Vor ein paar Wochen hab ich wieder angefangen zu stricken. Das hab ich bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr versucht. Als Kind hab ich im Handarbeitsunterricht die Grundlagen gelernt, besonders erfolgreich war ich allerdings nie. Mir fehlt es an der nötigen Konzentrationsfähigkeit, der Präzision. Das hinderte mich nicht daran, mich als Teenager unverdrossen durch endlos scheinende Schulstunden zu stricken, immer ohne Muster und mit zweifelhaftem Resultat. Pullover mit verschieden langen Ärmeln, Ausschnitte, die mir über die Schultern rutschten, aber auch bunte Pompons und wilde Muster. Ich liebte meine Kreationen in ihrer ganzen wilden Unbekümmertheit, ich hatte Spaß.
Dabei blieb es erst mal. Ich war beschäftigt. Mit Büchern, mit Kindern, mit dem Leben. Manchmal dem Überleben. Doch dann zeigte mir eine Freundin einen angefangenen Pulli und es juckte mich in den Fingern. Mit der vagen Vorstellung eines bunten Streifenpullis im Kopf bestellte mir eine schöne Wolle in allen angebotenen Farben und eine Rundnadel, und begann gleich mit einem Bördchen. Ohne Muster. Ohne Plan.
Ja, Freunde: Ohne Muster, ohne Plan. So what? Was kann mir denn schon passieren? Was wäre das Schlimmste: Dass ich Fehler mache? Am Ende einen Pulli mit ungleich langen Ärmeln habe, dessen Ausschnitt mir über die Schultern rutscht? Been there, done that.
Genau so schreibe ich auch: Mit diesem Kitzeln im Zwerchfell, dieser Neugier, dieser Lust, mich auszuprobieren, mit der Gewissheit, dass mir nichts passieren kann. Im Gegensatz zu sagen wir mal Gleitschirmfliegen, sind Schreiben und Stricken nämlich eher risikoarme Tätigkeiten. Ausser natürlich, man hat Angst davor, etwas falsch zu machen.
Oder man weiss nicht, dass man dieses „falsch Gemachte“ auch wieder auflösen kann. Dass der erste Versuch nicht der letzte ist.
Kaum war das gestreifte Bördchen fertig, sah ich irgendwo ein Bild von einem reich gemusterten Norwegerpulli mit vielen Farben. Ehrgeizig, ich weiß. Aber wie gesagt: was kann schon passieren? Die Farben hatte ich ja schon, ich begann also, nach Mustern zu suchen. Doch dann wusste ich plötzlich: Ich keine Schneeflocken, ich will Totenköpfe! Keinen Norweger-, sondern einen Mexikanerpulli.
Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ein Totenkopfmuster zu zeichnen, griff Victor helfend ein: „Die sehen ja aus wie Aliens“, sagte er und setzte da und dort ein paar Kreuzchen an. Und dann strickte ich los. Und verzählte mich. Und löste alles wieder auf. Und strickte weiter.
Während ich gleichzeitig meinen Roman überarbeite. Die Parallelen sind unbestreitbar. Da sitze ich und ribble zehn Runden auf, fünf verschiedene Farbstränge verheddern sich ineinander, sorgfältig verfolge ich die einzelnen Wollfäden, rolle sie noch einmal auf und führe sie wieder ins Muster ein. Es ist eine nyffelige Arbeit. Meditativ. Aber ich komme gut voran. Mit beidem.
Weil ich keine Angst habe.
Wer sich zwischendurch mal verirrt, kommt trotzdem weiter. Und lernt unterwegs erst noch was. Wer gar nie losläuft, hingegen ….
Sehr anregender Text! Die beiden Tätigkeiten zu verknüpfen…werde mir ein Beispiel daran nehmen. Und falls der Pulli mal fertig ist, sähe ich gerne ein Bild davon. Ich wollte anfangs Lockdown nach Jahrzehnten wieder mal ein Paar Socken stricken. Es blieb beim Wolle-n. Aber es gibt immer eine zweite Chance-hihi! Gut Schreib, gut Strick, liebe Milena.
…. dann werd ich selbstverständlich ein Bild posten ;-)