Auf der Suche nach der verschwendeten Zeit

Magdalena: If I thought it helped I would bow out of the competition. But since I don’t believe it would make any difference AND since you’re old enough to know what you need or want – at least!! – I’ll keep writing the 2,000 words a day. And I’ll be grateful to you that this finally got me over the immense block.

Milena: Ah, ich wusste doch, es gibt einen Grund für diesen Wahnsinn! Diesen Sommer lese ich endlich dein neues Buch!

Ich hingegen, ich strecke alle Viere von mir. Ich tue nur noch das Nötigste. Ich liege auf dem Sofa, bastle an einer Morgengeschichte, mein Kopf fällt nach unten, ruckartig reisse ich ihn hoch. Abends werfe ich eine Handvoll Medikamente ein und steige in den Zug zur nächsten Lesung. Alles, was nicht sein muss, sage ich ab. Tagsüber schlafe ich immer wieder ein, manchmal im Sitzen, mit dem Computer auf den Knien, manchmal lege ich mich auch mitten im Tag ins Bett. Draussen scheint endlich wieder die Sonne. Ich mache die Läden zu. Ich lese ein Buch, in dem sich eine Frau, die jahrelang krank im Bett liegt, mit einer Waldschnecke anfreundet, die in einem Blumentopf findet. Klingt nicht besonders spannend, ist aber ungeheuer faszinierend – ein kurzes Buch, das die Zeit ganz lang macht. Als sei sie endlos. (Das Geräusch einer Schnecke beim Essen, von Elisabeth Tova Bailey.) Sie beobachtet die Schnecke, wie sie über den Rand des Blumentopfes kriecht, wie sie mit ihren Fühlern ein Blatt untersucht, wie sie ein quadratisches Loch in einen Briefumschlag nagt. Jeder, der nicht bewegungsunfähig im Bett läge, würde irgendwann wegschauen, und tatsächlich kündigt sich die Besserung ihres Zustandes damit an, dass das Alltagsleben der Schnecke die Autorin zu langweilen beginnt. Bailey sagt etwas Interessantes: Die Krankheit (ein mysteriöser Virus) hat ihr alles genommen. Das einzige was sie noch hat, ist Zeit. Endlos Zeit, mit der sie aber nichts anfangen kann. Ihre Freunde hingegen, das stellt sie bei ihren Besuchen fest, ihre Freunde haben alles, nur keine Zeit. Sie würde ihnen gern etwas abgeben. Nur wie?

Da bleibe ich hängen. Da verhaken sich meine Gedanken. Breiten sich Seiten über Seiten aus, verheddern sich – viele der Zeichen, die ich unten aufliste, setzen sich so zusammen: Herrgott, Moser, musst du immer wieder gegen dieselbe Wand rennen? Wie blöd bist du eigentlich? Das weiss ich doch alles schon: Zeit lässt sich nicht übetragen, nicht sparen, nicht aufhäufen für später, Zeit ist hier und jetzt. Blablabla. Im Kopf ist mir alles klar, aber wenn ich genau hinschaue – mir die Zeit dazu nehme -, merke ich, dass ich tatsächlich so lebe, als könne ich Zeitschulden abarbeiten, ein Zeitkonto wieder auffüllen, Zeit sparen für später. Ohne es zu merken, habe ich mich in einer Art buchhalterischen Wahnvorstellung eingenistet,die mir verspricht, ich würde eines Tages ALLES GESCHAFFT haben und könne mich dann, aber erst dann, zurücklehnen. Unglaublich. Ich hatte wirklich, ehrlich gedacht, ich sei schon weiter.

Eine Freundin gibt mir den einfachen Rat, meine Schreibzeiten festzulegen. Mindestens für meine Aufträge. Auch wenn ich im Kopf weiterschreibe, kann ich so wenigstens versuchen, die Zeit dazwischen Zeit sein zu lassen. Ich lasse meinen Miniaturcomputer zuhause, steige ohne Notizfheft in den Zug, fühle mich seltsam. Amputiert. Ich nehme das Handy aus der Tasche und stecke es wieder weg. Schaue aus dem Fenster – draussen ist nichts. Dunkel. Am nächsten Morgen schleife ich meinen schniefenden hustenden Körper zurück ins Zendo, setze mich auf mein Kissen und lasse die Minuten Minuten sein. Dann gehe ich wieder ins Bett.

Magdalena: Sunday: nothing, Monday 2,000, Tuesday, 2,300

Milena: Montag Null, Dienstag 11’800, Mittwoch 4678

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

8 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    Der Augenblick :-) ist mein –
    oder auf was für sonderbare Gedanken man kommen kann, wenn man seine Sommerferien im Kloster verbringt …

    Mariastein, am 6. August 2009:

    Ich und die anderen

    Etwas ist in diesen Tagen in Ordnung gekommen
    Endlich-

    Von dem Zwiespalt

    Ich und die anderen
    Die anderen und ich

    Die anderen und ich und die Zeit
    Meine Zeit

    Meine Zeit?

    Du bist egoistisch,
    höre ich manchmal
    lese ich,
    spüre ich
    Du bist egoistisch
    selbstsüchtig
    während andere
    in Afrika
    hier unter uns
    arm sind und bedürftig
    Sagen sie, die anderen
    Und dann würgt es mich
    Und ich weiss nicht, warum-

    Ja, die anderen
    Schwer lasten sie auf meinen Schultern
    Hängen an meinem Rücken
    Und haben – natürlich – recht:
    Ich bin egoistisch
    Lebe fröhlich und im Sonnenschein
    Nutze meine Zeit, koste sie aus, nähre mich von ihr
    Während …
    Sagen sie, und ich glaube ihnen
    Und es würgt mich, weil ich nicht weiss …

    Andrerseits-
    Niemand käme auf die Idee,
    mich selbstsüchtig zu nennen,
    nur weil ich die Kartoffeln,
    die auf meinem Stück Acker wachsen,
    ernte und esse

    Im Gegenteil:
    Wenn ich sie verfaulen liesse,
    würde jeder sagen:
    „Was für eine Verschwendung!“
    Und niemand käme auf die Idee,
    seine eigenen Kartoffeln faulen zu lassen
    und sich dafür
    – heimlich nachts –
    auf meinen Acker zu schleichen,
    um sich dort gütlich zu tun.
    Was für ein sinnloser Aufwand wäre das,
    denkt man!

    Nur: der Vergleich hinkt!
    Kartoffeln sind Kartoffeln
    Aber Zeit ist Zeit!
    Von den Kartoffeln meines Nachbarn kann ich satt werden
    Von der Zeit, die nicht meine Zeit ist, aber,
    werde ich niemals satt
    Jeder hat seine eigene Zeit
    Jahre, Tage, Stunden, Sekunden
    Kauft eure Zeit aus!
    heisst es in der Bibel
    Seid nicht, wie die unwissenden Leute!
    Kaufen–
    Es gibt nichts gratis
    Schaut, prüft, redet, entscheidet
    Lasst euch euren Zeitladen nicht ausräumen,
    sonst werdet ihr verhungern

    Und euer Zeit-Dieb
    auch –

    Ich zog dann wenige Wochen nach meinem Aufenthalt in Mariastein aus und richtete mich in meinem Büro ein. Es ist die Geschichte mit dem Leiterwagen. Einige von euch kennen sie, sie steht in den Brugger Neujahrsblättern 2012.

    Und ja, ich gebe es zu: Der Begriff „Zeit-Dieb“ ist geklaut. Er stammt aus Michael Endes Weltbuch „Momo“.
    Die „Zeit-Diebe“ waren diese Herren im grauen Anzug und mit Melone, die immer Zigarren rauchen mussten, weil sie sich sonst in nichts auflösten.

  2. Jakob meint

    Bei aller Liebe, liebe Milena, heute muss ich dir widersprechen. Du sprichst von Zeit, meinst aber Leistung. Zeit hast du in dir, die musst du weder speichern noch anhäufen. Deine Zeit ist lediglich begrenzt vom Zeitpunkt deiner Geburt und deinem Todeszeitpunkt. Dazuwischen liegen, zumindest statistisch ca. 2’806’704’000 Zeiteinheiten, welche wir Sekunden nennen. In deinem Speicher sind fast die Hälfte davon noch enthalten. Also etwa eine Milliarde davon. Weshalb nur willst du noch mehr davon speichern können?
    Nun ja, ich glaube deshalb, du sprichst nicht von der Zeit, die du zusätzlich speichern möchtest, als vielmehr davon, was du alles noch tun möchtest. Oder ist es mehr der ungeplante Augenblick, der dich zum Nichtstun verdammt? Yoga auf Befehl, sozusagen?
    Müssten wir uns nicht mal darüber unterhalten, was eigentlich „tun“ ist? Meiner Meinung nach ist die einfachste Erklärung dieses Wortes bzw. dieser Tätigkeit das was wir alle tun: Leben! Du zum Beispiel gibst uns viel mit deinen Worten, und zwar in der dir zur Verfügung stehenden Zeit. Andre, die bringen ihre Erzeugnisse in die Migros, wo wir sie beziehen können, um unser „ÜberLeben“ zu sichern. So leben wir als Gruppe, in der wir, ohne es zu merken, alle dazu beitragen, dass wir „tun“ können. Auffallend wird dies erst, wenn du einem Menschen zuhörst, der vor einhundert Jahren oder früher gelebt hat. Ein Mensch der nicht das Vergnügen gehabt hat, sein Überleben in der Migros zu sichern. Nein mit Hacke musste er am Morgen auf den Acker sich begeben, um die Kartoffeln auszugraben, die am Abend sein kärgliches Mal sein würde.
    Hmmm… haben wir da nicht gelernt, uns Zeit zu schenken? Wenn ich für dich des Morgens auch Kartoffeln ausgrabe – also die doppelte Zeit den Acker umhacke… so schenke ich dir dann nicht einen Teil „meiner“ Zeit. Oder nicht?
    Dafür muss ich dann am Abend mir keine Geschichte ausdenken… und kann mit Freude an dich denken!!
    Alles Liebe und ganz viel Zeit!! Jakob

    • Jakob meint

      Liebe Anke
      Gerne würde ich nun lesen, was Milena zu deinem Text zu sagen wüsste. Ich meine die ersten Zeilen davon… dass nun im Frühling die Vögel wieder zu hören sind, das wissen wir doch schon alle (… nicht böse sein, liebe Anke!).

      Nein, aber ernsthaft. Da möchte ich mich für deine Worte bedanken. Habe auch schon so was ähnliches gedacht, nur so schön ausdrücken, das konnte ich bis jetzt noch nicht… ;-))

      Es ist natürlich schon eine ernsthafte Frage, und ich sage dir, so einfach beantworten kann ich sie selber nicht. Bin ich eine Figur, ein Traum, was Reales oder doch eher nur ein Gedanke einer Freundin irgend einer Person. Du kennst ja sicherlich auch die Fiktion zwischen dem erlebten Traum, den du in den neuen Morgen hinein nehmen kannst. Etwas bei dem du fast nicht erkennen kannst, was der Unterschied im Empfinden des Erlebten sein kann. Etwas bei dem du erst nach einem mehrmaligen Kopfschütteln zu glauben meinst nun doch in der realen Welt zu sein.
      So ähnlich geht es mir zu bestimmen, in bzw. aus welcher Welt ich zu kommen scheine. Eine Garantie habe ich noch nicht gefunden, das richtige zu erkennen. So gesehen, dürfte einzig die Kombination zwischen dem Erlebten und dem was du, aus der Sicht einer Betrachterin aus der Aussenwelt von mir zu erkennen glaubst, ein Ansatzpunkt dazu zu sein, eine Ableitung in Bezug auf diese deine Frage zu wagen.
      Ich weiss es nicht, ob ich bloss eine Figur bin oder zu einem Teil der Realität geworden bin. Letzteres glaube ich zwar, aber was ist schon glauben….
      Was ich aber mit Sicherheit weiss, dass ist, dass ich männlich bin. Dies könnte ich sogar ganz einfach und sehr sicher Beweisen…

      Danke für deine schönen Worte! Ich fühle mich geschmeichelt…
      Dein Jakob

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Jakob: Du hast natürlich Recht, eigentlich ist der Gesang der Vögel im Frühling etwas Selbstverständliches.
      Aber können wir denn wirklich darauf zählen, dass das immer so bleiben wird? Also, wenn ich an den Super-Gau denke, an die Giftgas-Katastrophe oder auch nur an das Klima-Durcheinander, dann bin ich ehrlich gesagt mehr als dankbar für jede Vogelstimme, die ich noch höre!
      Ich wünsche dir einen ganz schönen Frühling!
      Herzlichst
      Regula

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Anke: Also, Baron von Trappen ist es sicher nicht, der heisst nämlich LORENZ :-)
      Liebe Grüsse
      Regula

  3. Isabel meint

    Die Pusteblume
    Haucht ihren Schirmchen die Bestimmung ein
    Bevor sie sie
    In den Frühlingswind entlässt.
    Die Flügelsamen
    Lassen sich wirbeln
    Sammeln unterwegs
    Das Zwitschern eines Vogels
    Das Gaukeln eines Schmetterlings
    das Schreien eines Raubvogels vor dem Todesschlag
    Das Erstarren der Beute angesichts der Gefahr.
    Hören nicht auf zu taumeln denn
    Es ist nicht in ihnen
    Zu steuern
    Wohin sie fallen.
    Dann
    Setzen sie auf
    Auf kargen Boden
    Auf fruchtbaren Boden
    Wachsen
    Und wachsen und blühen
    Ohne
    Zu wollen.
    Im Verblühen
    Im sich gehen lassen
    Geben sie weiter
    Was sie verstanden haben.

    • Barbara meint

      So schön!!! Habe mir deine Zeilen genüsslich auf der Seele zergehen und mich von den Schirmchen in eine wohltuende Ruhe schaukeln lassen … Und: Die Pusteblume hat für mich seit vielen Jahren eine ganz besondere Bedeutung. Deshalb habe ich sie damals für meine website und für mein logo aufgenommen. Danke, liebe Isabel, für diese sinnliche Lücke.

  4. Karin meint

    Liebe Milena,
    erst einmal gute Besserung. Der Faktor Zeit. Mir geht es da wie dir, vom Kopf her weiß ich es. Ich schaffe es sogar einmal über ein paar Wochen mich nur in meinem Tempo zu bewegen, doch dann kommt ein Anstoß von außen und ich werde wieder hinein gerissen. Will eigentlich nur einmal kurz im Schwarm der kollektiven Hektik mit schwimmen und stelle fest, dass es nicht meines ist. Dann will ich entschleunigen, aber bevor das geht, muss ich gegen den Strom schwimmen und paddeln um wieder aus dem Strudel zu kommen. Wenn ich da dann wieder angekommen bin, geht erst einmal gar nichts mehr. Meistens steht dann die nächste depressive Phase an. Dann sitze ich im Loch und warte. Mittlerweile begreife ich diese depressiven Phasen, in denen ich mich zu nichts aufraffen kann, als von der Seele verordneten Zwangsurlaub mich um nichts zu kümmern. Trotz der Erkenntnis sind diese Phasen nur schwer zu ertragen, aber was soll es? Gegen an kämpfen ist noch kräftezehrender und nutzlos. Also aussitzen. Sich Zeit lassen.
    Alles Liebe Karin

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.