Es ist November und Leben überschlägt sich.

Das kenn ich aber schon. Das passiert jedes Jahr um diese Zeit. Es hat nichts mit der Konstellation der Sterne oder dem politischen Klima zu tun, sondern ganz allein damit, dass ich mir etwas vorgenommen habe.

Ich mache beim National Novel Writing Month mit. Das heisst, ich versuche, in dreißig Tagen fünfzigtausend Worte aneinanderzureihen. Oder, wie es eine Freundin leicht missbilligend ausdrückt: «Du schwingst wieder mal die Novemberpeitsche.»

Das tue ich seit fünfzehn oder sechzehn Jahren. Erreicht habe ich die geforderte Wortzahl allerdings nur zweimal. Doch jedes Jahr hat diese intensive Phase des Schreibens ohne aufzuschauen, ohne Luft zu holen etwas ausgelöst. Hat eine unausgegorene Idee verfestigt, eine stockende Geschichte wiederbelebt oder über die letzte störrische Hürde geschoben.

Und das, obwohl ich ohnehin jeden Tag schreibe. Aber nicht in diesem Tempo. Die Bedingungen des Nanowrimo fordern eine totale Hingabe an ein einzelnes Projekt. Die Wörter in meiner Kolumne, in meinem Tagebuch, in einem Text wie diesem zählen dabei nicht. Um dieses halsbrecherische Tempo zu halten, muss ich unweigerlich etwas anderes aufgeben. Muss dem Schreiben einen (noch) größeren Platz einräumen, es zu Priorität machen. Ich muss etwas verändern.

Und unweigerlich bäumt sich das Leben dagegen auf. «Wie, du willst etwas nur für dich tun? So weit kommt’s noch!» Es greift Katastrophen aus der Luft und bauscht sie auf. Es wirft mit Forderungen um sich, es legt mir Hindernisse in den Weg, bringt mich zum Stolpern und Zaudern. Kurz, es stellt mich auf die Probe. Die Mittel, zu denen das Leben dabei greift, haben sich im Verlauf der Jahre unweigerlich verändert. Aber der Stoff geht ihm nicht aus. Irgendetwas ist immer. Vor allem im November.

Damit bin ich natürlich nicht allein. Ich kann die verzweifelten Nachrichten meiner Kursteilnehmer schon gar nicht mehr zählen. «Tut mir leid», schreiben sie, «aber kaum hab ich mich angemeldet, ist dies, das und jenes passiert! Und jetzt muss ich mich erst mal um diese dringenden Angelegenheiten kümmern, es ist wohl einfach nicht der richtige Moment…»

Alles gute Gründe. Immer. Das Leben macht keine halben Sachen. Ich fühle durchaus mit. Trotzdem antworte ich immer dasselbe: «Es ist genau der richtige Moment.» Die Tatsache, dass sich das Leben so gegen dieses Vorhaben wehrt, bedeutet ja nur eins: Dass es wirklich wichtig ist. Und diese Hindernisse, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen, sind eine Möglichkeit, dies zu überprüfen. Wie wichtig ist mir dieses Projekt, dieser Kurs, diese Novemberherausforderung? Wie wichtig ist mir mein Schreiben? Wichtig genug, um es auch durchzuziehen?

Denn ideale Bedingungen gibt es nicht. Das weiß ich unterdessen auch. Wer darauf wartet, wird nie ein Buch schreiben. So verweise ich die gerade akuten Katastrophen streng an ihren Platz: Hinter mein Schreiben. Das Leben schmollt erst mal. Es setzt noch einen drauf. «Ach, wirklich? Bist du sicher?», fragt das Leben. «Willst du das wirklich?»

Jetzt bin ich den Tränen nahe. Doch ich stampfe mit dem Fuß auf. «Ja, verdammt noch mal! Ich WILL!»

«Ist ja gut! Man wird doch noch fragen dürfen….» Das Leben zieht die Krallen ein und rollt sich wieder zusammen wie eine satte Katze. Denn nur darum ging es die ganze Zeit: Um diese Verbindlichkeit. Um dieses Versprechen. Um diese unerschütterliche Hingabe. An mein Schreiben, an mich selbst.

Ja, ich will.

Wie es mir dabei ergeht, werde ich in vermutlich eher unregelmäßigen Abständen hier erzählen….

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Leser-Interaktionen

2 Kommentare

Kommentare

  1. Vera Staub meint

    Diese Känpfe als bildende Künstlerin kenne ich nur zu gut! Widerstand um Widerstand. Der erlösende Gedanke nach all den Zweifeln: ah, es scheint sehr wichtig zu sein!
    Merci für den Text!

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