstaben. Für die Freiheit am Ende eines Wortes brauchte es einen Buchstaben mehr. Aber diese Freiheit fühlte sich auch breiter und weiter an als etwas, das nur –los war. Wie war es eigentlich, wenn man ohne Partner war? War man dann partnerlos oder partnerfrei? Partnerlos klang nach Schicksalsschlag, nach Mangel, nach unerfüllter Sehnsucht. Partnerfrei nach Unabhängigkeit, Befreiung, neuen Möglichkeiten. Wenn sie Friedrich verlassen würde, wäre sie dann partnerlos oder partnerfrei? Selma schmunzelte. Schönen Abend, Barbara

  3. Regula Haus-Horlacher meint

    YESS!!!
    It’s obviously easy for me to learn English with Jack Kerouac … Possibly we are kindred spirits :-)

  4. Isabel meint

    ich probiere eseinfacxh und schon shcleicht sich die frau dazwischen, die sich das leben nahm, so unverhofft, keiner weiss, warum. sie, die früher so frühlich war und gerne das Wasser liebte, hat sich jetzt in die fluten begeben, fassungslos, einfach fassungslos, stehen wir da. Berührt es uns wirklich‘ Das fragt sie vielleicht auch. Machen wir ein Drama daraus, für uns selbst.? Was berührt, ist die Trostlostigkeit, ihre Trostlosigkeit, warum hat sie keinen Halt gefunden, frage ich mich, in der Natur, in der Familie, die so heil ist, mit den üblichen Quengeleien, vielleicht, aber doch heil. Hat sie nichts mehr vom Leben erwartet? Ist es das? Ist sie sich selbst fremd geworden? Der Tod ist nicht das Schlimmste am Leben…Wie gehen die anderen damit um? Muss man gucken? Muss man nach jemaqndem gucken? Darf man fröhlich sein? Die Natur macht aber fröhlich. Sie selsbt aht gerne gelacht. Aber geflüchtet ist sie immer…Sie wollte vielleicht ab. Das wird es sein. Sie hat Mut. Geht in das Wasser. Vielleicht denkt sie, wenn ich überlebe, bin ich einfach geschwommen, wenn ich sterbe, bin ich einfach dorthin geschwommen, so oder so, ich habe recht, unnd niemand kann mir widersprechen…

    (So sieht das also aus, Milena…)

    Liebe Grüsse
    Isabel

  5. Karin meint

    Liebe Milena, ich bin eine große Anhängerin des Automatischen Schreibens. Zwar nicht mit verbundenen Augen, denn meine Schrift ist schon so eine Zumutung. Gut das es Computer gibt. Ich glaube ich hätte nie eine Geschichte fertig bekommen, wenn ich nicht angefangen hätte, mich mit dem automatischen Schreiben frei zu schreiben. Dabei kam ich an die wirklichen Themen. War manchmal recht erschreckend, was sich so im strahlenden Kosmos meiner Psyche tummelt, aber was, soll es? So lange eine gute Geschichte dabei rum kommt.
    Alles Liebe Karin

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