Es geht um die Liebe.

Die letzten Monate waren schwierig. Und ich meine jetzt nicht Corona, die Bedrohung durch den Virus, die Einschränkungen, die Verluste, die Angst. Ich meine auch nicht die diversen Operationen und Komplikationen, die Spitalaufenthalte und Besuche in der Notaufnahme, die Victor seit längerem durchgemacht hat. Nein, ich rede von meinem Roman. Der eigentlich schon längst fertig sein sollte.

Und er war auch schon fast fertig, ich schwör’s! Es fehlte nicht mehr viel, ich hatte die Ziellinie schon im Auge – da rammte die Geschichte plötzlich die Fersen in den Boden. Bockte wie ein aufgescheuchtes Pferd und warf mich im hohen Bogen ab. Bewegte sich keinen Millimeter mehr. Alles gute Zureden half nichts, auch das Verständnis nicht, das mir aus meinem Umfeld entgegen schlug, die Grosszügigkeit, die meine Lektorin an den Tag legte. Allen leuchtete ein, dass ich jetzt, unter diesen Umständen, angesichts dieser konkreten Bedrohung und in meiner Rolle als Pflegerin, nicht schreiben konnte. Nur ich konnte es nicht ganz akzeptieren. Ich versuchte es. Ich redete mir gut zu, ich sagte genau das, was ich einer Freundin in derselben Situation sagen würde: „Du bist keine Schreibmaschine, Moser. Sei nicht so streng mit dir, Moser.“

Und doch, etwas nagte an mir. Der unbestimmte Verdacht, dass da noch etwas anderes mitspielte. Schliesslich konnte ich bisher (und das ist ein recht langes bisher) immer und überall schreiben, unter widrigen Umständen genau so wie wenn ich zum Platzen glücklich war. Im Zug, im Bett, in einem Wartezimmer und selbst im Krankenhaus. Da musste also noch mehr sein. Etwas, das ich auf den ersten Blick nicht erkannte.

Dann kam eine andere Aufgabe dazwischen: Wir nahmen eine Lesung aus „Das schöne Leben der Toten“ für das NONAM in Zürich auf. Und als ich eine kurze Stelle über die Bedeutung der Träume vorlas, blieb ich an einem Satz hängen: „So wie man ein Vexierbild nur erkennt, wenn man den Blick nicht fixiert, so kann man nicht von einer Realität in die andere treten, wenn der Geist angespannt ist.“

Beinahe hätte ich die Lesung in diesem Moment unterbrochen – ich glaube, man sieht das in der Filmaufnahme sogar. Denn ich wusste sofort, dass sich das auch auf mein aktuelles Schreibdilemma, auf meinen Roman bezog. Also hörte ich auf zu kämpfen. Versuchte nicht mehr länger, etwas zu erzwingen. Ich lockerte meinen Klammergriff, ich lehnte mich zurück und entspannte mich. Ich liess die Geschichte liegen, bis sie bereit war, sich zu zeigen. Das dauerte gar nicht lange:

„Du erzählst mich ganz falsch“, sagte die Geschichte. „Verstehst du nicht? Es geht um die Liebe!“

Und so kommt es, dass ich zum ersten Mal in meinem langen Schriftstellerinnenleben einen Liebesroman schreibe… Ich wusste es nur nicht.

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