Doch, doch! Oder doch?

Zwischen Spitalaufenthalten und Kunstinstallationen überarbeite ich gleich zwei Manuskripte: „Das Neue“, das Anfang nächsten Jahres erscheinen soll, und die englische Übersetzung von „Das Glück sieht immer anders aus“. Ja, endlich! Back to the roots: Ich habe mein Schicksal, beziehungsweise das Schicksal meines Buches, in meine eigenen Hände genommen. Und with a little help from my friends übersetzen und veröffentlichen lassen. Aber das ist eine eigene Geschichte. Mehr dazu nächste Woche  – oder übernächste…

Interessant, wie fremd mir das Englische immer noch ist, nach all den Jahren hier. Ich habe kein rechtes Gefühl dafür. Dafür findet mein Schweizer Verleger, ein Ausdruck wie „macht das Sinn?“ sei ein Anglizismus, einer von vielen in diesem neuen Text. Es klinge wie eine schlechte Übersetzung, ich solle bitte etwas anderes finden. Seinen Vorschlag „Ist das sinnvoll?“ finde ich allerdings nicht schön. Ich spreche es ein paar Mal aus, es klingt einfach nicht so, wie ich will. Wir schieben die Zeilen hin und wieder her, über Weltmeere und Kontinente hinweg, in Echtzeit. Das Manuskript wird immer bunter. Blaue, grüne und rote Zeilen erscheinen überall, bei jedem Austausch mehr. Ich geniesse das, weil ich weiss, dass es nicht selbstverständlich ist. Einen Lektor zu haben, mit dem mich austauschen, mit dem ich streiten kann. Und das, obwohl ich meist nicht logisch erklären kann, warum ich es so oder so haben will. Weil es sich „so oder so“ einfach richtig anfühlt.

Sprachgefühl. Wörtlich.

„Noch etwas“, sagt der Verleger: Ich solle doch bitte das Wort „doch“ in das Fenster „alle finden“ eingeben und mindestens die Hälfte davon ersatzlos streichen. „Doch?“ Echt? Acht Jahre lang hat mir der verdienstvolle stellvertrende Chefredaktor der Schweizer Familie, Michael Solomicky, meinen verhängsnisvollen Hang zu Füllwörtern auszutreiben versucht. Mir, die ich einmal für meinen fast schon verboten knappen Stil bekannt war! Dieser Stil war allerdings umständebedingt: Ich schrieb, während mein Kind schlief. Ein kaum berechenbarer Zeitrahmen. Daher diese atemlose, abgehackte Erzählweise, diese abrupt endenden Geschichten. Jedes Wort zählte. Jede Minute. Je mehr Zeit ich zum Schreiben habe, desto mehr Worte brauche ich. Just because I can! Nach acht Jahren bei der Schweizer Familie war ich mir aber sicher, jedes „jedoch“, „eigentlich“ und „oder“ aus meinem Wortschatz gestrichen zu haben. Die „alle finden“-Funktion belehrte mich eines Besseren. Doch, doch! Und doch! In jedem zweiten Satz. Und ohne es zu merken. Lustig:
Jedes Manuskript hat sein eigenes Problem. Jedes Mal ist es ein anderer Begriff, den ich überstrapaziere, und immer ohne es zu merken – logisch. „Ich denke“, „sowieso“, „oder“. Und wage nicht, mir vorzustellen, was ein Tiefen- oder Hobbypsychologe daraus ableiten würde. Oder? Ist gestrichen. Ersatzlos.

Aber…. „aber“?

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7 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Dein jetziger Beitrag 2. Oktober 2016 erinnert mich an etwas ähnliches das in den U.S.A. geschah als Obama und McCain um die Präsidentschaft kämpften. Und dann kamen plötzlich die „alles finden“ Methoden auf allen Kanälen, das war im Oktober 2008 und am 1. November flog ich zurück in die Schweiz und wusste nicht ob Obama oder McCain ins weisse Haus einziehen würden.
    Dann im Januar 2009 sah ich zufällig auf dem Bildschirm in einer Beiz Obama und seine Frau und machte noch ein Foto vom Bildschirm.

    Ich weiss nicht wie lange sich die Diskussionen über die Wortwahl bei den Kandidaten noch hinzog, Für mich machte es keinen Sinn die Texte elektronisch zu untersuchen und mit künstlicher Intelligenz die beiden Kandidaten zu bewerten.
    Aber? Aber: Mit meinem elektronischen Buchleser, einem Kindle von Amazon versuche ich doch manchmal etwas herauszufinden, z.B. wie oft die Namen der Protagonisten in Geschichten erwähnt werden. Das hatte ich tatsächlich schon zweimal gemacht, und? Es macht keinen Sinn!
    Und hier ein Beispiel einer solchen Untersuchung Deines Buches „DAS WAHRE LEBEN“ als Link mit http://www.bookcrossing.com/journal/12010717/ welchen ich zur Probe gerade aufgerufen hatte: Es macht doch Sinn! Zu wissen, dass Nevada und Erika mehr als 500 Male in diesem Buch angesprochen, Dante 214 und Elma 108 Mal.
    Und der nächste Sinn ergibt sich für mich im „NochEinmal“ lesen dieses Buches, denn die Zahlen machen mich neugierig, z.B. der „Brunner Hansli“ der nur einmal vorkommt aber ich noch genau weiss, wann, wo, und warum. Ich selber ging nie in einen Kindergarten …vielleicht deshalb interessieren mich auch das „Stucky Vreneli“ und überhaupt Geschichten die Geschichten die erzählt werden, „von der Wiege bis zur Bahre“ …..

    • Hans Alfred Löffler meint

      Video capture from a TV screen in Switzerland, ca. 18:20 (8:20 p.m.) / MST 10:20 a.m. (camera 6220c-1) operated by Hans Alfred Loeffler:
      GOOD MORNING AMERICA / GOOD DAY AMERICA / GOOD FUTURE AMERICA / GOD BLESS AMERICA. And as president Obama told to all of you including myself: WE CAN DO IT !
      https://www.flickr.com/photos/yes2art/3214143019/in/photolist-dGcu6N-7JFmyu-5U2jJX

  2. Heather Cohn meint

    Nach mehr als dreizehn Jahren als Korrespondentin eines US-Magazins habe ich noch immer nicht das Gefühl, „daheim“ zu sein im Englischen. Ich kann dieses Fremdheitsgefühl für die Sprache gut verstehen, liebe Milena. Noch heute fällt es mir schwer, ein Interview, das ich in deutscher Sprache geführt habe, ins Englische zu übertragen und dabei alle Nuancen reinzupacken, die der Interviewte in unserer so wortreichen Sprache ausdrückte.

    By the way: Mein am häufigsten überstrapaziertes Wort in deutschen Texten ist „allerdings“. Gebe ich das ins Fenster „alle finden“ ein, kommt eine peinlich hohe Zahl heraus.

  3. regenfrau meint

    Liebe Milena,
    hüstel… da hast du einen wunden Punkt bei mir getroffen. „ja, doch, auch, schon, eigentlich, …, „. Ich wollte schon mal eine Liste mit den am häufigsten wieder gelöschten Wörtern machen. :)

    Dein „Neues“? Ist das die Fortsetzung vom „Glück“? Oder die Geschichte von/um Luigi? Ich bin gespannt!

  4. Alice Gabathuler meint

    Du bringst mich zum Lachen!

    Meine Lektorinnen haben bis jetzt noch nie so tief gegraben – ich musste selber dahinterkommen. Mittlerweile ist das Suchen nach bestimmten Wörtern am Ende des Überarbeitungsprozesses zum festen Bestandteil geworden. Deine Wörter sind alle auch auf meiner Liste. Jedesmal. Und nein, ich streich die nicht ersatzlos, nicht einmal die Hälfte davon, aber ich reduziere sie auf eine verdaubare Portion :-) Und ich habe noch etwas gemerkt: Ich finde bei jedem Buch andere Wörter, die ich häufig verwende. Irgendwann im Laufe des Überarbeitungsprozesses beginnen sie mir aufzufallen, dann erstelle ich eine Liste davon und checke sie durch. Das kann beim Aufleuchten der Resultate zu einem halben Herzstillstand oder zu einem Lachanfall führen.

    PS: Ich liebe die Redewendung: „Das macht keinen Sinn.“ Sie ist längst in der gesprochenen Sprache angekommen und deshalb verwende ich sie in meinen Büchern. Weder „Das ist nicht sinnvoll“ noch „das ergibt keinen Sinn“ passen vom Klang oder Rhythmus her in meine Texte.

    Und PPS: Das finde ich klasse, dass du das selber in die Hand genommen hast!

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