Dritte Hürde: Alles Sch… oder was?

In der letzten Folge dieser Mini-Serie über die Hürden des Schreibens hatte ich plötzlich eine Idee, die erste Ahnung einer Geschichte. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn man plötzlich so etwas wie ein Fadenende in den zitternden Händen hält. Ein Gefühl, das sich eigentlich nur mit früher Verliebtheit vergleichen lässt.

Und dann läuft es wie von selbst. Worte reihen sich aneinander wie funkelnde Glasperlen, zu brillanten, druckreifen Sätzen, zu einer glänzenden Geschichte …

Haha!!!! Weit gefehlt! Die Sätzen überschlagen sich, die Bilder purzeln durcheinander, die Figuren taumeln richtungslos herum und tippen kann ich vor lauter Aufregung auch nicht mehr.

Hier zum Beweis ein screenshot meines allerersten Entwurfes:

Und das, meine Lieben, ist die dritte Hürde, die grösste. Die, an der die meisten Schreibenden scheitern. Das ist ja grauenhaft, denken sie nämlich und klappen beschämt den Laptop zu, legen den Stift weg. Sie vergessen, dass der erste Entwurf nicht der letzte ist. Das Einzige, was mich von ihnen unterscheidet, ist meine Erfahrung. Ich kenne diese Hürde, ich habe sie hundertmal, tausendmal, zehntausendmal genommen. Und ich habe es immer wieder erlebt: Wie aus diesem ersten chaotischen Wust von halbgaren Gedanken, unfertigen Sätzen, sprunghaften Bildern und Szenen etwas entsteht. Etwas Neues. Etwas, von dem ich nicht wusste, dass es da ist. Anne Lamott nennt es den shitty first draft und bestätigt: «All good writers write them. This is how they end up with good second drafts and terrific third drafts.»

Was Schreibende von Nicht-Schreibenden unterscheidet, was sie auszeichnet, ist der Mut, diesen shitty first draft zuzulassen. «Kann ich das, bin ich gut genug?», ist nicht die entscheidende Frage, sondern «Halte ich das aus?» Halte ich es aus, dass ich nicht weiss, wo mich die Figuren hinführen. Ob das irgendwann mal «was» wird. Halte ich die Zweifel aus, die Kommentare in meinem Kopf: «Ist das dein Ernst? Was Besseres fällt dir nicht ein? Oh Mann, und du nennst dich Schriftstellerin…Wer soll denn das lesen….» Das sind die Affen, die aufgeregt durcheinander krähen, kaum berühren meine Finger die Tastatur. Ihr kennt das. Wir haben alle ein Affenhaus im Kopf. Nicht nur wir Schreibenden. Wir alle. Die Affen sind nämlich keine objektiven Kritiker, nicht die Stimme unseres Sprachgefühls, unseres literarischen Anspruchs, nein. Sie sind nichts anderes als eine lästige Funktion des menschlichen Geistes, mit der sich zum Beispiel die Buddhisten bereits seit etwa dreitausend Jahren befassen. Wir dürfen sie also nicht persönlich nehmen. Sie haben nichts mit uns und schon gar nichts mit unserem Schreiben zu tun.

Und auch wenn es nicht möglich ist, die Plagegeister loszuwerden, kann man doch lernen, mit ihnen zu leben. Sie nicht mehr ernst zu nehmen. Und sich schon gar nicht von ihnen vom Schreiben abhalten zu lassen.

Ich habe nicht aufgehört. Ich habe die Geschichte geschrieben. Weil ich wusste, dass auf diese ersten wirren Sätze weitere folgen würden, klarere, zusammenhängendere. Wie bei jeder frühen Verliebtheit beruhigt sich auch das galoppierende Schreibherz irgendwann. Und es weiss, wo es hin will.

Um diese große, dritte Hürde zu bewältigen, braucht man also eine gewisse Sturheit und vor allem: Vertrauen.

Vertrauen. Ich weiß. Nicht die einfachste Übung. Auch nicht für mich. Doch Vertrauen kann man trainieren. Es wächst wie ein Muskel bei jedem Einsatz. Und mal ehrlich, was wäre die Alternative?

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2 Kommentare

Kommentare

  1. Sandra meint

    Du warst heute in meinem Kopf, oder? Grad heute Morgen (gut, nicht das erste Mal), sass ich hier und dachte: Alles Mist. Ich kann gar nicht schreiben, das taugt alles nichts.

    Aber ja, ich streichelte mir innerlich übers Köpfchen und schrieb weiter. Manchmal mache ich auch eine kurze Pause und was anderes (nicht zu lange), um dann zurückzukommen und zu merken, wo man was verbessern kann.

    Und nein, der erste Entwurf ist nie das Ende. Auch bei Gedichten nicht. Was ich an Zeilen hin und her schiebe, Wörter auswechsel, umschreibe, umstelle, neu organisiere… das erste Gedicht ist erst mal eine Basis. Und das ist schon viel wert.

    Liebe Grüsse zu dir
    Sandra

    • Milena Moser meint

      Liebe Sandra
      das ist es eben – das Affenhaus ist in all unseren Köpfen. Egal, ob wir Gedichte schreiben (was ich sehr bewundere) oder Romane oder persönliche Berichte oder Kolumnen oder …. Ohne die Basis kannst du kein Haus bauen, kein Luftschloss aufstellen. Sehr schönes Bild! Danke dir.

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