Das Buch ist fertig, wenigstens in seiner ersten Fassung – das Manuskript grad noch termingerecht abgeliefert – und jetzt? Warten. Das ist beim 19. Buch nicht einfacher als beim ersten. Kaum aus der Hand gegeben, möchte ich es wieder zurückrufen. Hundert Dinge fallen mir ein, die ich unbedingt ändern muss. Und warum meldet sich mein Verleger nicht? Gefällt es ihm etwa nicht? Und weiss er schlicht nicht, wie er mir das beibringen soll? Oder… „Ohne Zweifel keine Erleuchtung“, hat ein Zenmeister gesagt, ich weiss nicht mehr, welcher. Zweifel sind gut. Aber schwer auszuhalten.
Umso dankbarer war ich für die Ablenkung, die mich in San Francisco erwartete: „Zieh die Latzhosen an“, sagte Victor. „Wir legen ein Blumenmosaik!“
Die Ausstellung „The Proposal“ befasst sich mit dem Nachlass des mexikanischen Architekts Luis Barragan, der vom Schweizer Vitra-Designmuseum Vitra aufgekauft und unter Verschluss gehalten wird. Da das Archiv ein Verlobungsgeschenk des Direktors an seine Braut war, hatte eine amerikanische Konzeptkünstlerin die Idee, aus der Asche des Architekten einen Diamanten zu pressen und diesen gegen den Nachlass auszutauschen. Da ein paar Briefe in einer Vitrine noch keine Ausstellung ausmachen, wird jeweils in der Mitte ein riesiges Blumenmosaik ausgelegt. Traditionell dienen diese dazu, die Toten, die am Dia des los Muertos ihre Angehörigen besuchen, mit ihrem starken Duft und der leuchtenden Farben anzulocken und ihnen den Weg nachhause zu zeigen.
Da die mexikanischen Blumenleger, mit denen diese Künstlerin normalerweise arbeitet, kein Visum erhalten haben, engagierte das Art Institute mit Victor Zaballa und Calixto Robles zwei eigenständige Künstler, die in dieser Tradition aufgewachsen sind und solche Mosaike schon oft gelegt haben. Und ich war ihre Helferin. Die ersten Tage waren wunderschön: Der intensive, frische Duft der orangefarbenen Ringelblumen füllte die Halle. Ich wühlte in riesige Säcke voller kitschfarbener Plastikblüten, meine Mädchenseele jauchzte. Vor allem aber genoss ich es, nichts denken, nichts entscheiden zu müssen.
Dann kam die Künstlerin. Ohne Victor oder Calixto direkt anzusprechen, geschweige denn anzuschauen, entschied sie, das Mosaik, dass wir exakt nach ihrem Plan gelegt hatten, sei inakzeptabel, nicht traditionell, das habe sie noch nie gesehen, so mache man das in Mexiko nicht!
Wir fingen also noch einmal von vorne an. Und obwohl ich aus meiner Empörung kein Hehl machte, redete sie von da an nur noch mit mir. Da konnte ich ihr hundertmal erklären, dass ich als Schweizerin keine Ahnung von mexikanischen Traditionen habe, dass sie sich gescheiter an die Experten wende – aber nein. Mit den braunen Männern gab sie sich nicht ab. Ich mochte feindselig sein, aber wenigstens war ich weiss. Sie, die mit ihrer Installation gegen den „Kulturraub“ mexikanischer Kunst durch eine Schweizer Institution protestiert, liess sich lieber von einer Schweizerin erklären, was mexikanische Tradition ist, als mit einem Mexikaner zu reden!
Das ist eine Form von abgrundtiefer kultureller Ignoranz, die ich nur bei Absolventen sehr teurer amerikanischer Universitäten erlebt habe, und die mich fassungslos lässt.
Calixto, ein äusserst bescheidener Mann, zuckte nur mit den Schultern: „Ich bin froh, wenn ich mich nicht mit ihr auseinandersetzen muss“, sagte er und legte sorgfältig die Blütenblätter aus. Da war Victor schon wieder auf dem Weg in die Notaufnahme. Doch daran immerhin war die Kunsttante nicht schuld.
Am Abend also unterhielt ich mich mit einer Krankenschwester aus Ghana, die den schönen Namen Patience trägt und sich freute, dass ich ihn französisch aussprach. Sie ist in Wien geboren, Tochter eines Diplomaten, hat Europa und Kanada gelebt und nirgendwo so unverhohlenen Rassismus erlebt wie hier, im liberalen San Francisco. „Er schlägt dir direkt ins Gesicht. Die Amerikaner verstecken ihn“, sagt sie. Und: „Am schlimmsten sind die sogenannten gebildeten Klassen.“ Dann wünscht sie uns viel Glück.
Und ja, über all dem habe ich komplett vergessen, darüber nachzudenken, warum sich mein Verleger nicht meldet…. Hier also das Rezept gegen den schriftstellerischen Post-Partum-Blues: Lenk dich ab. Arbeite mit den Händen. Erinnere dich daran, dass Menschen wichtiger sind als – alles andere.
Hans Alfred Löffler meint
anorher story happen on 9/11 2001 told by Deborah Feldman in her book UNORTHODOX – I’m witnessed the event on TV in Colorado Springs :
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On Tuesday the eleventh of September, 2001, I am late to school. At a quarter past ten in the morning, I walk the three blocks to the high school building at a fast clip, but as I round the corner to Harrison Avenue, I notice something is different. The sky is an ominous shade of gray, hanging heavy and low on the rooftops. It doesn’t feel like the onset of rain, but the air is murky somehow, like it has too much construction dust floating in it. In school, the windows are open because there is no air-conditioning in the building and fall hasn’t really arrived yet. Normally the noise from the street overwhelms the sound of the teacher’s voice and we have to close the windows for sessions, but today the street is eerily quiet. No drilling, no honking, no sound of trucks bumping along the metal plates on the wide two-way street outside. All I can hear are the faint chirping sounds of sparrows. At one o’clock the PA system crackles faintly as the secretary struggles to work the ancient intercom. It is almost never used. “All girls are dismissed.” The voice is muffled but loud. There is a small shriek of feedback that makes us cover our ears, but then the secretary’s voice is back, clearer this time. “Please pack your things and file out the exits in a neat, organized line. There are buses waiting outside to transport those of you who live far away. We will notify you when school is back in session.”
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