Vor ein paar Wochen sass ich im Atelier meines älteren Sohnes und wühlte in einer Schachtel voller Erinnerung an meine verstorbene Mutter. Da war die Kette mit dem Wolfszahn, die wir zusammen in Santa Fe gekauft hatten. Da waren die Kinderbilder, viele Kinderbilder. Von ihr, von mir, von meinen Söhnen. Mein altes Kochbuch aus der Hauswirtschaftsschule, eine Kette aus geschmolzenen Joghurtbechern. Und da war auch ein Brief, den ich ihr geschrieben hatte, als ich mit Anfang zwanzig in Paris lebte. Ich wusste nicht, warum sie ausgerechnet diesen einen Brief aufbewahrt hatte. Bis ich ihn las.
Der Brief war mein Manifest.
Nach meiner Buchhändlerlehre war ich für drei Monate nach Paris gezogen, um Französisch zu lernen. Ich hatte etwas Geld gespart, eine Wohnung gemietet, einen Koffer gepackt. Doch kaum war ich da, beschloss ich mit dem unbeirrbaren Mut der Jugend, mich ganz dem Scheiben zu widmen. Ich verliess die Sprachschule, die schöne Wohnung im 6. Arrondissement und zog stattdessen in eine Dachkammer am Stadtrand. So konnte ich die die geplanten drei Monate auf fast eineinhalb Jahre ausdehnen. Und drei Romane schreiben.
Davon erzählt mein Brief: Vom Schreiben. Von den unerwarteten Schwierigkeiten, der Einsamkeit, aber auch von der Unausweichlichkeit. Ein Brief, den ich heute, 36 Jahre später, nicht anders schreiben würde
Ich merke, dass man auch schreiben lernen muss, schrieb ich. Ich lerne allein, und das ist nicht immer lustig, aber vielleicht auch gut so.
Damals wünschte ich mir, ich könnte das Handwerk an einer Schule lernen, so wie es bildende Künstler taten. Denn es gab es noch keinen Lehrgang in Literarischem Schreiben. Doch seien wir ehrlich, hätte es ihn gegeben, wäre ich wohl kaum aufgenommen worden. Ich schrieb nicht richtig, ich schrieb nicht schön, ich schrieb nicht, wie es sich für eine Frau gehörte. Ich schrieb nicht «literarisch». Das wusste ich. Aber es interessierte mich nicht. Ich wollte etwas anderes. Ich wollte meine Stimme finden. Meinen Figuren gerecht werden. Die Geschichten einfangen wie Schmetterlinge, ohne ihre Flügel zu brechen.
Ich wollte beweisen, dass man durchaus nicht leiden muss, um zu schreiben – ich hasse das! Dummerweise habe ich vergessen, dass man immer leidet, ob man nun schreibt oder nicht. Und am Ende ist nicht befriedigend, nichts von sich preiszugeben…
Mein Brief rührt mich und er amüsiert mich. Ich schüttle den Kopf über meine Unverfrorenheit und bewundere sie gleichzeitig, und auch diese Verletzlichkeit, die ich fraglos akzeptiere. Und dann diese absolute Gewissheit. Wo zum Teufel kam das alles her?
Leider gibt es keine Sicherheit, und ich hätte gern eine gewisse Sicherheit. Manchmal denke ich, es war doch schön, einen geregelten Tagesablauf zu haben, einen festen Lohn… Aber ich fürchte, ich habe meinen Weg gefunden. Ich habe das starke Gefühl, dass ich nicht mehr zurück kann, nicht mehr aufhören kann.
So ist es bis heute geblieben. Es gibt keine Sicherheit. Jedes Buch ist ein neues Abenteuer. Ein Wagnis. Es gibt keine Garantie, dass es verlegt, verkauft, gelesen wird. Aber es gibt auch keine Alternative. Das ist mein Leben. Das ist, wer ich bin: Jemand, der schreibt. Und das wusste ich offenbar immer schon. Mit einer Klarheit, die ich in anderen Bereichen meines Lebens oft vermisse.
Abgesehen davon bin ich ziemlich sicher, dass ich es schaffen werde (on verra).
On verra. Indeed.
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