Erste Hürde: Aufgeschoben ist nicht aufgeschoben.

Nicht wirklich. Nicht beim Schreiben. Aufschieberitis gehört ganz einfach zum Prozess.

Da sass ich also und starrte auf mein Telefon, das mir gerade die Warnung geschickt hatte: «Beitrag Anthologie abgeben» Es musste mindestens drei Monate her sein, dass ich dieses Datum in den Kalender eingetragen – und sofort wieder verdrängt hatte. Und jetzt war es da. Einen Moment lang sehnte ich mich in meine beruflichen Anfänge zurück, in die graue Vorzeit, in der man freche behaupten konnte, selbstverständlich habe man den Text pünktlich abgeschickt. Nur, um dann bis spät in die Nacht hinein manisch in die Tasten hauen, sich ein Taxi zur Sihlpost zu leisten, die bis Mitternacht geöffnet war. Und wo man unweigerlich andere, ähnlich zerzauste Freiberufler antraf. Das Aufkommen der Faxmaschine bereitete dieser Ausrede ein jähes Ende…. Ja, ja, ich weiss. Ich bin schon sehr lange dabei. Sehr lange.

Dass ich einen Abgabetermin so komplett verdränge, ist selten. Aber so wirklich in Fahrt komme ich immer erst, wenn er gefährlich nahe gerückt ist. Das kenne ich, das akzeptiere ich und ich mache mir auch keine Vorwürfe deswegen. Denn in meinem ganzen, wie gesagt, bereits recht langen beruflichen Leben habe ich keine einzige kreative Seele kennengelernt, die nicht genau so funktionierte. Es liegt also nicht an uns, es liegt im Wesen der Kreativität. Sie ist es, die diesen Druck braucht.

Man muss der Muse sozusagen die Pistole an die Schläfe setzen. Denn sonst ziert sie sich endlos. Sie erstickt jede Idee im Keim, sie verwirft jeden Satz, jede Formulierung, jeden möglichen Anfang. «Ist das dein Ernst? Was Besseres fällt dir nicht ein? Das hat man doch schon hundertmal gelesen. Blablabla. Banal…» Und so weiter. Daran kann man verzweifeln. Bis plötzlich keine Zeit mehr da ist für solches Hadern und Zaudern. Der Abgabetermin ist verstrichen, die Hauptpost schliesst in zwei Stunden, jetzt gibt es nur noch eins: Schreiben.

Das habe ich zum Glück sehr früh gelernt. Ich habe die Geschichte oft erzählt: Wie ich mit 21 in Paris lebte und versuchte, «das mit dem Schreiben» ernsthaft anzugehen. Jeden Donnerstag traf ich mich mit einer Gruppe von Freunden zum «jour fixe». Es war alles ein wenig prätentiös damals, wir tranken billigen Wein aus dickwandigen Gläsern, wir rauchten und wir diskutierten. Über unsere Arbeit, unsere «Kunst». Die meisten waren angehende Filmemacher. Ich war Schriftstellerin. Das behauptete ich frech, bevor ich auch nur eine Zeile veröffentlicht hatte. Bevor ich es selbst glaubte. «Und was machst du so?» «Ich bin Schriftstellerin!»

Denn das wollte ich sein. Mehr noch, ich spürte, dass ich das war. Ich musste nur endlich anfangen, zu schreiben. Die Tagebücher, die ich mit endlosen Gedankenspiralen füllte, zählten in meiner Vorstellung damals nicht. Ich wollte wieder Geschichten erfinden, wie ich es als Kind getan hatte. So mühelos, wie ich jetzt meine Tagebuchseiten füllte. Mit acht, neun, zehn Jahren hatte ich nicht darüber nachgedacht. Ich hatte es einfach getan. Jetzt war es umgekehrt. Das Schreiben rückte in immer weitere Ferne, je länger ich darüber nachdachte.

Doch ich hielt trotzig an meiner Vorstellung fest und behauptete einfach das, was ich mir wünschte: Dass ich an einem Roman arbeite und «nebenbei» Kurzgeschichten schreibe. Damit kam ich ziemlich lange durch – bis ein junger Deutscher zu unserer Gruppe stieß und fragte, ob er denn mal etwas lesen könne. «Aber ja doch», stammelte ich. Was konnte ich sonst sagen? Ich leerte mein Glas und ging nach Hause. Ich wusste, ich hatte genau eine Woche Zeit um mindestens drei Kurzgeschichten zu schreiben, und wenn möglich ein erstes Romankapitel. Ich schloss mich im winzigen Bad ein, setzte ich mich auf den geschlossenen Toilettendeckel und klappte mein Notizheft auf.

Ich begann zu schreiben.

Es gab nichts anderes mehr. Kein Nachdenken, kein Zögern, keine Zweifel.

So wie jetzt. Doch dann klingelte das Telefon und ….

… Fortsetzung folgt.

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