Geteiltes Schreib … etc.

Habe ich also wieder eine Schreibgruppe. Ein sehr kleine im Moment, aber umso besser. Ich wusste gar nicht, wie sehr mir das gefehlt hat. Die Frage, was Heimat bedeutet beschäftigt mich schon immer, und in den letzten Monaten umständehalber noch mehr. Vor einer Weile bin ich zum Schluss gekommen, dass „Home is where the Schreibtisch steht“. Schreiben ist das, was immer da ist, immer da war. Ich habe als Kind geschrieben, als junge Frau, als verheiratete Frau, als Mutter, als geschiedene Frau, als verliebte Frau. Krank, gesund, glücklich, verzweifelt. Müde oder überdreht. Hier, da und unterwegs. Das Schreiben scheint manchmal die einzige Konstante in meinem Leben. Wenn mich das  Gefühl zu überwältigen droht, schon zu oft neu angefangen, schon zu viele verschiedene Leben gelebt zu haben – dann ist das Schreiben da, verlässlich und beweglich zugleich. Wenn ich schreibe, weiss ich, wer ich bin.

Schreiben ist naturgemäss ein einsames Unterfangen. Schreiben ist wie Atmen: Niemand kann es einem abnehmen. Oder doch? Als ich (vor 15 Jahren zum ersten Mal) in Amerika lebte, wusste ich nicht, was eine Schreibgruppe war. Es fiel mir nur auf, dass fast jeder Schriftsteller hier seine Bücher seiner Schreibgruppe verdankt. Erst schien es mir seltsam, es störte das Bild des zurückgezogenen, lärmempfindlichen europäischen Elfenbeinturmdichters. Dem ich ja ohnehin nie entsprochen habe. Und so gründete ich meine erste Schreibgruppe an meinem Küchentisch. Es fühlte sich sofort richtig an. Wenn der Schreibtisch meine Heimat ist, dann ist die Schreibgruppe mein Zuhause. Notfalls setze ich mich in ein Café und stelle mir vor, all die ernsthaften jungen Menschen, die allein hinter ihren Laptops sitzen, bildeten eine Einheit, eine Gruppe, meine Schreibgruppe.

Es hat etwas Beruhigendes, in einem Raum, an einem Tisch mit anderen zu sitzen, die dasselbe tun – dasselbe und gleichzeitig etwas zutiefst eigenes, unteilbares. Die geballte Konzentration der anderen überträgt sich auf mich. Ihr Schreiben fängt mein Schreiben ein, hält mich fest. Schreiben ist wie Atmen. Wir sind nicht die einzigen, die es tun. Alle tun es. Und es tut gut, sich daran zu erinnern.

„Was macht ihr denn da?“, werde ich immer wieder gefragt, mit dieser Mischung aus Neugier und Misstrauen, mit der man einem Geheimbund begegnet. Und jedes Mal bin ich versucht, zu sagen: „Uhhhhhhh das ist schwer zu erklären, das ist für Nicht-Eingeweihte kaum nachvollziehbar…. Es hat mit den Mondphasen zu tun und mit dem rituellen Freilassen von Brieftauben, mit dem Trinken von blauer Tinte und dem Blindspitzen von speziellen Bleistiften… Aufnahmeprüfung? Ja, natürlich gibt es eine Aufnahmeprüfung, aber dafür bist du noch nicht bereit…“ (Merkt man mir noch an, dass ich vor ungefähr 45 Jahren anlässlich einer Pfadfinderinnentaufe schwer traumatisiert wurde?)

Oder: „I could tell you but then I would have to kill you!“

Dabei ist es ganz einfach: Wir schreiben. Und wir reden. Über das Schreiben. Das ist alles, im wörtlichen Sinn: Alles. Mehr braucht es nicht.

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Leser-Interaktionen

7 Kommentare

Kommentare

  1. Gise Kayser-Gantner meint

    Hach, endlich ….
    wie wunderbar, Schreibkurse wo? Meldet man sich an für SF oder New Mexico?
    Ingas „Jahr des Lebens“ – Du erinnerst Dich vielleicht noch – wird grad ins Layout eingepasst.
    Danke für alles, Milena, Du hast ja so recht: Schreiben mit anderen – das ist es! Neben dem hin und wieder stillen Kämmerlein …

    Anmerkung, der erste Kommentar von mir wurde leider von der automatischen Rechtschreibung verunstaltet

    • Milena Moser meint

      Liebe Gise natürlich erinnere ich mich – und ich gratuliere! Schreibkurse in New Mexico…. ja, bald kann man sich dafür anmelden… „demnächst in diesem Theater“!

  2. Heather Cohn meint

    Liebe Milena Moser,
    wie schön, wieder von Ihnen zu lesen! Ich hatte Ihre interessanten und manchmal etwas kryptischen Blogtexte schon vermisst.
    Erzählen Sie bitte mehr über Ihre neue Schreibgruppe, die ich, selbst seit Jahrzehnten Autorin, leider bis heute nicht gefunden habe im deutschen Allein-und-einsam-soll-der-Schreiberling-arbeiten-Elfenbeinturm.
    Viele Grüße
    Heather Cohn

    • Milena Moser meint

      Liebe Heather
      was man nicht findet, muss man erfinden – oder in diesem Fall selber gründen! Es braucht nicht mehr als ein paar Gleichgesinnte – das heisst: Schreibende. Was und wie die einzelnen schreiben ist vollkommen egal, je unterschiedlicher, widersprüchlicher, desto interessanter…. Mehr nächste Woche!

    • Heather Cohn meint

      Sie haben natürlich recht – selbst aktiv werden ist sinnvoller als ewig zu warten und zu lamentieren.

      @ Schreibkurs in New Mexico: Daran würde ich sehr gerne teilnehmen. Bin auf die Infos dazu gespannt.
      Milena Moser’s Creative Writing Camp…

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