Es ist ganz leicht.

lastesel„Warum gibst du dir solche Mühe?“, wird Erika von der dicken Frau gefragt. „Was bringt es? Das Leben sollte nicht so anstrengend sein!“ Das gilt auch für das Schreiben, wie mir letzte Woche wieder einmal bewusst wurde. Nur weil man etwas geschrieben hat, heisst das noch lange nicht, dass man es auch weiss! Seit etwa zwei Jahren schreibe ich in unregelmässigen Abständen Morgengeschichten für Radio SRF 1. Diese Geschichten haben eine vorgegebene Länge, sind im Dialekt verfasst und werden von den Autoren selber vorgelesen. Letztere beiden Punkte waren von Anfang an ein Thema, da ich einen recht ausgeprägten Zürcher Akzent habe und mit hartem R spreche. Ein Bergbauer beklagte sich beim Sender, er höre morgens im Stall beim Melken immer Radio, aber wenn „diese Moser“ rede, dann gäben seine Kühe glatt keine Milch mehr! Ein anderes Problem war die Form. Irgendwie schien es mir nicht zu gelingen, eine Form zu finden, die dem Medium gerecht wurde. Inhaltlich bissen sich die Geschichten mit meiner Kolumne. Ich versuchte es mit inneren Monologe, ich versuchte es mit Beobachtungen und Kommentaren, ich versuchte, etwas zu erfinden. Es harzte, es knorzte. Jede Geschichte ging mindestens drei Mal hin und her, der Redaktor Fritz Zaugg – wer immer hab ihn selig! – und ich haderten mit dem Stoff, kämpften um Sätze, Minuten, Inhalte.

Warum ich weitermachte? Das fragte ich mich manchmal auch. Ich arbeite doch schon genug. Es war eine Form von Verbissenheit, von beruflichem Ehrgeiz – ich finde schon raus, wie man so etwas macht, ich bin ja nicht doof!
Oder doch? Je mehr Mühe ich mir gab, desto weniger gut kamen die Geschichten an. Fritz schlug mir eine Serie von „Hausfrauengeschichten“ vor, die zu schreiben mir gossen Spass machte. Am Radio kamen sie aber nicht an, sie waren zu schwarz. Stimmt schon, der Alltag von Müttern kleiner Kinder ist nichts für schwache Nerven, schon gar nicht vor dem Frühstück! Schliesslich war ich nahe daran, aufzugeben, als Katja Alves zum Abendessen kam und mir von iher Dona Generosa erzählte. Das war es! Eine Figur musste her! Katja war kaum aus dem Haus, da sass ich schon am Tisch, schob das schmutzige Geschirr zur Seite und klappte meinen Laptop auf, so wie man eine Türe weit aufreisst. Und tatsächlich: Frau Müller trat ein. Eine komplett fertige Figur. Ich konnte sie sehen und hören und denken hören. Stärker als jede Romanfigur. Sie hatte ein Umfeld, sie hatte Gewohnheiten, und sie überraschte mich gleich, in dem sie sich verliebte. Auch diese Staffel musste dreimal umgeschrieben werden, aber schliesslich waren Fritz und ich uns einig: Das ist es. Die zweite Staffel von Geschichten mit Frau Müller schrieb sich von alleine – obwohl ich auch die umschreiben musste, aber nur einmal, nicht dreimal. „Jetzt hast du es“, sagte Fritz. Einen Tag, nachdem wir diese Staffel aufgenommen hatten, starb er. Und ich ging auf Reisen. Vorher hatte ich mich, in einem sentimentalen Moment hinreissen lassen, weiterzumachen mit den Morgengeschichten. Aber ich hatte mir eine Pause erbeten. Von unterwegs schickte ich eine dritte Staffel Müllergeschichten, mit der ich den neuen Redaktor beeindrucken wollte. Statt dessen bat er mich, sie noch einmal neu zu schreiben. Sehr freundlich erklärte er mir, was nicht funktionierte. Und mir leuchtete alles ein. Das gibt’s doch nicht, dachte ich. Nach all der Zeit! Nach all den Versuchen! Nach all diesen Aha-Momenten! Hab ich offensichtlich immer noch nicht kapiert, wie man eine Morgengeschichte schreibt. Vielleicht ist es einfach nicht mein Ding, dachte ich. „Ich glaub ich geb’s auf“, sagte ich. Und nur weil der Redaktor mich so schockiert anschaute, versprach ich ihm, es noch einmal zu versuchen. Ein einziges Mal. Diese letzten Folgen sollte ich in der Woche meiner Buchpremiere abgeben, die traditionell von Terminstau und Nervosität geprägt ist. Nicht die besten Voraussetzungen. Aber wenn ich ehrlich war, glaubte ich gar nicht mehr daran, „es“ noch hinzukriegen. Mit diesen Morgengeschichten. Also setzte ich mich einfach hin und schrieb einfach.  Nicht schludrig, nicht lieblos, nein, denn ich liebe Frau Müller und den Ernst ihres Lebens. Aber ich gab mir keine Mühe mehr, die einzelnen Stränge kunstvoll ineinander zu verwegen, eine zweite Ebene zu finden, gar den Redaktor zu beeindrucken oder zu überzeugen. Ich wollte nichts erreichen. Ich schrieb einfach sechs Momentaufnahmen, ganz unterschiedliche Szenen, eine nach der anderen, zack, zack, zack. Während des Schreibens bekam ich wieder Spass an der Sache und ich beschloss, Frau Müller auf jeden Fall leben zu lassen, wenn auch nur in meinen Notizen.

Dann kam die Antwort: „Das ist es!“ Bis auf eine Zeile, die der Computer geschluckt hatte, musste nichts geändert werden. „Was ist passiert?“, wollte der Redaktor wissen und schaute etwas irritiert als ich sagte: „Ich hab mir einfach keine Mühe mehr gegeben!“

Dabei meinte ich nur das: Das Schreiben – wie das Leben – sollte nicht so anstrengend sein. Sonst macht man etwas falsch.

 

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11 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    @Milena: „Ich glaub ich geb’s auf.“ Ob das wohl das Zauberwort ist?
    Als mein Sohn geboren werden sollte, war ein strahlend schöner Oktobertag. Das Spitalzimmer, in dem ich lag, hatte keine richtigen Fenster. Ich erinnere mich an geriffeltes Glas, hinter dem sich der blaue Himmel und die farbigen Bäume schemenhaft abzeichneten, und dass ich mich darüber ärgerte, keine klare Sicht nach draussen zu haben. Schon speziell: Da lag ich in den Wehen, und heute weiss ich nichts mehr davon, ausser, dass ich mich über geriffelte Fensterscheiben aufregte. Wozu dann all die Schmerzen??, frage ich mich, was hat das für einen Sinn? Aber darum geht es mir hier nicht. Mir geht es um den Augenblick, als ich aufgab.
    Um acht Uhr abends sagte die Hebamme: „Na, das wird wohl heute nichts mehr! Machen wir morgen weiter.“
    Wie sie sich das vorstellte, weiss ich nicht. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht. Kann man eine Geburt einfach so unterbrechen, nur weil es Abend wird? Mir war morgens um fünf Uhr das Wasser gebrochen. Seither hatte ich Wehen. Wollte sie das Licht löschen und gute Nacht sagen? So, dann schlaf mal schön …
    Keine Ahnung. Jedenfalls glaubte ich ihr. Nein! Das kann nicht sein, dachte ich. Ich war sicher, noch einmal so einen Tag würde ich nicht ertragen. Aber dann hätte ich doch erst recht kämpfen müssen! Damit es vorbei gewesen wäre, am nächsten Tag –
    Verrückt: Ich hatte das Gefühl, keinen weiteren solchen Tag aushalten zu können und zweifelte gleichzeitig keinen Moment daran, dass genau das unumgänglich war, nämlich einen weiteren solchen Tag erleben zu müssen. Ich gab sofort auf. Nur, weil eine Hebamme behauptet hatte, heute würde das wohl nichts mehr. Was bin ich nur für ein komischer Kauz??

    Zwei Stunden später war das Kind da.
    Und Ende nächsten Monat wird es heiraten. :-)
    Ich kann nur den Kopf schütteln. Nicht, weil er heiraten will, das freut mich von Herzen.
    Nur, dass seit jenen siebzehn Stunden, die ich hinter dem geriffelten Fensterglas verbracht habe, schon vierundzwanzig Jahre vergangen sein sollen –

    Liebe Grüsse
    Regula

  2. Felix Hutter meint

    Liebe Milena,
    herrlich, so offen, so mutig, Dein Bericht über Deine Schreiberei, Dein Suchen und Versuchen! Ich bin ehrlich beeindruckt. Schliesslich bist Du ein Promi, erscheinst mit Deinen Texten in Zeitschriften und bist in allen Buchhandlungen anzutreffen. Wer kann das schon von sich behaupten?! Nichtsdestotrotz öffnest Du Dich dem Publikum und zeigst Dich menschlich, hast den Mut zur Unvollkommenheit. Cool!
    Denn, geht es uns nicht allen so im Leben, mal mehr, mal weniger?! Sind wir nicht alle am Suchen des stimmigen Weges, des Richtig oder Falsch, des Zuviel oder Zuwenig?! Ist es nicht für uns alle ein ständiges Austarieren zwischen Anstrengung und Lockerheit, Anspannung und Loslassen, Nähe und Distanz!? Und gerade wenn man(n) oder Frau es (allen) recht und toll machen will, wird’s schwierig. Der Flow ist „am Arsch“ und die Lockerheit geht flöten, trotz aller Anstrengung. ;-) Nun ja, und kaum einer gibt’s zu, dass es oft so anstrengend und bemühend ist, alles irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Schliesslich darf in unserer Zeit der allumfassenden Show, des Diktats der Vollkommenheit, der Suche nach dem Superstar und dem Erfolg auf keinen Fall die Maske der Oberflächlichkeit fallen… Also: Danke für Deine Offenheit! Das tut gut! Auch wenn der eine oder andere Schlaumeier das Ganze offensichtlich nicht so wirklich kapiert…
    Weiter so, Du machst uns Mut!
    LG
    Felix

    • Milena Moser meint

      @ Felix: Danke, das ist die Idee dieses Blogs. Er entstand aus dem Bedürfnis, meine Leser, aber mehr noch andere Schreibende an meinem Prozess teilhaben zu lassen, diesen zu entmythisieren.

  3. Konrad Staudacher meint

    Hallo Milena

    Du schreibst umwerfend mit oder ohne ‚Figur‘.

    Doch ich hätte schon auch eine kleine Anregung anzubringen: Dein Text oben kommt daher wie bei Thomas Mann, kein Anfang und kein Ende.
    – Bitte strukturiere in Zukunft, hebe die Themen und ihre Hierarchie doch etwas hervor. Wie vorliegend gezeigt geht das auch mit einem so primitiven Texteditor wie jenem in Facebook … (natürlich würden Textattribute für die Titel im Text weiter helfen).
    – Ich nenne das thematisches Visualisieren. Es bringt dir beim Schreiben und mir beim Lesen ganz erhebliche Vorteile :-).

    Gruss Koni

  4. Felix von Wartburg meint

    Genau das ist es: «Ich habe mir einfach keine Mühe mehr gegeben!» Ich schreibe sehr viel, beruflich und privat, für andere und für mich. Wirft man mir drei Worte an den Kopf, dann mache ich eine Geschichte daraus. Wenn mir Schreiben Mühe machen würde, würde ich sofort damit aufhören. Wenn ich Menschen beobachte, erfinde ich deren Geschichte. Liebe Milena Moser. Danke für diese wunderbare Erkenntnis. Ich wäre selbst nie drauf gekommen.

  5. Sabine meint

    Find ich prima, und es steckt viel Wahrheit darin, je nach Lebenslage. Wenn es zu mühsam ist, dann stimmt was nicht. Es fehlt entweder der Sinn dahinter, oder man ist derzeit nicht in der Lage, die geforderte Aktivität zu schultern. Plan B ist gefragt. Danke vielmals für den Hinweis, und liebe Grüße aus dem schattigen Rheinland :-)

  6. Margot S. Baumann meint

    Dieses Phänomen ist mir gut bekannt. Je mehr wir uns Mühe geben, gefallen zu wollen, bestrebt sind, nichts falsch zu machen, desto mehr geht’s in die Hose – wirkt verkrampft, bemüht, manchmal sogar lieblos. Im Bestreben, unser Bestes zu geben, verlieren wir die Leichtigkeit. Eine frustrierende Sache. Dahin gehend können wir von unseren „welschen“ Mitbürgern noch Einiges lernen. Ein wenig Nonchalance und das Vertrauen in das, was wir tun und können, hilft über die „Muss-unbedingt-originell-und-tiefgründig-Wand“ hinweg. Allez hopp! :-)

    • Isabel meint

      ….und stimmt es, dass Leidenschaft Natur
      Bedeute im guten und im bösen
      Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur
      Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen.
      (Joachim Ringelnatz: Es lohnt sich doch)

      Die Leichtigkeit entsteht oft gerade durch den Gegensatz – durch die Beharrlichkeit, Dinge wieder und immer anders zu probieren, überrascht sie auf beglückende Weise. Wenn immer alles leicht und auf Anhieb gelingen würde, wäre die Freude darüber nur halb so gross….

      Liebe Grüsse (und schön, dass du wieder da bist)
      Isabel

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