It’s raining words!

tumblr_mbola60F9t1rntrzyo1_500Das kann nur eines bedeuten: Es ist wieder November. Genau: National Novel Writing Month. Mein Alter Ego, Mimosa Mein, ist wieder dabei. Letztes Jahr habe ich meinen halbfertigen Roman über die Ziellinie getragen, ohne das Wortsoll zu erfüllen. Dieses Jahr breite ich mein autobiographisches Material vor mir aus, so dass ich irgendwann, im Dezember oder später, entscheiden kann, was zu der Geschichte gehört, die ich erzählen will und was nicht. Das ist einerseits einfacher – es ist alles schon da. Andererseits verdammt viel schwieriger. Warum? Meine Reise im letzten Sommer hat sich doch freundlicherweise auf eine Weise entwickelt, die jedes Dramaturgenherz zum Singen bringen würde. Alle Elemente einer kräftig konstruierten Geschichte zeigten sich von selber und zum richtigen Moment: Die Suche (nach dem Glück, in diesem Fall. Ich habe mir etwas Einfaches vorgenommen). Und die Hindernisse, die sich dieser Suche in den Weg stellen. Falsche Hoffnung, Enttäuschung, scheinbares Aufgeben, dann die Erlösung aus einer vollkommen unerwarteten Ecke. Inspirierende Kulissen, die Häuserschluchten von New York, die Bayous von Louisiane, der weite Himmel über Santa Fe. Alles da, bingo, schnitt, bumm! Das kann doch fast nicht sein, dachte ich, als ich zum Flughafen fuhr. Zu allem anderen hatte ich noch ein Upgrade bekommen. Etwas, worum ich mich seit Jahren vergeblich bemühte, wurde mir auf dieser Reise in den Schoss geworfen, einfach so. Ich sass in der gediegenen Luxuslounge, klappte meinen rosa Reisecomputer auf und dachte: Das ist zu einfach.

Das bestätigt sich jetzt, wo ich die Geschichte aufzuschreiben beginne. Meine Erinnerungen langweilen mich. Ich weiss ja schon, wo sie hinführen. Ausserdem habe ich sie zu oft erzählt, auch wenn ich mich an der Reise an eine Art selbstauferlegten Schreibstopp gehalten und sehr wenig darüber berichtet habe. Aber man kommt nachhause und um das Erzählen nicht herum. Ich kaue meinen eigenen Worte wieder und spucke sie aus. Unter dem Zeilendruck des National Novel Writing Months drängen sich andere Bilder aufs Papier, Erinnerungen, Szenen, Gedanken, die ich gar nicht haben, geschweige denn aufschreiben möchte. Und veröffentlichen schon gar nicht. Aber – und das ist neu – ich rege mich nicht darüber auf. Ich lasse mich nicht verunsichern, sondern verlasse mich endlich auf meine Erfahrung. Ich weiss, dass alles, was ich jetzt schreibe, auf irgendeine Art wichtig ist. Ich weiss nur noch nicht, auf welche. Aber das bedeutet nichts. Ich muss nicht alles sofort wissen. Auch, dass mir gewisse Szenen unangenehm sind, dass ich mich bei Aufschreiben in Abgründe zurückkatapultiert fühle, die ich nie wieder aufsuchen wollte, erschüttert mich nicht. Diese Abgründe sind nicht mehr real. Ich klettere in sie hinab, mit meiner hellen Stirnlampe auf dem Kopf, ich beschreibe sie genau, dann klettere ich wieder an die Oberfläche zurück. Und siehe, an dieser Oberfläche bin immer noch ich. Da sitze ich und schreibe. Ich bin immer noch da. Ich atme. Und ich schreibe. Voller Vertrauen: In den Monat November. In mein Schreiben. In mich.

images-3

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

4 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Mir ist etwas Komisches passiert. Wohl etwas vom Komischsten, was man sich denken kann –
    Da habe ich mir eigens Urlaub genommen, um ungestört an meinem zweiten Buch arbeiten zu können, und nun will mir mein Kopf einreden, ich hätte keine Zeit, am Novemberschreiben teilzunehmen!! Und warum will er das? Weil ich noch nicht fertig aufgeräumt habe!
    Ich bin daran, alle meine Papiere und meinen Besitz durchzusehen. Ich sortiere, räume um, entsorge. Das ist nichts Ungewöhnliches, ich mache das alle paar Jahre. Inzwischen habe ich nicht mehr viel. In einer Einzimmerwohnung ist der Platz begrenzt. Man muss sich genau überlegen, was man anschafft.
    Und doch vergeht Woche um Woche, ohne dass ich mein Ziel erreiche. Dabei ist es nicht so, dass ich nicht vorwärtskomme: Auf dem Büchergestell haben alle Bücher Platz gefunden, die ich in den vergangen vier Jahren gekauft und irgendwo in der Wohnung aufgestapelt hatte. Die Dokumente von der Scheidung und von der Arbeit im Altersheim sind säuberlich in Ordnern abgelegt. Und das Geschenkpapier, das sich seit letzter Weihnacht angesammelt hat, ist aufgerollt und in alte WC-Rollen gesteckt.

    Aber es geht langsam. Sehr langsam.

    Immer noch hoffe ich, dass sich mir die Möglichkeit zu einem Aufenthalt im Ausland auftut. Ich stelle mir vor, dass ich dann bereit sein muss. Nur noch ein paar Kleider und den Laptop in den Koffer, Türe zu und weg bin ich.
    Ich möchte meiner Tochter meine Wohnung überlassen, wenn ich fort bin. Sie muss doch in den Schubladen Platz für ihre Sachen haben, denke ich. Dabei kenne ich niemanden, die so unkompliziert ist in solchen Dingen wie sie … Sie würde ihren Besitz auf dem Lehnstuhl stapeln und wegnehmen, wenn sie sich hinsetzen wollte. So einfach ist das.
    Und ich weiss ja auch, dass es nicht wirklich um meine Tochter geht. Nur an der Oberfläche. Eigentlich geht es um mich selber.
    Ich möchte aufgeräumt haben, abgeschlossen haben. Ich möchte als neuer Mensch neu anfangen können.

    Schon sehe ich Kopfschütteln allenthalben. Unwilliges Stirnrunzeln.
    Als neuer Mensch? Ist das nötig? Was für ein absurder Ehrgeiz!
    Als neuer Mensch! Das ist nicht möglich! Was für eine absurde Idee!
    Ja – Ich weiss nicht, ob der Wunsch, alles hinter sich zu lassen, neu anfangen zu können, absurd ist. Vermutlich. Und es ist ja auch nur ein Wunsch. Doch wenn ich mir vorstelle, dass ich spätestens heute in einem Jahr – ausser es geschieht ein Wunder … :-) – von meinem Schreibtisch weg auf Stellensuche gehen muss, und mir vor Augen führe, wie schnell dieses Jahr vorbei sein wird, dann packt mich das kalte Grauen. Und genau das wird man mir anspüren, und ich werde wieder über dieselben Stolpersteine stolpern, über die ich schon immer gestolpert bin.

    Darum muss ich sichten, sortieren, ordnen. Ich muss Überzähliges entsorgen und das, von dem ich glaube, es noch zu brauchen, wieder an seinen angestammten Platz legen.
    Oder auf den Fenstersims.
    Die Stolpersteine kommen auf den Fenstersims.

    Und so bin ich jetzt voller Vertrauen in den Monat November.
    Heute ist erst der Vierte. Es ist noch nicht zu spät.
    Danke Milena, dass du mich daran erinnert hast

    Liebe Grüsse
    Regula

  2. Trudi Clemenz meint

    genau…. wundervolle Milena Moser…… Respekt mit lieben Gedanken für Ihre Gelassenheit…. mit Erfolg und immer kritischem Zulassen…. in Gedanken sage ich Du Milena… habe Deine frühen Werke ausgeliehen und nie zurückbekommen… hoffe, sie reisen um die Welt….. alle Wunderbärchen schwirren mit.. liebe Grüsse, Trudi aus Davos

  3. Jürg B. meint

    Und was machst du am Ende eines Jahres, wo schriftstellerisch irgendwie gar nichts so recht zu laufen beginnen mochte? Wo das einzige (keinesfalls unwesentliche, aber nicht literarische) Kind, das das Licht der Welt erblickte, die Tochter deiner eigenen Schwester war, deine einzige Nichte, die einzige Person, die einmal deine Gene, dein Blut, zum Teil wenigstens weitertragen wird? — Darauf bin ich für dieses Jahr mächtig stolz! Der Rest kommt auch wieder… Some time, it’ll begin raining words again — in & into my head!!!

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.