Der Widerspenstigen Zähmung

Eine neue Geschichte anzufangen ist wie frisch verliebt zu sein. Das hat eine Schülerin einmal gesagt. Das hat etwas. Man kann an nichts anderes mehr denken, man bezieht alles auf IHN (den Roman) bezw. SIE (die Figur), man sieht überall Zeichen, Hinweise, Verbindungen…. Diese Euphorie fliesst wie die Liebe irgendwas in etwas Ruhigeres. Gelasseneres. Wenn man den Faden gefunden hat. Wenn man eine Ahnung hat, was auf dem Papier passiert und wie es weitergehen könnte. Am Anfang aber hält man den Atem an. Der Magen rumort. Die Welt verschwindet.

Eigentlich, eigentlich, eigentlich, stimmt, ist das ja meine liebste Phase. Schreibphase, meine ich. Wenn ich noch kaum etwas weiss, wenn alles noch möglich ist. Warum sträube ich mich denn so gegen diese neue Figur, diese neue Konstellation (denn auch Nevada drängt sich unerbittlich zurück in meine Gedanken)? Andere wären froh, wenn sie eine neue Idee hätten! Was ist mein Problem?

Wer verliebt ist, vergisst alles um sich herum. Und das ist, wogegen ich mich sperre: Ich bin doch eben erst wieder aufgetaucht. In meinem Leben. Jetzt will ich das Um-mich-herum auch wahrnehmen. Daran teilhaben. Leben. Vor allem in den wenigen Tagen, die mir hier noch bleiben. Ich will nicht am Schreibtisch sitzen und den Rest der Welt vergessen! Will nicht will nicht will nicht!

Trotzig plane ich eine Flut von Aktivitäten für meine letzten paar Tage hier. Ich schalte den Computer aus. Ich lege sogar meine verbleibenden Aufträge zur Seite. Die können auch warten, bis ich wieder zuhause bin (Nebenfrage: Wo ist zuhause?)

Dann wache ich auf, morgens um vier, mit einem scharfen Schmerz in der Hüfte. Ich kann mich nicht umdrehen. Ich kann nicht aufstehen. Die Hexe hat mich wieder mal niedergestreckt mit ihrem Pfeil und Bogen. Niederträchtiges Biest! Immer erwischt sie mich aus dem Hinterhalt. Das letzte Mal, während ich mir eine Tasse Kaffee einschenkte. Und jetzt also im Schlaf! Das soll mir mal eine nachmachen! (Und zwar allein, bitteschön!)

Zwei Tage lang liege ich flach. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auf dem Fussboden, die Beine auf der Couch, ein Kissen unter dem Kopf, ein Schulheft auf dem Bauch. Ich mache keine Strandspaziergänge mehr und gehe auch nicht tanzen. Ich sitze nicht am Tresen und esse keine Jalapeno Poppers mit den Fingern. Schon gar nicht schaue ich mir Ausstellungen an oder gehe ins Theater oder… egal. Ich ergebe mich. Wie die Heldin eines kitschigen Liebesromans, die man ja auch gleich auf der ersten Seite an ihrem Aufbäumen gegen das Unvermeidliche erkennt, ihrem Widerwillen gegen das Offensichtliche, an ihrem Trotz. Ich schreibe also.

Von Hand erst mal. Manchmal mit zwei Bleistiften. Wirr, schnell, halbfertige Sätze, unausgegorene Gedanken, alles überschlägt sich, so viele Ideen, Namen, Verbindungen – schau an, hier ist Nevada wieder! Verdammt, ich wusste es doch! Auf der einen Seite notiere ich, was mir gerade in den Sinn kommt, versuche, jeden Ansatz einer Idee einzufangen,  bevor er sich auflöst. Auf der anderen versuche ich, einzelne Gedanke zu Ende zu denken, einzelne Ideenzipfel festzuhalten, zu verfolgen, mindestens ein Stück weit. Ich schreibe schneller als ich denke, meine Schrift verschmiert, wird unlesbar, egal, weiter, weiter. Ich halte den Atem an. In meinem Bauch rumort es. Ich vergesse alles um mich herum.

Geht doch! Zufrieden nickt die Hexe und zieht ihren Pfeil aus meiner Hüfte. Ich stehe auf und schalte den Computer an.

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3 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    @Milena: Du hast Recht. Ich bin wohl im Augenblick einfach ein wenig müde vom allzu vielen „möchten“. Aber das wird schon wieder. Es muss! Die Rahel hat sich nämlich vorgenommen, über den Lisengrat auf den Säntis zu klettern. Und das wird sie auch. Steht schliesslich im Tagebuch. Neue Wanderschuhe hat sie schon: hübsche dunkelblaue.
    = )

  2. Regula Haus-Horlacher meint

    Liebe Milena
    Herzlichen Dank für diesen Blog!
    Eigentlich bin ich keine Blog(g?)erin, aber vielleicht werde ich es jetzt, dank dir! (Wie ich schon so Vieles dank dir geworden bin = )
    Gestern teilte ich meiner Tochter per SMS mit, dass mit dem Verlag alles in Ordnung sei und das Buch nun also tatsächlich spätestens im Juni 12 erscheine.
    „Gratuliere!“, antwortete sie mir postwendend, „aber, weißt du was? Dann bist du ja gar kein Möchtegern mehr!“
    So ist es wohl. Bin ja auch schon am zweiten Buch und sogar richtig eingestiegen, endlich, seit ich den Pflegehelferkurs hinter mir habe. (Habe übrigens gute Chancen im Altersheim Windisch für weitere 20 bis 30% angenommen zu werden, der Stiftungsrat hat für 2012 zusätzliche 340 Stellenprozente für Pflegehelferinnen bewilligt. Das wäre ideal: 60 bis 70% Altersheim und den Rest fürs Schreiben! Ein wahrer Traum…).
    Eigentlich dachte ich ja, die erste Phase der Geschichte schon hinter mir zu haben, aber ein Tagebuch ist noch längst kein Roman, höchstens eine Leitlinie, das musste ich schmerzlich feststellen, und so bin ich jetzt also doch wieder mitten drin im Erfinden. Ist vermutlich auch besser so… obwohl, ich wollte, ich hätt’s schon hinter mir. Mir ist wohler, wenn die Geschichte einmal steht, wenn ich weiss, wer und was darin vorkommt und sich die Zahl der unliebsamen Überraschungen definitiv nicht mehr vergrössern kann. Verrückt nicht? Andere geniessen beim Schreiben die Grenzenlosigkeit, die sich im wirklichen Leben nicht realisieren lässt, während ich das genaue Gegenteil suche, nämlich eine Überschaubarkeit und (relative) Sicherheit, wie mir sie das wirkliche Leben niemals bieten kann. Na ja, abenteuerlustig war ich noch nie und werde es wohl auch auf meine alten Tage nicht mehr…
    Ich wünsche dir eine glückliche Rückkehr (Heimkehr? Heimkehr! = ) in die Alte Welt!
    Sehr herzlich
    Regula

    • Milena Moser meint

      @ Regula: Ich bin auch keine Bloggerin, das merkt man ja… trotzdem, eine interessante Übung, alles, was so auftaucht während des Schreibens gnadenlos festzuhalten…. Vermutlich werde ich diesen Vorsatz eines Tages verfluchen, aber das macht auch nichts. Ich gratuliere zum ersten Buch und zum zweiten, und: Möchtegern bleibt man (hoffentlich). Ich bin jedenfalls auch einer – ich möchte immer noch etwas!

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