Aus meinen Augen, aus meinen Händen

Also. Es ist auf dem Weg. Das Buch. Das ist, wie wenn man sein Kind zum ersten Mal allein zur Schule gehen lässt: Man blickt ihm voller Sorge nach, auch voller Stolz, man hofft, dass es nicht ausgelacht oder verprügelt wird, gar überfahren – man darf nicht zu viel denken, darf sich nichts anmerken lassen, das Kind dreht sich noch einmal um und winkt, und dann macht man das Küchenfenster zu. So.

Da bin ich jetzt. Die Montagsmenschen sind unterwegs. Manchmal mit mir, manchmal ohne mich. Mein Lese-Exemplar mit allen Anmerkungen und Bleistifststrichen habe ich nach der Buchpremiere auf den Signiertisch gelegt, und irgendwann muss ich es unterschrieben und jemandem in die Hand gedrückt haben. Am nächsten Abend, in Gelterkinden, musste ich mir ein neues Exemplar geben lassen. Dort wollte ich auch eine Kolumne vorlesen, ich wusste genau, welche, sie erklärt, dass und warum ich selber selbstverständlich auch ein Montagsmensch bin. Die Kolumne ist aber gar nicht in dem Buch drin. Das musste ich nach langem Blättern und studieren des Inhaltsverzeichnis schliesslich auch einsehen. Somit hatte sich das Vorlesen auch erledigt, denn ich hatte meinen Punkt bewiesen. Vorgespielt, statt vorgelesen. Nur, dass es nicht gespielt war. Das Publikum hat es nicht nur verstanden, sondern auch verziehen. Und die Frage, ob ich denn wirklich so schusselig sei, wie ich mich beschreibe, ich wirke doch ganz souverän, wurde diesmal nicht gestellt.

Nach dem ersten Schultag, ich meine der Buchpremiere, wurde ich sofort krank. Der Signiertisch hatte neben einer offenen Tür gestanden, das Kleid, dass ich auf der Bühne getragen hatte, war dünn. Vielleicht wäre ich aber auch so krank geworden. Es gehört sich irgendwie. Nachdem man eine solche Hürde genommen hat, kann man sich doch nur noch hinlegen. Allerdings hatte ich noch zwei Kurstage.  Schniefen und Schreiben. Und da passierte es. Während die Bleistifte über das Papier kratzten, die Köpfe sich über die Seiten senkten, schlich sich Erika wieder zurück zu mir. Sie setzte sich neben mich, ordnete umständlich ihren Mantel (von Burberry, Roland!), mit viel beledigtem Geraschel, „ich will ja keine Umstände bereiten, ich weiss, du hast Wichtigeres im Kopf“. Aus der rechten Seitentasche ragte der Hals einer kleinen Wodkaflasche. 6188 Zeichen.

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8 Kommentare

Kommentare

  1. Barbara meint

    Darf man die Figuren eigentlich um Hilfe bitten? – Ich mache es heute: Liebe Selma, lieber Marius, liebe Hanna, holt mich bitte bitte bitte heraus aus dieser Welt von Bewerbungsgesprächen, aus diesem schonungslosen Rede-und-Antwort-Stehen, heute sogar unter dreifacher Beobachtung: Wir schauen gut hin, Frau … Wir werden Sie entlarven, wenn Sie etwas sagen, was nicht stimmt. Wir wollen alles von Ihnen wissen. Aber treten Sie uns mit Ihren Fragen bloss nicht zu nahe. Wir überraschen Sie mit einer kleinen Übung, Frau … Leider war ihre Lösung zu gut. Konkurrenz im Team können wir nicht gebrauchen. Wir wollen die Besten. Aber die Besten dürfen nicht so gut sein, wie die, die schon bei uns arbeiten. Das stimmt dann wenigstens mit dem Lohn überein. Die Besten können wir nämlich gar nicht bezahlen. Aber das sagen wir nicht. Wir sagen. Ihre Lohnvorstellungen sind zu hoch Frau … ajajaj …
    Meine drei Figuraen sitzen auf einer Bank vor mir, samt Foxterrier Leopold (glatthaarig) und dem roten Kater Ludvig. Sie sitzen in einer Reihe vor einer Holzwand und hören mir zu. Dann schauen sie sich an, die zwei Frauen und der Mann. Wer beginnt?
    Also. Marius gibt zu, dass er dem Schönheitschirurgen ähnlich sieht, den ich unlängst in einer Sendung auf RTL gesehen habe. Ja, er hat auch so ein jugendliches Gesicht, ja, er hat auch so gewellte kinnlange Haare und ja, die Haare sind für sein Alter bemerkenswert grau. Aber ansonsten hat er mit einem Schönheitschirurgen nichts gemeinsam. Rein gar nichts. Er ist vermutlich etwas älter als der Schönheitschirurg im Fernsehen, aber das lässt sich nie so genau sagen, wie alt die Vertreter dieser Berufsgattung sind. Sie leben nach dem Motto „unser tägliches Botox gib uns heute“ und an besonderen Tagen noch ein Schnittchen hier und ein Schnittchen da, wieviel Silicon darf es denn sein? Darf es ein auch bisschen mehr sein? Sonst lohnen sich die tagelangen Schwellungen im Gesicht ja gar nicht, Frau …
    Marius hat keine Brusthaare. Kein einziges. Eine Brust wie ein Jüngling. Von Natur aus. Selma mag das. Sie streicht ihm gerne über die glatte, weisse Haut. Michelangelo hätte dich als Modell genommen, sagt Selma. Deine Brust, deinen runden Hintern, die gewellten Haare, dein jugendliches Gesicht mit dem festen, klaren Blick. Dieses Hinschauen. Neugierig. Ungehemmt. Marius ist 41. Selma 49. Hanna 62. Leopold 5. Über Ludvig gibt es keine Information.
    Selma lehnt an der Hauswand. Sie trägt ihren weissen Labormantel und die roten Kniestrümpfe. Eine Sonnenbrille. … Irgendwann steht Hanna auf, mit ihrer selbst gedrehten Zigarette und sagt, tja, worüber wollen wir uns denn unterhalten? … Die Figuren helfen, vielen Dank!! Es ist wohltuend, nach einem Tag wie heute bei euch zu sein. Und es ist wohltuend, nach einem Tag wie heute in diesen Blog zu flüchten.
    Einen herzlichen Gruss an alle Schreibenden.
    PS: Anke, wo bist du? Schon lange nichts von dir gelesen. (-:

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Barbara:
      Schon wieder.
      Ich habe meinen Praktikumsbericht bekommen. Man attestiert mir Geduld und gute Beobachtungsgabe, schätzt meine Zuverlässigkeit und Aufmerksamkeit. Ich halte mich an die Hygienevorschriften und überschreite meine Kompetenzen nicht.
      Aber: „Uns fehlt etwas der humorvolle Tonfall. Die Praktikantin wirkt zum Teil eher distanziert im Umgang mit dem Bewohner. Traut sich wenig zu. Hinterfragt ihre Handlungen, dabei bleibt manchmal die Spontaneität und die individuelle Anpassung an den Bewohner auf der Strecke.“
      Die Schwestern, die mich im Praktikum betreut haben, schreiben nur, was sie sehen. Sie meinen es gut, und sie haben Recht.
      „Sie halten einen auf kühler Flamme!“, schrieb einer der Verleger, denen ich meine Lea-Geschichte geschickt hatte. Auch er meinte es gut, und ich war ihm sehr dankbar, dass er sich so genau mit dem Manuskript auseinandergesetzt hatte.
      Trotzdem: Es schmerzt. Manchmal denke ich, ich könnte mich nackt ausziehen und immer noch distanziert wirken!

      Heute ist Samstag. Das Wetter ist unwiderstehlich schön. Ich beschliesse, ein paar Einkäufe zu machen und dann spazieren zu gehen. In der Buchhandlung kaufe ich zwei Bände mit humorvollen Gedichten. Kästner und Busch. Die alten Menschen lieben es, wenn ich Gedichte vorlese, und wozu nehme ich schliesslich Sprechunterricht?! Ein Büchlein mit Frühlingsgedichten bekomme ich gratis dazu, es gibt gerade eine Frühlingsaktion, drei für zwei.
      Ich bringe meine Einkäufe nach Hause und ziehe die Wanderschuhe an. Die Frühlingsgedichte packe ich in den Rucksack. Es ist einer der Tage, wo man immer weiter geht. Eigentlich wollte ich nur das kleine Buchsbäumchen besuchen, das ich im Herbst vor einem Jahr auf den Brugger Berg verpflanzte, weil es sich im Topf auf meinem Balkon offensichtlich nicht mehr wohl fühlte, aber dann kann ich nicht genug bekommen von der frischen, kühlen Luft, vom Duft des eben erst geschlagenen Holzes, vom klaren Blau des Himmels zwischen den kahlen Baumwipfeln. Ich steige von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt. Den „Hexenplatz“, von dem aus man einen schönen Blick auf die Stadt hat, lasse ich links liegen. Beim „Alpenzeiger“ verweile ich nicht lange, die Alpen sind heute nur als Schemen im fernen Dunst zu erkennen. Je höher ich komme, je tiefer verschneit sind die Wege. Ich hätte Stulpen anziehen sollen, aber mit solchen Schneemengen habe ich nicht gerechnet, und so schaufle ich jetzt mit jedem Schritt eine weitere nasse Ladung in meine Schuhe. Sei’s drum. Ich freue mich über die Spuren von Wildschweinen und Rehen, die meinen Weg säumen, sie kommen mir vor wie ein ganz besonderes, persönliches Geschenk. Der Wald auf dem Brugger Berg ist gut durchschaubar, man findet sich leicht zurecht. Ich habe ihn schon als junges Mädchen geliebt. Trotzdem passiert es mir hie und da, dass ich mich auf dem Weg zu meinem Lieblingsplatz verlaufe. Diesmal finde ich ihn aber auf Anhieb. Jemand scheint kürzlich die Wanderwegzeichen erneuert zu haben, goldgelb leuchtend heben sie sich von den dunklen Stämmen ab. Die Holzbänke und Tische auf meinem Platz sind mit einer dicken Schneedecke versehen, die Feuerschale erstaunlicherweise nicht: Ich könnte ein Feuer machen. Manchmal, wenn es mir sehr schlecht geht, mache ich hier ein Feuer und führe ganz für mich allein ein kleines Privathexenritual durch. Dann schreibe ich das, was mich plagt auf einen Zettel und verbrenne ihn feierlich. Zum Beispiel das schlechte Gewissen, weil ich meinen Mann verlassen habe. Grundlos und böswillig wie er findet. Momentan koste ich ihn nur noch und er hat nichts davon. Das gefällt ihm begreiflicherweise nicht. Dass ich mich nach der Scheidung selber erhalten muss, hat mit ihm nichts zu tun, das ist einfach so, wenn man gesund und arbeitsfähig ist, was ich bin.
      Vielleicht war mir deshalb im Praktikum nicht so sehr ums Lachen, und ich traute mir weniger zu, als vielleicht möglich gewesen wäre. Was, wenn ich jemanden fallen gelassen hätte, nur weil ich demonstrieren wollte, wie selbständig und tüchtig ich schon bin? Dann wäre meine Karriere als Pflegehelferin vorbei gewesen, bevor sie begonnen hätte! Beim blossen Gedanken daran packen mich Existenzängste, obwohl sich dank meiner Genügsamkeit und meinem haushalterischen Geschick in den zwanzig Jahren Ehe einiges angespart hat, von dem ich selbstverständlich jetzt profitiere. Aber möglicherweise möchte ich ja nicht mein ganzes restliches Leben in einer Einzimmerwohnung verbringen, wer weiss? Und die Krankenkasse will auch bezahlt sein.

      Von meinem Lieblingsplatz auf dem Brugger Berg sieht man das Wasserschloss. Ich bin immer wieder fasziniert, wie sich Flüsse in urbansten Gegenden ihren Platz behaupten. Hier sind es gleich drei auf einmal und die Fläche, die sie für sich beanspruchen ist dementsprechend ausgedehnt. Von hier oben kommt mir die Flusslandschaft in diesem doch so dicht besiedelten Gebiet beinahe paradiesisch unberührt vor. Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass sei nichts Besonderes, Flüsse bräuchten nun mal ihren Platz, das sei die Natur.
      Mich beeindruckt es trotzdem. Es kommt mir vor wie ein Sinnbild für selbstverständliches, niemals hinterfragtes Daseindürfen. Für Freiheit letztlich. Im Internet habe ich ein Buch entdeckt, das „Heimweh nach Freiheit“ heisst. Der Titel hat mich neugierig gemacht. Ich habe es mir bestellt.

      Diesmal mache ich kein Feuer, und angesichts des Schnees Frühlingsgedichte zu lesen, kommt mir auch etwas unpassend vor. Egal.
      „Wohlgesangdurchschwellte Bäume, / wunderblütenschneebereift- / ja, fürwahr, ihr zeigt uns Träume, / wie die Brust sie kaum begreift.“, schreibt Christian Morgenstern.
      Und Brecht: „Ohne Unterlass fruchtbar / Ist der Wald, sind die Wiesen, die Felder. / Und es gebiert die Erde das Neue / Ohne Vorsicht.“
      Wunderbar!

      Hab eine gute Nacht.
      Liebe Grüsse
      Regula

    • Barbara meint

      @Regula. Vielen Dank für deinen Spaziergang. Ich bin gerne mit dir mitspaziert. Wunderbar! Es war ein zweites Spazieren am gestrigen Tag. Spazieren war gestern eine gute Beschäftigung. Vom Kommentar nach dem letzten Vorstellungsgespräch der Woche wegspazieren: „Wir haben Sie nicht gespürt“. Hinspazieren oder zurückspazieren zur Erkenntnis, dass das nicht mein Problem ist.

      Samstag 18. Februar. Zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder Sonnenstrahlen im Wohnzimmer. Ein klares Licht. Die Kälte hat sich aufgelöst. Worin? In Luft? In welcher Luft? Ich öffne das Fenster. Vögel pfeifen. Mehrere. Ich mache mich auf den Weg in die Stadt. Langsam. Müde. An der Ampel hat jemand einen Aschenbecher ausgeleert. Zigarettenstummel, Kaugummipapier, ein leerer Tablettenblister. Was für ein Medikament? Nachsehen ist an dieser Stelle zu gefährlich. Grün. Ich habe bis morgen abend Zeit, mich zu erholen. Tief einatmen. Und Ausatmen. Ich freue mich auf den Besuch in der Buchhandlung. Auf den Cappuccino in der italienischen Kaffeebar. In der Zeitung blättern. Vielleicht an der Sonne. Hinter den grossen Fensterscheiben. Neben dem Eingang einer Galerie steht eine Glasflasche. Orangensaft einer bekannten Marke war einmal drin. Jetzt Urin. Etwa drei Deziliter. Weiter vorne glitzern Scherben. Spuren einer Nacht. Ich habe lang geschlafen. Spuren einer Woche weggeschlafen. Zum Teil wenigstens. Ein weiteres Glitzern. Die Pailletten eines Hochzeitkleids im Schaufenster des Geschäfts. Für den schönsten Tag im Leben. Im Schatten der Häuser vereiste Stellen. Ich gehe vorsichtig weiter.

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @Barbara: Ja, dieses Auftanken ist oft schon Schwerstarbeit. Wundert mich manchmal, dass man es doch immer wieder schafft = )
      Möge dir der Start in die neue Woche gut gelingen!
      Liebe Grüsse
      Regula

    • Milena Moser meint

      @ Barbara und Regula: Ich bin empört. Was müsst ihr euch anhören! Was erlauben die sich eigentlich? Was sehen die? Die sind wohl alle, wie mein Sohn es einmal ausdrückte „ohrenblind“! Als einziger Trost kann gelten: ihr seid nicht allein. Nicht hier, und nicht am Schreibtisch.

  2. Karin meint

    Ich freue mich schon auf die Montagskinder. Es sollte heute oder morgen kommen.
    Das Loslassen, das ist ein Thema. Bei meinen Texten fällt es mir recht schwer, obwohl die nur einen recht kleinen Kreis erreichen. Mal eine Lesung im Literarischen Salon, mal im Bekanntenkreis oder im Blog. Mein Kind loslassen, erst für die Schule, dann ins Erwachsenenleben, das war schon leichter. :-) Alles Liebe Karin

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