Nein, ich war NICHT in dem berühmten Badeort in New Mexico, der seinen grossartigen Namen „Truth or Consequences“ einer Quiz-Show verdankt. Steht immer noch auf meiner Liste. Seit bald drei Jahren. Statt dessen habe ich den Dokumentarfilm „Author“ gesehen, der die JT Leroy Geschichte aufzurollen versucht. Dieser literarische Skandal hat mich damals sehr beschäftigt, als ich selber in San Francisco lebte. Eine befreundete Journalistin flog extra aus Hollywood an, um den scheuen, aber partylustigen Autor zu interviewen. Erschüttert kam die nur schwer zu beeindruckende Berufsskeptikerin von der Begegnung zurück. Er habe nur geflüstert. Sei im Taxi von ihr zurückgewichen. Als fürchte er jede Form von körperlichem Kontakt. „Man spürt seine Verletztheit, den Missbrauch….“ Wenig später stellte sich heraus, dass sie neben einer jungen Frau im Taxi gesessen hatte, deren (mittelalte, übergewichtige) Tante Laura Albert die knallharten, verstörenden Bücher geschrieben hatte, in denen ein Junge von seiner Mutter, einer drogensüchtigen Prostituierten, an Lastwagenfahrer verkauft wird, oft als Mädchen verkleidet. Bücher, die Promis von Madonna bis Courtney Love und Gus van Sant so berührten, dass sie die Freundschaft des mysteriösen Autors suchten. Irgendetwas an der atemlosen Beschreibung der Journalistin erinnerte mich an etwas, das ich gerade gelesen hatte. „The Night Listener“, nicht mein Lieblingsbuch von meinem lokalen Lieblingsautor Armistead Maupin, aber von einem Lieblingsautor liest man eben alles. Dieser war etwa zehn Jahre vorher von den autobiographischen Aufzeichnungen des 14jährigen Anthony Godby Johnson, einem verlassenen, obdachlosen, diversen grausamen Pflegeleltern ausgelieferten und unterdessen aidskranken Jungen, ähnlich aus der Fassung gebracht worden. In nächtelangen Telefongesprächen entwickelten sie eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden – bis sich herausstellte, dass die einsame (mittelalte, übergewichtige) Frau, die als Anthonys Pflegemutter auftrat, den Bericht geschrieben und die Telefonate geführt hatte. Die Parallelen waren zu offensichtlich. Als hätte jemand Maupins Buch als Vorlage für JT Leroy benutzt. Deshalb war ich wenig erstaunt, als der Betrug aufflog. Mehr noch, ich fühlte mit. Ich kenne das Buchbusiness (der Begriff sagt alles) gut genug, um zu wissen, dass eine Frau im mittleren Alter die Herzen der Marketingabteilung nicht unbedingt schneller schlagen lässt. Ein wunderschönes, androgynes Wesen, das unbestimmte sexuelle Projektionen zulässt, schon sehr viel eher. Die Suche nach einem Verleger kann einen schon mal zu verzweifelten Mitteln greifen lassen, das ist mir selber nicht ganz fern, siehe „Möchtegern“.
Doch der Film hat mich ernüchtert. „Es geht nur um die Texte“, behauptet die unterdessen zum Gesamtkunstwerk zurechtoperierte Laura Albert unverdrossen. „Die Texte sind echt!“ Die Stimme, die sie erst Terminator, dann JT nannte, war echt. In ihrem Kopf. Die Geschichte schrieb sich wie von selber. Sie folgte nur den Bildern, den Szenen. In ihrem Kopf. Das nennt man Wahnsinn, das nennt man Kreativität. Warum nicht „Roman“ unter den Titel schreiben und das Buch unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen versuchen? Wenn es wirklich nur um den Text geht? Weil Courtney Love dann wohl nicht angerufen hätte.
Schreiben ist nur das: Schreiben. Aufschreiben, was da ist. Was da ist, ist automatisch wahr. Erst recht, wenn es erfunden ist. Aber das andere, das Verkaufen, Behaupten, Auftreten und Vermarkten, das ist nur….. Konsequenzen.
Denn das entscheidende Wort im Titel der Quizsendung, im Namen der Kleinstadt ist ja das „oder“. Nicht „und“. Oder.
Hans Alfred Löffler meint
the best I read about Armistead Maupin is:
„I think the universe provides a skeptic in every relationship,“ Maupin says, laughing. „Most couples, whether the relationship is straight or gay, break down into the sentimental one and the skeptical one. It explains almost everyone I’ve ever talked to.“
Hans Alfred Löffler meint
Ich war einfach neugierig und beharrlich und fand zu Laura Albert noch folgende Angaben: https://de.wikipedia.org/wiki/JT_LeRoy
Interessant fand ich, das zu „Laura Albert“ kein Wiki Eintrag existiert und noch interessanter fand ich, dass alle jetzt berühmten und bekannten Schriftsteller 1963 plus/minus 2 Jahre und im Juli plus/minus 2 Monate auf diesem Globus erschienen. Ein gutes Beispiel ist „Courtney Love“ …
Regula Horlacher meint
Fast hätte ich es vergessen, aber nun ist es mir zum Glück wieder eingefallen:
Ich bin ein vorsorgender Mensch und immer darauf bedacht, meiner Mit- und Nachwelt das Leben zu erleichtern. In meinen Anfängen als Schriftstellerin, als ich – man hatte mir mehrmals den Speck durchs Maul gezogen – noch mit der Möglichkeit rechnete, in absehbarer Zeit berühmt zu werden, begann ich mit einer Sammlung eigener Aphorismen, weil ich der oben erwähnten Nachwelt die Mühe ersparen wollte, die Kernsätze meines Schaffens später in aufwändiger Kleinarbeit aus meinem Gesamtwerk herausschälen zu müssen. Ich kopierte also Sätze, die mir geeignet erschienen – Idealzitate wie „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“ oder „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“ halfen mir, mich zu orientieren –, handschriftlich in ein für jedermann zugängliches, in lindgrünes Leinen gebundenes Notizbuch. Mit dem Schwinden meiner schriftstellerischen Erfolgsaussichten und –hoffnungen, liess sich jedoch das Extrahieren und Festhalten von substanziell Wertvollem je länger desto weniger rechtfertigen, so dass es sich, sozusagen parallel zu ebendiesem Schwinden, im Sand verlief.
FAZIT: Ich bin über neun Seiten nicht hinausgekommen.
ABER: Diese neun Seiten gibt es, und dank „Truth or Consequences“ habe ich mich nun ihrer erinnert. Da war doch mal was in der Richtung, dachte ich. Etwas über Bescheidenheit. Oder so.
Tja – da war tatsächlich etwas. Nur wie ich damals darauf kam, dieses Etwas ins lindgrüne Notizbuch aufzunehmen, konnte – bzw. kann – ich mittlerweile nicht mehr wirklich nachvollziehen. Wie die typische Quintessenz kommt es mir nicht gerade vor, eher reichlich verworren … Trotzdem: Jetzt habe ich mich schon so weit vorgewagt, da muss ich wohl auch weitermachen. Immerhin geht es ja hier um Konsequenzen. Die man tragen muss. Na gut. Achtung, ich zitiere mich:
„Bescheidenheit heisst, jede Aufgabe ernst nehmen.
Achtsamkeit heisst, jede Aufgabe gewissenhaft erledigen.
Demut heisst, genau zuhören.
Vertrauen heisst, den Schritt tun.“
Hm. Ob ich damit so eine Art Frau-Holle-Dings gemeint hatte? Dass man Brote aus dem Ofen nehmen und Äpfel aufsammeln muss, wenn man am Schluss mit Gold überschüttet werden will? Aber warum, um Himmels Willen, dann auch noch Demut? Weil die Aufgaben nicht immer so klar ersichtlich sind wie bei der Goldmarie, und man manchmal besser daran tut, erst abzuklären, was überhaupt gefragt ist? Und was, bitte, soll dieser kryptische letzte Satz über das Vertrauen? Worauf soll man vertrauen? Etwa darauf, dass das Leben ein Labyrinth ist und kein Irrgarten? Keine Ahnung. Seltsam.
Etwas anderes: Eine Lehrerin schrieb mir das bekannte Zitat „Man sieht nur mit dem Herzen gut usw. …“ von Antoine de Saint-Exupéry in mein Poesie-Album. Nein, das stimmt nicht, ich will bei der Wahrheit bleiben! Das Poesie-Album gehörte einer Schulkameradin meiner Tochter, und ich muss gestehen, ich blätterte immer in den Poesie-Alben, die meine Tochter mit nach Hause brachte. Ich konnte nicht widerstehen. Ich war zu neugierig auf die Einträge der anderen Kinder und vor allem – auf die ihrer Lehrerinnen. Jenes, in dem ich auf den Spruch von Saint-Exupéry stiess, war eines dieser schrecklichen vorgedruckten Dinger in Rosarot und Hellblau, die man nur auszufüllen brauchte: Augenfarbe, Haarfarbe, Hobbys und ganz am Seitenende „Mein Lieblingszitat“.
Nicht, dass ich den Spruch nicht schon gekannt hätte –
Und sowieso meinte ich eigentlich den anderen, den umgekehrten. Aber offenbar musste mein Kopf, um das zu merken, den Umweg über diese Poesie-Album-Szene machen, vielleicht, damit mir klar wurde, wie leicht man der Versuchung verfällt, etwas zu vereinfachen, einzig und allein, weil es möglich ist. Weil einem nichts daran hindern könnte, als das eigene Wissen und Gewissen. Und weil es Dichterische Freiheit ist, natürlich. Ja – die Dichterische Freiheit, diese Vielbesungene und –berufene. Diese Rechtfertigung aller Stimmungslagen, allen Ungenügens, aller Faul- und Feigheit. Wo endet sie? Endet sie überhaupt irgendwo? Und wo fängt sie an?
„Der Herr aber sieht das Herz an“, heisst der Spruch, den ich eigentlich von Anfang an meinte, der mir aber nicht sogleich einfallen wollte. Begreiflicher-
weise, wie mir jetzt klar wird, huch – das Herz, diese Mördergrube …
Trotzdem, noch einmal: Was steckt dahinter, wenn nicht alles an einem Text, von dem behauptet wird, es entspreche der handfesten, diesseitigen Weltwirklichkeit, ihr auch tatsächlich entspricht?
Warum verschweigt man etwas? Oder lässt den Leser im Glauben, anstatt zu dementieren? Warum klärt man Missverständnisse nicht auf?
Aus Eitelkeit? Profitgier? Bequemlichkeit? Angst? Vielleicht sogar aus Fürsorge? Oder weil man einfach noch einmal einen kleinen Umweg braucht, so kurz vor dem Ziel?
Die Wahrheit oder ihre Gründe = )